Montag, 25. November 2013

LESEPROBE aus dem Roman TELUM (Pfeil/Fernwaffe)

Die Geschichte um einen reichen Römer und seine permanente Beschäftigungstherapie: Frauen.

Der Gepard hatte sich längst mit allem abgefunden. Aus seinem Gesicht war der Ausdruck des Suchenden gewichen. Er hatte seine Sprache und seine Familie vergessen, und wenn man ihn in eine offene Steppe frei ließe, konnte man nicht darauf hoffen, die Wiedergeburt seiner Erinnerung zu feiern, wenn sein Blick auf eine Gazelle oder ein junges Warzenschwein fiel.
Er war es gewohnt, von Menschenhand gefüttert zu werden und immer seine Zunge in einen Wassertrog senken zu können, wenn er Durst verspürte. Das verlorene Wissen würde ihm in diesem Leben nichts mehr nützen. Es fiel in eine animalische Form der Damnatio Memoriae, der ausgelöschten Erinnerung.
Doch eine Sache wusste der Gepard: Er kannte seinen Namen. So lange hielten ihn schon die Menschen in ihrer Obhut, dass er sofort herbei lief, wenn man ihn Pulcher rief. Pulcher stand als männliches Pendant zu Pulchra für Schönheit und Anmut, und darauf könnte sich der Kater, wäre er ein Mensch, einiges einbilden, zählte er wegen der guten Ernährung zu den stattlichsten Vertretern seiner Gattung. Ganz im Gegensatz zu den schmalen und dem harten Leben der Wildnis ausgesetzten Brüdern.
In Dingen der Schönheit stand er in süßer Konkurrenz zu dem anderen Wesen, das neben ihm im Nachbarkäfig hockte. In vielerlei Hinsicht war diese schwarze Gestalt dem Kater gegenüber im Vorteil. Sie erinnerte sich gut. Im Kopf des dunklen Mädchens flimmerten die Jagdgründe ihrer Heimat und lächelten die Gesichter ihrer Eltern und Geschwister. Doch ihren Namen kannte sie nicht, jedenfalls nicht den, der ihr von dem Mann gegeben war, der die Verantwortung für ihre Gefangennahme trug.
Die Augen zu weißen Bällen aufgerissen, die Lippen blutig gekaut, die Haut voller Abschürfungen und die Kehle in stechender Trockenheit, hockte das Mädchen in einem Käfig, in dem zuvor Affen und exotische Vögel transportiert worden waren. Es wusste nicht, wie der Hafen hieß, an dem das Schiff, das sie als Ladung führte, vor einigen Stunden angelegt hatte. Es wusste nicht, wer diesen Landstrich beherrschte und wohin es gebracht werden sollte. Es verstand die Sprache dieser Leute nicht, es war nicht Ashanti und nicht Ibo, sondern eine seltsame Zunge mit lustigen Endungen und harten kehligen Lauten, so anders als die langen Vokale und weichen Klänge ihres Volkes. Es hatte seit ihrer Verschleppung sukzessive mehr Menschen gesehen, deren Haut hell leuchtete. Hier an Land gab es kaum noch Dunkle.
Sie konnte die Tage nicht zählen, die sie auf dem großen Wasser gefahren waren. Dort prangte ein blauer gebogener Horizont, und hier strahlte das Gesicht dieses Mannes, das die junge Frau bestaunte, anstarrte und beflüsterte. Auch lächelte, so überraschend und wohltuend. Irgendwie konnte sie diese kleine Sache verstehen, diese kleine aber nicht unwichtige Tatsache, dass sie nur wegen diesem Mann gefangen, eingekerkert und verschifft worden war. Sie hatte sich mit ihrer ganzen Kraft gewehrt, sogar Bisse und Tritte ausgeteilt, bis fast niemand mehr wagte, sie anzurühren. Nur dieser eine Mann und zwei seiner Gefolgsleute hatten es geschafft, sie sanft zu betäuben und in diesen Tierkäfig zu sperren. Im Feuer ihres Zorns hatte sie versucht, die eisernen Gitterstäbe zu zerbeißen und sich dabei vier Zähne ausgebrochen. Wieder wurde sie in Schlaf gesetzt, und das nächste, an das sie sich erinnerte, war der Laderaum des Schiffes und ein seltsames, drückendes Gefühl von Fremdkörpern im Mund. Man hatte ihr die Zähne ersetzt, und allein diese Tatsache verblüffte sie vollkommen. Seitdem lutschte und saugte sie an diesen Prothesen herum und folgerte, dass für einen Menschen, den man erst gefangen nahm und anschließend verarztete, kein schlimmes Schicksal vorgesehen war. Doch sie konnte sich natürlich irren. Nichts erschien sicher.
Doch sie war Teil der Fracht, sowie der Gepard, sowie die Kisten mit Wolle, Papyrus, Farben wie Kobaltblau, und Krüge voll von wertvollen Gesteinen. Auch andere Tiere. Vögel verschiedenster Art, Schlangen, Äffchen und Strauße. Die junge Frau, gerade 13 Jahre alt, ihrem Stamm entrissen, verstand nicht, zu welchem Zweck man diese Dinge und diese Lebewesen über ein großes Wasser führte. So wenig wie Fische die Wüste kannten, so wenig kannte sie das Mare Internum.
Dennoch, ihr war schon zu Ohren gekommen, dass Menschen gefangen genommen wurden, infolge unsinnige Dinge tun mussten und keine Freiheit mehr genossen, oft auch getötet wurden. Doch wozu hatte man ihr die Zähne ersetzt? Nicht um sie hinzu schlachten, denn man wollte, dass sie weiterhin Nahrung zu sich nahm. Aber, und dieser Gedanke quälte sie, vielleicht nur, um sie zu mästen.
Oben an Deck wurde sie angegafft und wie ein Affe verhöhnt. Ferner beobachtete sie zweimal, wie ausgelaugte Ruderer mit gebrochenen Armen oder aufgerissener Haut einfach über Bord geworfen wurden. Sie dachte daran, sich selbst zu verletzen, um einem Leben fern ihres Stammes zu entgehen, doch eine jugendliche Neugier auf das Unbekannte hielt sie davon ab, wobei auch der untrügliche Instinkt nicht zu unterschätzen war, der ihr sagte, dass der schöne Mann, der sie so sonderbar anschaute, nichts Böses mit ihr vorhatte. Doch natürlich war auch die Angst ihre ständige Begleiterin. Sie sprang immer wieder wie ein kleiner Floh in ihren Gedanken umher, kratzte und beschrie sie, und wegen der Hartnäckigkeit von Flöhen war sie oft nicht abzuschütteln.
Seit sie in Gefangenschaft weilte, stellte sie immer wieder fest, wie uneins diese weißen Menschen im Verbund waren. Sie verhielten sich nicht wie Stammesleute, verschmolzen nicht zu einem Ganzen, sondern spalteten sich voneinander ab, stritten und schlugen sich, misstrauten einander und waren froh, wenn sie einen Anderen übervorteilten konnten. Und sie verstand bald, warum. In ihrem Stamm pflegte man die Unteilbarkeit der Gemeinschaft, weil es für das Überleben notwendig war. Und diese Menschen mit ihren seltsamen Kleidern und Umgürtungen brauchten diese Strategie nicht mehr. Sie besaßen so viel, konnten essen wann sie wollten und ganze Tage mit Faulenzen verbringen, weil sie irgendwann oder immer schon so versorgt waren, dass sie den Kampf in der Wildnis nur noch aus Erzählungen kannten. Sie schienen reich genug, um sich nur um sich selbst zu kümmern.
Diese Eindrücke, so unvollständig sie auch das Leben ihrer Gefangennehmer beschrieben, verdichteten sich in ihrem unbedarften Geist aber nicht zu einem Urteil. Dazu war sie nicht fähig. Sie fragte sich einfach nur, was noch alles auf sie zukommen würde. 
Der Gepard Pulcher gähnte und zeigte seine blanken Reißzähne. Wie konnte er nur so unaufgeregt seinem Schicksal entgegensehen? Mit seinem schlaksigen Leib federte er das ständige Gewackel und Geholper des Carrus besser ab als seine Nachbarin.
Durch die Verschläge blitzten Sonnenstrahlen. So weit weg konnte es gar nicht von ihrem Stamme weg sein, wenn es auch hier die Sonne gab. Aber es war kälter. Nicht so kalt wie die Nacht, aber die Luft hatte einen anderen Geschmack. Sie war salziger, schwerer, wie der Atem einer alten Löwin.
Die Erschütterungen auf dem steinernen Weg verloren an Heftigkeit. Dennoch war es kein Vergleich zu dem ruhigen, weichen Reisen auf dem Wasser.
Einer der Männer, die den Karren begleiteten, hob die Plane über das Dach, und das Mädchen sog die frische Luft durch ihre Nasenlöcher ein. Zum ersten Mal konnte sie von ihrem Käfig aus die Dächer der hügeligen Stadt sehen. Was war das für eine Steinflut?
Sie kannte Häuser, aber dies war etwas Anderes, viel Größeres. Der erste und einzige Vergleich, der ihr in den Sinn kam, war der Dschungel. Nur war das, dessen Silhouetten sie in der Ferne sah, kein Wald aus Baum und Blatt. Es war ein Dschungel aus verrücktem Stein. Aber wie konnte sie die unheimlichen Geräusche erklären, die an ihre kleinen durchstoßenen Ohren drangen? Sie hatte nichts dergleichen jemals gehört. Sie kannte das Tröten der Elefanten, das Gurren und Quietschen der Hyänen, den Gesang der Vögel und das Geschlabber der saufenden Nilpferde. Aber dies hörte sich nicht an wie ein tierischer Klang. Er drang direkt aus dem Steindschungel, vielleicht von einem verirrten Wind, der bei seinem Weg durch die Steinspalten dieses seltsame Raunen und Heulen erzeugte, weil er keinen Ausweg wusste. Nie zuvor hatte sie fünfmal 10.000 Kehlen jubeln hören. So nah war sie an der Stadt. Und doch nicht im Innern.
Die kleine Frau war nicht länger in ihrer Welt. Pulcher kümmerte es nicht. Vielleicht sollte sie sich an ihm ein Beispiel nehmen.
Menschen kamen dem Karren entgegen. Männer und Frauen glotzten sie beim Vorüberfahren an. Manche lachten ganz unverschämt und faulzahnig. Die Eingesperrte spürte, dass man dem Ziel näher kam. Das Herz schlug ihr wild unter der Brust, und sie drehte sich ständig herum, wie ein nervöser Vogel, spähte durch die Sträucher am Wegesrand und über die Felder der herrschaftlichen Latifundien. Die Plane wurde dann unerfreulicher weise wieder über den Wagen gelappt, was sie ein wenig beunruhigte. Entweder sollte sie etwas nicht sehen oder nicht gesehen werden. Doch es war nur die unstete Fahrt gewesen, die den Stoff hatte hinab gleiten lassen. In der wieder entstandenen Dunkelheit schloss das Mädchen die Augen. Sie dachte sich die Gesichter ihrer Eltern. Jetzt mussten sie eine neue Tochter machen. Der Stamm musste sie wohl für tot erklären. Wie viel Wahrheit steckte darin? Wie lebendig konnte sie noch sein, und wie viel Tod wohnte in dieser Welt, in der die Steine sangen?
Jetzt geschah etwas. Der Karren hatte angehalten. Stimmen. Geklapper, das Grunzen der Zugtiere. Der seitliche Verschlag wurde aufgetan. Zwei Männer tauchten auf. Sie hatten dasselbe Staunen im Gesicht wie dieser schöne Mann. Wo war er? Seit dem Hafen hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Der Käfig, in dem Pulcher gelangweilt lag, wurde nun von dem Carrus gehoben, und als der Gepard dem Mädchen ein letztes Mal in die Augen blickte, war es wie ein lässiger Abschied. Der Käfig wurde fort getragen, und sogleich erschienen zwei weitere klobige Männer und versperrten dem Mädchen die Sicht.
Angst. Plötzlich und schonungslos. Sie wurde mit dem Käfig aus dem Karren gehoben. Die Brüste der Männer waren dick und haarig. Unter ihrem Käfig befand sich eine Platte mit Rädern an der Unterseite. Doch was sie dann wirklich gefangen nahm, war links von ihr. Zwei große, weiß strahlende Säulen türmten sich auf, fast bis zum Himmel. Darüber eine dreieckige, ebenso leuchtende Überdachung mit Schriftzeichen. Zwischen den Säulen stach ein dunkler Gang irgendwo hin. Wollten die Männer sie etwa dort hineinfahren? Sie sah auf der anderen Seite der Straße Bäume. Fremdartige Bäume. Ihre Blätter glänzten, wie Wüstengestein es manchmal tat. Ihr Käfig steuerte auf den dunklen Gang zu. Sie spähte hinein und keuchte in einer kleinen Erleichterung, denn am Ende des Korridors schien wieder Licht. Und wieder Säulen. Sie wurde in das Vestibulum und das Atrium geschoben, dem Hof mit der kleinen Dachöffnung, dem Compluvium, durch das Regenwasser nach unten in ein Becken geleitet werden konnte.
Überall eilten größere und kleinere Leute umher, Männer und Frauen. Sie trugen alle die gleiche Kleidung. Sie konnte erkennen, dass von dem Atrium Korridore abzweigten, wieder hinein in Dunkelheit, wahrscheinlich zu weiteren Räumen führend. Nur nicht dort hinein. Dort sah es kalt und hart aus. Doch es ging weiter. Plötzlich konnte sie den Himmel sehen. Der Käfig wurde ins große Peristyl gerollt. Noch mehr Säulen, die den Hof umschlossen. Ein länglicher Innenhof, hübsch ausgeschmückt mit Pflanzen. Und Statuen. Bildnisse aus Stein von Menschen, die einfach eingefroren waren in ihrer steinernen Starrheit, und doch so lebendig erscheinend. Schön. Und ein kleiner Brunnen, aus dem wie durch Zauberei das Wasser plätscherte, unaufhörlich. Auch von diesem viel größeren Hof zweigten Räume und Flure ab, und die Wände waren bemalt mit fantastischen Szenen unterschiedlichster Art. Hier schien es angenehm zu sein.
Plötzlich stand da eine Frau. Sie kam auf den Käfig zu. Sie war schon älter, sehr schlank und mit einem schmalen, vogelhaften Gesicht. Und das Beste war, dass sie lächelte. Es unterschied sich von den Mimiken der anderen Menschen. Es war ein einladendes Lächeln, mütterlich und besänftigend.
Aber die junge Africanerin konnte es nicht erwidern. Das Korsett der Angst und der Ungewissheit war noch zu eng. Die lächelnde Frau redete mit den Männern, die den Käfig schoben und sich anschließend entfernten. Jetzt schob die Frau den Käfig alleine, und es schien ihr nicht besonders schwer zu fallen. Der Käfig wurde zur hinteren Stirnseite des Peristyls gefahren. An der linken äußeren Ecke befand sich eine kaum sichtbare Lücke in der Wand. Dahinter schlummerte Dunkelheit. Nein, nicht da hinein. Doch.
Es war ein dunkler, sehr schmaler Korridor. Der Käfig passte gerade so hindurch. Ist es ein Weg zur Schlachtbank, oder gibt es wieder Licht?
Die Frau hielt den Käfig an. Irgendwas Klapperndes holte sie hervor, längliche Werkzeuge, die sie in eine Vertiefung der Wand steckte und mit einem widerlichen Krächzen herumdrehte. Die Frau öffnete die Wand. Die eiserne Tür schnappte auf, gab den Blick frei auf Licht dahinter. Zum Glück. Als die Frau den Käfig in Richtung des Durchgangs schob, sah die junge Insassin die liebliche und bezaubernde Ausstattung eines weiteren Peristyls. Es war etwa genauso groß wie das eben verlassene, aber es sah irgendwie anders aus. Die Wandbilder waren wüster. Lauter Körper, in komischer Verkettung verharrt. Links und rechts sah die Africanerin Zimmerfluchten, und es kamen Menschen heraus.
Eine Frau.
Zwei Frauen. Drei. Viele Frauen. Kein Mann. Der einzige Mann bestand aus glänzendem Stein. Er prangte in Lebensgröße in der Mitte des Peristyls, inmitten von Sträuchern und gestutzten Gräsern. Er hob beide Arme halb empor wie ein guter Gastgeber. Er trug keine Kleidung, und unter seinem Nabel ragte ein aufgerichtetes Gemächt. Unter seinen Füßen, auf dem Sockel, prangte ein großer Schriftzug.
Der Käfig wurde nah bei der Statue abgestellt. Die Frauen strömten herbei, sie raunten, lachten, zeigten sich in hohem Maße erfreut. Wieder erglomm diese Angst, geschlachtet zu werden. Sie zuckte ihren Blick in die Gesichter der Frauen. An ihnen wehten teilweise durchsichtige Gewänder, teilweise waren sie nackt oder trugen nur eine schmale Brustbinde, das Strophium. Aber was ihr auffiel, waren ihre gleichmäßigen Körper, ihre Rundungen, ihre grazilen Bewegungen, und vor allem ihre Gesichter. Jede dieser Frauen, ob es zehn oder fünfzehn waren, konnte sie nicht sagen, war unermesslich schön. Kristallen.
Noch nie hatte sie so etwas gesehen. Und eine der Frauen war dunkelhäutig, wie sie selbst. Und groß. Ihr Lächeln breit und bezaubernd. Eine der Frauen war beleibt, und eine weitere, wie erschreckend, hockte wie ein Anhängsel auf dem Arm einer großen, kräftigen Frau, weil sie keine Beine hatte, nur einen Arm, den linken, mit dem sie die große Frau umklammerte. Aber auch diese verkrüppelte Frau sah bezaubernd aus. Die Dunkelhäutige beugte sich nieder, sah neugierig in den Käfig, und dann sprach sie:
"Verstehst du mich?"
Sie sprach Ibo. Die Welt war also doch nicht so gewaltig. Auch ein großes Wasser konnte sie nicht vergrößern Die Erleichterung plätscherte wie ein frischer Bach. Sie konnte nicht antworten. Zu trocken war ihre Kehle. Aber sie versuchte mit viel Mühe, sich ein Lächeln abzuringen. Ganz schwach.
"Du verstehst mich. Sei herzlich willkommen."
Die schmale ältere Frau hielt ihr einen Kelch an die Gitterstäbe. Die neue Schwester verstand und ließ Wasser in ihren Mund laufen. Kühl und ohne Salz. Es ölte ihren Hals, besänftigte die Qual, und es ermöglichte ihrer Stimme, in ihrer Sprache mit einer Gegenfrage zu antworten:
"Wo bin ich?"
Die Dunkelhäutige blinzelte langsam und beruhigend, als sie sagte:
"Du bist im Philaeum. Ich soll dir sagen, dein Name ist von nun an Calva. Wie du bei deinen Leuten geheißen hast, ist hier nicht mehr wichtig. Du heißt Calva, weil du einen kahl rasierten Schädel hast. Merke dir den Namen gut."
"Warum bin ich hier?"
"Das weißt du nicht? Aber Calva, kleine Perle. Du bist wunderschön!" 


TELUM
500 S., 16,39 € (auch als E-book)
 


Donnerstag, 21. November 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. Teil XXI


Sie schlief. Das, was einmal ihr liebreizender Leib gewesen war, lag zerschmettert, aber nach allen Regeln der Kunst geschient auf der Pritsche. Ein schier unglaubliches Glück hatte sie gehabt.
Nachdem Pictor und sein Gefolge mit Caecus zum Esquilin aufbrechen wollten, fanden sie das arme Ding, umringt von einigen Schaulustigen, zerborsten am Boden liegen und haben sie auf Caecus' Flehen hin zum Hospital der Tiberinsel gebracht.
Nun saß er neben ihr am Krankenbett. Mariscas Augen waren dunkel unterlaufen, Arme und Beine in ein hölzernes Korsett geschnürt, die Nase gebrochen, und, was am schlimmsten war, der Wille zum Leben entfleucht.
Aus ihrem eingeschienten Arm ragten die schmalen Finge hervor, und Caecus legte seine in die ihren.
“Du dummes Ding, so eine grandiose Kandidatin für Spott und Verachtung, für die Gleichgültigkeit, die unsere Seelen bewohnt.“ sagte er leise. Marisca wusste nicht, dass Caecus noch am Leben war. In ihrer Welt war er bereits von den Löwen gefressen worden.
„Marisca. Volusa … Du siehst aus wie ein katastrophaler Schiffbruch, eine hirnwütige Havarie nach der Begegnung mit Skylla und Charybdis. Wie ein Odysseus ohne List.
Warum stürztest Du Dich hinunter? Um mir zu folgen? Niemand hatte Dir sagen können. Dass jemand meinen Platz eingenommen hat, nach meiner Rettung. Oh Graus, was hast Du ansehen müssen?“
Und nun konnte Caecus beobachten, wie Marisca das Bewusstsein wiedererlangte. Zunächst zuckten ihre Finger. Ein Stöhnen entströmte ihrem Mund. Die verquollenen Augen mühten sich zu blinzeln. Das Sonnenlicht schien durch ds Fenster. Der Fluss war zu hören, und die Kapitäne der Transportschiffe brüllten. Alles war wie immer, nichts hat sich in der Welt durch ihren Sturz verändert. Sie musste in diesem Moment glauben, jene Welt hatte bereits etwas verloren, ohne das sie nicht mehr Wert war, in ihr zu leben. Eine Welt ohne Caecus. Marisca schien nun jedoch zu spüren, dass lebendige Finger in den ihren lagen, und obwohl es sie stark schmerzte, drehte sie ihren Kopf.
Diese blutunterlaufenen Augenschlitze starrten Caecus an, und nun kullerten ihm ein paar Tränen herunter. Marisca glaubte, nun im Elysium zu sein, oder in einem gemeinen Traum. Saß dort wirklich der Mann, der eben noch in der Arena zerfleischt worden war?
„Du unglaubliche Närrin.“ sagte er leise und kurz davor, die Fassung zu verlieren. Und bei diesem Satz wusste sie, dass er echt war, diese Mann. Caecus sagte mit zitternder Stimme:
„Du wolltest mir begegnen, auf der anderen Seite. Weil Du mich liebst. Die Liebe einer Hure ist von Wert wie die eines Esels. Doch die Liebe der Blume, die in Dir wohnt, kann nur Amor selbst gepflanzt haben.“
Marisca konnte sich nicht rühren, nichts sagen, nur durch ihre Augen sprechen. Und diese glänzten im Begreifen, dass sie und Caecus tatsächlich gerettet worden waren und was für ein unglaubliches Geschenk dies in dieser Welt darstellte.
„Ich werde nicht eher lachen, nicht eher essen oder freien, bis Du genesen bist. Und solltest Du Dich nie wieder erholen, ist mein Tod ein winziges Opfer unter dem Himmel Roms, denn hier ehrt man die Liebe nicht, nur den Kampf. Gerade in solcher Einsamkeit sollten wir zusammen bleiben. Das bleibt uns.“
Beide wussten, was für ein schweres Los sie erwartete. Ein verstümmelter Maler, eine wahrscheinlich bis zu ihrem Lebensende hinkende und entstellte Lupa. Nur die Gesunden und Unversehrten bekamen Achtung, die Geschundenen nicht, es sei denn, sie hätten ihre Verletzungen durch einen Krieg geschenkt bekommen.
„Meine Hand ist gesund, mein Schatz. Sie wird uns ernähren. Und Pictor hat trotz seiner Verschlagenheit bewiesen, dass in seiner Brust ein kleines Herz schlägt.“
Marisca bewegte ihre geschwollenen Lippen. Aber Caecus flüsterte:
„Sag nichts. Schschsch ...“
Sie wusste, wie kaputt ihr Leib nun war. Doch das spielte nun keine Rolle, denn sie blickte in das Gesicht ihrer Liebe, und es war am Leben.
„Solche Narren sind wir, nicht klug genug für diese Welt, nicht stark genug, nicht gemein genug. Haben wir beide irgendeinen Wert, außer den, den wir im Anderen sehen?“
Marisca blinzelte und wollte damit sagen, dass sie nun keine Lust hatte, Worte über Wert und Unwert zu hören. Sie hatte recht. Es spielte keine Rolle. Caecus sah es ein und lächelte. Das tat er so selten, und als Marisca sein Lächeln zu erwidern versuchte, fiel ihr ein loser Zahn in den Gaumen. Es störte sie nicht.
„Marisca, meine Liebe, meine kleine Lupa … So lass uns denn gemeinsam wertlos werden.“



FINIS

© Guido Ahner 2009-2013


NÄCHSTER BLOG: Leseprobe aus dem Roman TELUM, voraussichtlich Dienstag
FATUM wurde 2009 als unabhängiger Spin-Off des noch nicht erschienenen Romans OSCULUM begonnen und 2013 für diesen Blog vollendet.
Hier geht es zum Buch (70 S., 6,37 €):


Begonnen hat alles mit dem Roman TELUM und den drei begleitenden Novellen PHILAEUM, OTIUM und DONUM, die ebenfalls in die Welt des Antiken Rom eintauchen, inhaltlich aber nichts mit FATUM gemein haben.
Ausführliche Informationen zu TELUM finden Sie auf:

Donnerstag, 14. November 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XX


Das Gitter wurde geöffnet, und als einige Männer unter Prügel und Spott in Bärenfelle eingenäht wurden, führte der Einäugige Caecus hinaus in den engen Korridor.
Wer hat für mich bezahlt? Wie ist das möglich? Hat Marisca ...”
Ich weiß nichts von irgendwelchen Gönnern und Weibern, Meistermaler. Komm mit mir!”
Caecus folgte dem Einäugigen zum unterirdischen Tunnel, der aus den Katakomben hinaus führte. Endlich, als sie eine durchgetrene Treppe hinaufstiegen, sah Caecus das herrliche Tageslicht. Oben, am Rande des Ludus Magnus, der großen Schule für Gladiatoren,
unter einem großen Sonnenschirm und umringt von einigen ansehnlichen Sklaven, standen Scaurus, Asellio und, bei Caecus Bestürzung und Erleichterung zugleich auslösend, Pictor, sein Chef.
Du Narr.” sagte dieser. “Du unbeschreiblicher Stultissimus. Was hast Du Dir dabei gedacht? Und was bei allen Göttern ist mit Deinem Ohr passiert? Hat das diese kranke Schwuchtel Stolo getan?”
Caecus war sprachlos. Pictor hatte ihn tatsächlich freigekauft.
Am liebsten würde ich Dich auspeitschen lassen, so sehr, dass Du wünschest, Du wärst in der Arena gestorben. Du bist der größte Glückspilz, der je den Erdkreis gesehen hat, weil Du ein Talent besitzt, das zu schützen andere zu Narren werden lässt. Mich zum Beispiel.”
Patronus, wir müssen Marisca retten! Sie kann ihren Auftrag nicht mehr ausführen. Ich flehe Euch an! Wenn Ihr so einen Aufwand betrieben habt, um mein Leben zu erhalten, dann wisset, dass mein Weiterleben nur Sinn ergibt, wenn Marisca an meiner Seite ist!”
Du überschätzt meine Macht, Caecus. Marisca befindet sich im engsten Kreis von Stolo. Sie zu befreien, würde einem offenen Krieg mit den Aventinern gleichkommen.”
Ein Krieg ist es schon jetzt, Patronus.”
Kein Wort mehr! Du wagst es, mich zu belehren? Ich sollte Deinen Status als freier Mann für nichtig erklären und Dir eine Sklavenplakette umhängen! Wenn ich ein weniger weiser Mann wäre, könnte ich Deinen Eigensinn als Verrat betrachten, doch ich weiß, dass Du nur diese kleine Lupa retten wolltest … Das hat man davon, wenn man Huren aus einer Taverne aufliest ...” Seine Gefolgsleute lachten.

Stolo flüsterte in Mariscas Ohr:
Ich habe darum erbeten, dass das Bärenfell, in das Dein lieber Caecus genäht wird, einen Farbtupfer bekommt. So kannst Du ihn inmitten der Anderen erkennen.”
Marisca sagte nichts. Die Gaukler und Akrobaten verließen die Arena, worauf einige Wagen hineinfuhren und Brot in die Menge warfen.
Marisca konnte nicht glauben, dass die Welt einfach weiter machte, dass alles unbedeutend schien, nur dem vergänglichen Vergnügen unterworfen. Blut eines Geliebten, das im Sande versickert wie das eines Sklaven oder Verbrechers. Ein Mensch hat einen Wet, und sei es nur in den Augen eines Liebenden …
Der Boden der Arena tat sich auf. Empor stieg die Plattform mit den Verurteilen. Es waren zunächst sechs an der Zahl, alle in Bärenfelle genäht und stumm stehend, resigniert und zermürbt von Angst. Eines der Bärenfelle war durch einen gelben Farbklecks gekennzeichnet.
Mein Liebster, ich werde immer bei Dir sein ...” flüsterte Marisca. Stolo und die Anderen lachten. Die Menge schrie nach den Bestien.
Marisca sah nur seine Beine und das Fell. Sein Gesicht nicht.
Mit einem lauten Rattern tat sich ein Gitter auf, und sofort preschten etwa 20 Löwen ins Licht der Arena. Es waren hauptsächlich Weibchen, aber auch zwei Männchen, eins davon mit imposanter Mähne, was die Menge jubeln ließ.
Neben Marisca sagte ein Mädchen:
Das ist der Löwe Claudius! Endlich darf er teilnehmen!”
Die Delinquenten standen regungslos da, dicht zusammengedrängt, in der letzten Hoffnung, dass die Löwen ein dichtes Knäuel von Menschen nicht so leicht angreifen würden wie einzelne. Doch die Tiere waren nicht dumm und speziell für so eine Situation dressiert worden. Die Weibchen bildeten einen Kreis um die Menschen und zogen ihn immer dichter zusammen. Einige der Männer in ihren Bärenfellen begannen in Panik zu schreien. Einer von ihnen brach aus und lief todessüchtig auf einen der Löwen zu. Ein anderer sprang von der Seite hinzu und packte den Mann am Nacken. Das Volk applaudierte mäßig.
Marisca starrte auf den Mann mit dem gefärbten Bärenfell. Er stand inmitten seiner Kameraden und rührte sich nicht. Doch dann übernahm der blanke Schrecken das Kommando, als die Löwen ihren Kreis immer enger zogen und Versuche unternahmen, einzelne Männer mit ihren Pranken zu greifen. Der Kreis brach auseinander, und alle restlichen Fünf liefen wirr umbher, völlig auf sich gestellt und hilflos. Der mit dem Farbtupfer rannte zu einem der Gitter am Rand der Arena und wurde von einer flinken Löwin eingeholt, die ihn mit einem lässigen Sprung niederwarf.
Marisca schloss die Augen. Nun starb ihr Liebster, dachte sie.
Was ist Sterben?
Nichts als das Durchschreiten einer Pforte? Nichts als ein Ein- oder Auftauchen?
Nur ein Schritt?
Stolo und die Anderen lachten und futterten leckeres Candis-Brot.
Marisca stand auf. Sie machte sich schmal, als sie sich zwischen die teils jubelnden, teils gelangweilten Menschen zwängte. Sie erreichte die Treppe, ging ein paar Schitte, bis sie die äußeren Gänge der Arena erreichte. Einer der Rundbögen gab freien Blick auf die Stadt, auf den Tempel der Venus und Roma, die Via Sacra, die Foren und den Capitolshügel. Marisca sah zum Himmel empor und erblickte einen Schwarm Vögel.
Dann stürzte sie sich hinunter.



Letzter Teil nächsten Freitag ...

Die Geschichte nun auch als illustriertes Paperback für 6,37 bei AMAZON:
http://www.amazon.de/Fatum-illustrierte-Geschichte-Guido-Ahner/dp/1493752189/ref=sr_1_18?ie=UTF8&qid=1384379876&sr=8-18&keywords=Guido+Ahner

Donnerstag, 7. November 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XIX


Alles verloren, alles in einen einzigen Wurf gelegt, wie beim Würfeln. Caecus hatte nie gespielt, nur dieses eine Mal, als sein Glück herausgefordert wurde. Und er hatte kläglich versagt, verloren, keinen Lohn für seinen Mut erhalten.
Was man sich von den Katakomben unter der großen Arena erzählte, war kaum übertrieben. Der Gestank war niederdrückend. Männer und Frauen, in dunklen Käfigen sitzend, betend, jammernd oder stoisch vor sich hin starrend, warteten hier auf ihren Tod, auf einen Auftritt vor 50.000 Menschen, bei dem sie verbrannt, gepeinigt, gefressen und auch verhöhnt werden sollten. Sie verrichteten ihre Notdurft, versuchten sich umzubringen oder bebten vor grässlicher Todesangst, wenn sie nicht gerade einen geeigneten Gott fanden, der sich ihrer erbarmte, sie tröstete oder in den Wahnsinn der Gleichgütltigkeit schickte. Caecus hockte zusammen mit etwa einem Dutzend anderer Strolche, zusammengepfercht zu einer letzten unseligen Gemeinschaft. Irgendwo aus den Winkeln des labyrinthartigen Untergeschosses, direkt unter der Arena, konnte man auch das Knurren und Schnaufen der Tiere hören, der Bestien, die dem Urteil ihren Namen gaben: Damnatio ad Bestias. So behördlich rein klang dies, so würdevoll und definiert. Die größten Schrecken trugen sehr einfache Namen.
Marisca … Caecus war sich darüber bewusst, dass man ihr von seinem Mordversuch an Stolo erzählt hatte. Und nun hoffte und betete er, dass sie nichts unternahm, um ihn zu retten, dass sie schwieg und besser daran tat, aus dem Haus des Stolo zu fliehen. Für sich selbst verschwendete Caecus keine Hoffnung mehr, und er fühlte sich stark genug, mit seinem geschundenen Körper, mit dem verletzten Arm und der widerlichen Wunde an seinem Kopf, den Bestien mit Stolz in der Brust entgegen zu treten. Nur seine Unzulänglichkeit ärgerte ihn maßlos, und diese bittere Ironie, dass nun er, der sich nach dem Tod seiner Ehefrau endlich wieder erlaubt hatte zu lieben, dafür mit dem Tod bestraft wurde. Es half nichts. Niemand konnte mehr etwas daran ändern.
Nun hockte er hier, in diesem Albtraum aus Blut, Schweiß und Scheiße. Eine Nacht würde er ausharren müssen, bis er morgen endlich wieder vom Tageslicht berührt wurde, und von 50.000 Augenpaaren angestarrt. Und vom Tod empfangen, der in den Mäulern der Löwen wohnte.

Lasst mich in Frieden, Ihr dekadenten, fetten Hurenböcke! Ich will allein sein! Niemals mehr werde ich meine Knospe an Euch vergeuden, nie mehr werde ich irgendeinem Manne meine Hingabe schenken, nie nie nie mehr!”
Marisca tobte. Die Herren hielten Abstand und amüsierten sich über diese leidenschaftliche Vorstellung. Es blieb die Frage, ob es das Mädchen ernst meinte oder nur mit diesem Furor ihren Wert erhöhen wollte. Doch Stolo, der kichernd am Zimmer vorbeitrippelte, wusste, dass es ein sehr aufrichtiger Ausbruch der Gefühle war. Und den erlaubte er ihr. In wenigen Stunden würde sie mit ansehen, wie man ihren Geliebten zerfleischte, und darüber hinaus lag ihr eigenes Schicksal in Stolos parfumierter Waagschale. Er freute sich wie ein Kind über diesen Triumph, seinem Gegner Pictor sowohl seinen besten Maler, als auch Marisca stibitzt zu haben. Gewiss würde sie ihm einiges erzählen können, Interna von höchstem Wert, Schwächen und Geschichten, die den Esquiliner diskreditieren könnten. Marisca besaß einen gewissen Wert.
Niemand wird mich anrühren! Bleibt mir vom Leibe, Ihr scheißefressenden Schwanzlutscher! Ihr seid doch nichts als der Dünnschiiss, den Eure Mütter als Nachgeburt hinterlassen haben! Geht mir aus den Augen!”
Die Männer, allesamt Aventiner Handlanger und sogar ein paar hohe Beamte, machten “Ho ho”, und einige klatschten sogar Beifall.
Doch Marisca hatte bald genug von ihrem Wutanfall, der nichts anderes war als ein Ventil für ihre Verzweiflung. Es war ihr nun völlig unmöglich, der Zukunft irgendetwas Hoffnungsvolles abzuringen. Nichts Gutes lag mehr vor ihr, nicht mal eine Vorstellung davon.
Marisca flüchtete sich in ein Bett und schmiss die Decke über ihren Kopf. Sie hatte Stolo angefleht, gebettelt, ihre kleine Würde weggeworfen, nur um in dem Mann eine kleine Knospe des Mitleids zu öffnen, doch ohne Erfolg.
Der Gedanke an Caecus war Besänftigung und Qual zugleich. Wie musste er sich fühlen, jetzt in diesem Moment, als gewöhnlicher Verbrecher in den Katakomben der Arena auf seinen Tod wartend … Die Last hatte er ihr nehmen und sie davor schützen wollen, als Mörderin entlarvt zu werden, so wie ihm es nun erging. Ihr gebührte der Platz in der Arena, nicht ihm. Oder sie hätte erfolgreich sein können, dann wäre Stolo nun tot und alles gut.
Törichter Caecus, hast alles riskiert, und nun verpufften alle guten Gedanken im Angesicht der Trostlosigkeit.
Nun konnte sie ihren Auftrag nicht mehr ausführen. Stolo hatte wieder Wachen vor seinen Gemächern postiert, und sie selbst wurde ebenfalls bewacht. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie nicht niedergeschlagener als jetzt.
Dies wurde die traurigste Nacht ihres Lebens.

Der Ablauf bei den Spielen besaß Tradition. In den Stunden bis zur Mittagszeit wurden hauptsächlich Verbrecher und Kriegsgefangene hingerichtet. Später folgten die weitaus attraktiveren Gladiotorenkämpfe, Auseinandersetzungen Mann gegen Mann, bei denen sowohl die Römer aus der Oberschicht, die die unteren Ränge besetzten, wie auch das gemeine Volk auf den oberen ihre Helden bewundern konnten, sei es ein wagemutiger Thraker, ein finsterer Murmillo oder ein taktierender Secutor.
Stolo und sein Gefolge, inklusive Marisca, besaßen Karten für die oberen Ränge der unteren Sparte, saßen direkt über den Rittern und Senatoren und sahen zu, wie ein paar Kunststückler mit ihren Kaspereien das Publikum aufheiterten, bevor das wahre Schauspiel beginnen sollte. Marisca saß kraftlos und apathisch zwischen den Knaben und Mädchen ihres Herrn, blondiert, geschmückt und parfumiert. Wie eine Puppe, deren Fäden gekappt worden waren.

Unten in den Katakomben schwoll die Nervosität an. In der Zelle, in der Caecus mit den anderen Delinquenten wartete, hatte es eine Schlägerei gegeben. Doch kein Streit war ihr vorausgegangen. Man hatte sich nur von der übermächtigen Todesangst ablenken wollen.
Caecus saß in einer Ecke direkt am Gitter, stoisch und mit den Gedanken weit entfernt. Er dachte an die Farben der Bäume und Wiesen, an die Schönheit der Wolken und des Wassers. Neben ihm rief ein armer Dieb nach Juno, versuchte Ungeziefer zu fangen und der Göttin zu opfern. Einige Männer umarmten sich, andere vollzogen sogar Akte der Wollust. Alles für die Stärkung, für die Ablenkung im Angsichte der Zähne und Klauen, deren hilflose Opfer sie gleich werden sollten.
Bist Du der, den sie Caecus nennen?” hörte er eine brüchige Stimme neben sich.
Vor dem Gitter stand einer der unteren Wärter. Er hatte nur ein Auge, und seine Blässe verriet, dass er hier schon lange Dienst verrichtete und keine Sonne mehr gesehen hatte.
Ein anderer W#rter rief:
Die Felle!” worauf ein Karren mit Bärenfellen angeschoben kam. Einige der Gefangenen sollten in die hineingenäht werden, damit sie wie Beutetiere aussahen.
Caecus sah den Einäugigen an und sagte:
Das ist mein Name. Möchtest Du ein Portrait? Dann müssen wir uns aber beeilen ...”
Sein Sarkasmus ließ den Wärter lächeln:
Zu viel der Ehre, geschätzter Meistermaler. Es scheint, als wärst Du noch ein Mal von Fortuna geküsst worden.”
Wie meinst Du das?”
Jemandem ist es 100 Sesterze Wert, dass Du weiterlebst.”
 
 
 
 
 
Nächster, vorletzter Teil am Freitag, 15.11.2013