Donnerstag, 31. Oktober 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XVIII


Marisca konnte sich nicht erlauben, die Fellatio vorzeitig zu beenden, versprach sich doch der Herr unter ihr eine angemessene Wonne für einen Start in den neuen Tag.
Doch hörte sie während ihres Dienstes deutlich, wie bewaffnete Männer durch den Hof polterten und hoch darüber Stolos falsettartige Stimme, die nur bei einem besonderen Ereignis so übertrieben anschwoll, dass man sie noch jenseits des Tiber zu hören vermochte. Marisca verstand die Worte “Mord” und “Verrat”.
In diesem Moment dachte sie nicht im Traum daran, ihr Geliebter, der, wie sie glaubte, verstümmelt in einer der hinteren Kammern der Gesinderäume lag, könnte Anlass für diesen Tumult sein.
Und sie blieb noch ahnungslos, als sie nach unten zu einem ersten Frühstück ins Triklinium geschickt wurde, was immer mit einem kleinen Empfang für Klienten und Bittsteller verbungen war, mit Stolo als solzen Hausherrn und Dentatus als sein stiller Verbündeter, vor dem sich alle so sehr fürchteten, weil er als der beste Messerwerfer der Stadt galt, vielleicht der ganzen Region.
Die anderen Buhlknaben und Huren, die sich, wie Marisca auch, um den großen Mann scharten, hatten brav zu schweigen, während Stolo seine Mahlzeit zu sich nahm, Geschenke verteilte und Befehle in schwülstiger Versform vortrug.
Erst später, als die Gäste sich wieder entfernt hatten, widmete sich Stolo seinem engeren Kreis und wollte etwas verkünden:
Meine lieben Freunde, liebe Familie und Geiseln! Heute Nacht ist etwas Wundervolles geschehen. Ein dummer Querulant, ein gedungenes Rindvieh vom Scheißhügel des Esquilin, ist bis in mein Gemach vorgedrungen und hegte den wahnwitzigen Plan, mich zu töten!”
Die Anwesenden jauchzten auf, stöhnten, raunten und schlugen aus Empörung ihre Hände auf die Arme. Marisca erstarrte.
Jemand rief: “Hast Du ihn gemeistert mit Deinem Dolch?”
Oh nicht doch! Das wäre doch in meiner Position, jetzt wo meine Angelegenheiten ein geradezu außenpolitisches Gewicht erhalten und mich die Syrer schon zu einem Gott erheben wollen, ein mir unwürdiger Modus Operandi ...”
Raunen und Flüstern. Stolo grinste wie ein Kamel und sagte:
Selbstverständlich bin ich den Gesetzen unseres Imperiums unterworfen, so wie ein Senator oder ein Viehhändler, wie jedermann unter Sol Invictus. Ich rief nach den Stadtkohorten, nach einem Abgesandten der Präfektur, und in Demut und mit Wahrheitsliebe berichtete ich von diesem unwirschen, missglückten Anschlag, und dass sich der tolle Hund in meiner Gewalt befindet.
Meine Lieben, es war so leicht, es an einem halben Finger oder einem halben Ohr abzählen zu lassen, dass es dieser Pinselschwinger auf mein Leben abgesehen hatte. Zu durchsichtig schien sein Begehren, uns zu dienen, sich gegen seinen Hügel zu richten, zu einfältig und schon beleidigend für meine Intelligenz hatte er seine Lüge vorgetragen.
Die Kohorten nahmen ihn in ihre Obhut, und der Beamte sagte mir im Vertrauen, dass dieser Stultissimus uns zu Ehren bei der nächsten Damnatio ad Bestias seinem Schicksal in die Augen sehen soll!”
Marisca versuchte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, die Fassung zu bewahren, angesichts dessen, was sie gerade vernommen hatte. Caecus würde in Kürze, mitten in der Arena, den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen werden. Und sie, die sich schon bereit gemacht hatte, diesen Stolo so umzubringen, wie es Caecus in der Nacht versucht hatte, sah sich nun mit der Tatsache konfrontiert, dass ihre Liebe sterben würde.
Das konnte sie nicht zulassen …
Als Stolo einige Stunden später im Bade lag und einige Knaben für ein Stelldichein aussuchte, die ihm der Reihe nach präsentiert wurden, fasste Marisca einen schweren Entschluss, so schwer wie kein Entschluss je sein konnte, aber dennoch fühlte er sich in dieser Lage so leicht an, als ob sie die Feder eine Schwalbe von einer Mauer pusten würde.
Marisca, Volusa, ach nein, wir müssen uns für Dich einen neuen Namen einfallen lassen.”
sagte Stolo, während er zwei Knaben zum Ohrenschneiden einteilte.
Vielleicht Pulchra, oder Aquila, vielleicht sogar Venus ...”
Patronus, ich habe Euch etwas zu sagen.”
Du hast mir etwas zu sagen? Das klingt sehr schwanger, voller Bedeutung und dunkler Weissagung. Was kann es sein, das Dich so belastet hat?”
Es geht um den Maler Caecus, den Ihr den Vigiles überantwortet habt.”
Und für den wir alle einmal wieder in die Arena gehen werden, um zu sehen, wie er von den lieben Tierchen verschmaust wird … Was ist mit ihm? Du kennst diesen Mann?”
Er ist mein Geliebter, Patronus.”
Stolo streckte seinen Hals wie eine aufgeschreckte Giraffe:
Dein Geliebter? Wie kann das sein?”
Ich lernte ihn lieben, als ich in den Diensten des Esquilin stand, Patronus.”
Sie konnte sehen, wie sich seine Stimmung verdüsterte.
Du? Für den Esquilin? Meine Marisca hat für den Esquilin ...”
So ist es, Patronus.”
Finsterer als Stolos Blick konnte selbst die Hölle nicht sein:
Und Du hast davon gewusst, von seinem Mordgedanken? Antworte aufrichtig, ich erkenne jede Lüge.”
Nein. Das habe ich nicht gewusst.” In der Tat war dies keine Lüge. “Ich habe gehört, dass er hier aufgetaucht ist, und ich habe sehr kurz mit ihm gesprochen. Er hat es mir verschwiegen, wohl um mich zu schützen, damit Ihr, Patronus, nicht auf den Gedanken kommt, es wäre ein Komplott.”
Ein Komplott ist es sowieso, auch wenn Dein kleines Köpfchen ahnungslos gehalten wurde! Der Esquilin will mich also unterwandern, mich infiltrieren … Das werden diese Hurensöhne teuer bezahlen, denn nun wird es Krieg geben, offenen Krieg.”
Patronus, Caecus wurde gewiss zu diesem Plan gezwungen. Bestimmt hatte er keine Wahl.”
Ich soll diesem Umstand Wert beimessen? Ob er eine Wahl hatte, soll mich milde stimmen? Was stellst Du Dir vor, Esquilinierin? Soll ich ihn aus den Katakomben der Arena herausholen und in Deine Arme treiben und für alle sichtbar machen, was für ein gutes Herz ich habe?”
Marisca konnte darauf nichts sagen. Denn genau dass hatte sie erbeten wollen.
Stolo beugte sich in seinem Badezuber vor und sagte:
Wir gehen morgen in die Arena, schöne Marisca, und wir werden uns amüsieren und den Spielen zusehen, und Du wirst mit eigenen Augen mit ansehen, wie Dein geliebter Caecus von den Löwen und Tigern in Stücke gerissen und verzehrt wird!”



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Donnerstag, 24. Oktober 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XVII


Es war nicht so einfach, aber als er nach einer Stunde dauerhaften Reibens den Lederriemen an seiner linken Hand, der gesunden, lösen konnte, war der Rest ein Kinderspiel. Er sah so gut wie nichts, nur mit dem Restlicht einer Öllampse im Flur konnte er etwas erkennen, zumindest so viel, um nicht über irgendwelche Dinge zu stürzen.
Er wusste nicht, wie weit die Nacht schon vorangeschritten war, doch seine Ohren sagten ihm, dass in den Gesinderäumen niemand mehr wachte, selbst nicht die niedrigsten Sklaven, die das Gemüse für den nächsten Tag zu schneiden hatten. Dorthin wollte er – zur Küche.
Niemand erwartete ihn, denn alle dachten, er läge mit heftigen Schmerzen in diesem Abstellraum und haderte mit seinem Schicksal. Das mit den Schmerzen stimmte zwar, aber in diesem Moment zwang er sich, sie zu ignorieren, und auch um sein verlorenes Ohr zu trauern, verbot er sich. Seinen Arm hatten sie gebrochen, sein Ohr genommen, und nun schickte sich seine neue Liebe Marisca an, sich für ihn ins Unglück zu stürzen. Es gab genug Gründe, nun nicht den Mut und den Zorn zu verlieren.
Caecus war kein Meuchler, kein Dieb, kein nächtlicher Schleicher, und er besaß auch keinerlei Hinterlist. Er war Maler, ein Schöngeist, der gerne in griechischen Schriften las und allein in seinem Bett schlief. Ein Univirus war er, monogam und ehrlich, eine seltene Art von Mensch, nie ungerecht, selbst nicht gegenüber Sklaven, und fern jeder Tücke.
Heute Nacht nahm er eine Auszeit von seiner Philosophie.
In der Küche fand er ein schönes, sauberes Messer mit gut geschliffener Klinge. Es war kein Dolch, keine als solche gedachte Waffe, aber es reichte, um jemandem den Hals aufzuschlitzen. Ihm gelang es, unbemerkt in den Innenhof zu gelangen. Schwach flackernde Feuerhalter brannten. Wie Komplizen wiesen sie Caecus den Weg ins obere Stockwerk, über die schmale Außentreppe.
Stolos Gemach befand sich an der hinteren Stirnseite des Hofes, dort wo einst die verstorbene Giftmischerin gewohnt hatte. Caecus konnte sie schon riechen, die Aromen, die den weibischen Stolo auf Schritt und Tritt begleiteten, allen voran der süßliche Safran, der bei Caecus einen kleinen Würgereiz auslöste. Er verabscheute aufdringliche Parfums, bevorzugte den Geruch von Farbe und frischem Wasser, auch von gegrilltem Fisch.
Keine Wachen standen vor Stolos Räumen, aber als Caecus ein Vorzimmer betrat, erblickte er auf einer breiten Kline, dem Speisesofa, zwei kleine Buben mit kahlgeschorenen Schädeln, denen auch, wie Caecus, jeweils ein Ohr fehlte. Sie schnarchten wie kleine Ziegen.
Caecus musste an Marisca denken und fragte sich, wo in diesem Anwesen sie ihre Nachtruhe verbrachte. Vielleicht bei irgendeinem parfümierten Mörder oder einer perversen Matrona, die zum Zeitvertreib herausgeschälte Kinderaugen aß. Jede Scheußlichkeit stellte sich Caecus vor, jede grausame Spielart, um seinen Zorn am Leben zu erhalten. Dabei bemühte er nicht mal seine Phantasie, sondern rief sich Greueltaten ins Gedächtnis, von denen er zuvor schon gehört hatte – stierblutsaufende Konkubinen und feige Männer, die auf verwaiste Sklavenmädchen urinierten, Wahnsinnige, Massenmörder und allen voran die Lügner, denn die Lüge war in diesen Kreisen das billigste Gold.
Das Schlafgemach lag hinter zwei schweren Türhälften verborgen. Caecus begann zu zittern, als er das Küchenmesser zückte und so leise wie möglich einen Zeh zwischen die Hälften drückte, um die Tür fortan mit den Fingern weiter öffnen zu können.
Es gelang.
Das Bett war so groß wie in einer üblichen Cenacula ein ganzer Raum. Man hätte auf dem Bett Ball spielen können. Und inmitten der Seide und Polster, gelb und rot, schwarz und blau und mit schimmerndem Pupur – einer Farbe, die eigentlich Kaisern vorbehalten war -, lag der Aventiner Unhold Stolo, lang und schlank, nackt und schnarchend. Seine rechte Hand vibrierte leicht im Schlaf und ließ das daran baumelnde Silberkettchen leise klingen.
Caecus näherte sich und stand nun direkt am Bett. Zwei Stufen waren noch zu überwinden, die in die Polster führten, so wie bei allen Betten der gehobenen Herrschaften.
Eine der Stufen knarrte.
Stolo schlug die Augen auf. Caecus blieb starr. Der Aventiner blinzelte, blickte um sich, und als ob niemals etwas Gutes geschehen könnte, erblickte er den einfachen Mann, den Maler vom Esquilin, und sah in dessen linker Hand das Messer.
Als ob ich es gewusst hätte ...” sagte Stolo.
In diesem Moment fiel von Caecus jede Kraft ab. Er wagte es nicht, sich mit dem zwei Köpfe größeren Mann auf einen sinnlosen Kampf einzulassen.
Stolo erhob seine kastratenhafte Stimme und rief nach den Wachen …
 
 
 
 
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Donnerstag, 17. Oktober 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XVI


Marisca lag im oberen Stockwerk, parfümert, gesalbt, gründlich enthaart und blondiert. Rechts neben ihr döste der hübsche Liebhaber der Schwester der verstorbenen Giftmischerin, links ein ehrenwerter Senator, weniger hübsch.
Als sie in ihrer Ermattung die Augen schloss, drang aus dem unteren Bereich des Anwesens ein grässlicher Schrei durch den Innnehof. Das war nichts Ungewöhnliches, doch der seltsam vertraute Ton des Gemarterten machte sie hellhörig. Sie setzte sich auf und horchte.
Leg Dich wieder hin, geile Fossa” sagte der Senator. “Stolo nimmt nur ein Ohr. Das Nehmen eines Ohrs entfacht eine besondere Art von Gezeter. Es unterscheidet sich von den Lauten der Geißelung.”
Marisca hörte nicht auf den Mann und schlich aus dem Zimmer. Sie schaute über die Brüstung hinab in den Hof. Nichts war mehr zu hören.
Später am Abend, als Marisca mit Stolo und seinen Kumpanen zur abendlichen Cena im großen Triklinium lag, sprach niemand über den Vorfall. Marisca wandte sich an einen der Sklaven, die das Essen servierten.
Es ist ein Mann vom Esquilin!” sagte dieser, einen ausgespuckten Kirschkern an der Wange. “Es soll ein Maler sein, ein Abtrünniger.”
Ein Maler sagst Du?”
Der Sklave, in Sorge dass man ihn wegen seiner Geschwätzigkeit bestrafen könnte, huschte wieder davon. Marisca konnte es noch nicht glauben. Doch als sie ein Getuschel zweier anderer Sklaven mit anhörte, erfuhr sie, dass bewusster Abtrünniger von einem Medicus behandelt worden war und sich nun in einem der Gesinderäume erholte.
Marisca, mittlweile in der Hierachie des Hauses emporgestiegen und wegen ihres Äußeren sehr auffällig, musste einen geeigneten Augenblick finden, um sich zu vergewissern, ob ihre Ahnung bestätigt wurde oder nicht.
Doch natürlich machte sie sich die größten Sorgen und die schlimmsten Vorwürfe. Darüber vergaß sie, welch einen vorläufigen Plan sie sich für die Emordung von Stolo bereits ausgedacht hatte und fand keine Ruhe mehr, bis sich die Nacht über das Haus legte und ihre Herren entweder schliefen oder sie nicht mehr brauchten.
Sie warf sich einen schlichten Umhang über und schlich hinunter ins Erdgeschoss, tapste barfuß vorbei an der alten Giftküche und bog in den kühlen Korridor ein, aus dem man schon die Sklaven schnarchen und kopulieren hörte. Sie scheute sich nicht, in eine kleine Kammer hinein zu spechten, mitten in einen kleinen Liebesakt hinein, und zu fragen:
Der Maler, wo liegt er?”
Die Frau, über dem Mann hockend, erkannte Marisca sofort und zischte:
Was willst Du Schlampe bei dem? Er ist ein Esquiliner, eine Geisel!”
Halt die Fresse. Sag mir was ich wissen will, oder ich lasse dich und deinen Knaben von Stolos Männern in Stücke reißen!”
Der Mann sagte keuchend:
Dritte Tür links.”

Da lag er, ihr Caecus, den Kopf mit einem blutigen Verband umschnürt und schlafend. Es zerriss ihr das Herz, als sie ihn so sah, notdürftig gefesselt, auf einer harten Pritsche, und ein weiteres Mal verletzt. Zuerst war es sein Arm gewesen, und nun hatte man ihm auch noch sein linkes Ohr genommen.
Liebster ….”
Caecus schlug die Augen auf. Ganz verklebt waren sie von Blut. Doch so geschwächt und gemartert er auch erschien, er war sofort hellwach und erkannte Marisca.
Was ist dir dummes Weib bloß eingefallen, dich auf so eine Mission einzulassen? Willst du sterben? Was verlangt Pictor von dir? Sollst du ganz allein dieses miese Schwein töten?”
Es ist unser Schiff in die Freiheit. Liebster Caecus. Warum musstest du herkommen? Du machst es nur noch schlimmer. Ich hatte alles im Griff. Und nun bist du hier und hast ein Ohr verloren … Ich nenne dich Narr!”
Sie erwartete, dass er sie nun erneut beschimpfte, doch überraschte er sie, indem er sagte:
So sind wir beide Narren, hm? Wir leben in unserer Sehnsucht nach einer Welt, die nur uns gehört und sind bereit, dafür zu töten. Wir kennen uns kaum, und doch riskieren wir alles.”
Wenn man nichts riskiert, bleibt man das Spielgerät der Schurken.”
Da hast du recht, doch bei diesem Risiko verwandelt man sich schnell von einem sehnsüchtigen Ritter zu einem toten Trottel.”
Weißt du” sagte Marisca nicht ohne Sarkasmus, “Ich bin froh, dass er dir das Ohr abgeschnitten hat. Nun bist du krank und kannst mich nicht mehr hindern. Allerdings habe ich nun die herkulische Aufgabe, dich hier raus zu schaffen. Du hast alles erschwert.”
Wie willst du das denn anstellen, ihn zu töten? Was ist dein Plan?”
Er schläft alleine. Morgen Nacht werde ich in sein Gemach gehen und ihm seinen Hals öffnen. So einfach, so klar, so unwiderruflich. Er wird betrunken sein, und seine Lenden werden trübe von ihm herunter hängen, weil er sich zuvor bei seinen Knaben verausgabt hat. Er hatte recht, als er sagte, dass er alt wird. Er hat sich verändert, doch er hat immer noch die ihm auszeichnende Bosheit. Er ist der Mörder meiner Familie, er ist derjenige, der meinem Liebsten das Ohr genommen hat. Und nun wird der Schlussstrich gezogen! Es ist ein Auftrag von Picotr, gewiss, doch es ist darüber hinaus meine Rache!”
Caecus hatte zugehört. Er streichelte ihre Wange …
Geh nun zurück, dorthin, wo man dich schlafend vermutet. Errege keine Aufmerksamkeit, Liebste.”
Marisca nickte. Sie hatte Tränen der Wut in den Augen. Caecus lächelte sie an. Sie beugte sich herunter, küsste ihn und huschte schnell davon.
Caecus wartete, bis sie fort war, und dann sah er sich seine Fesseln an. Vielleicht konnte er sie lösen …




Nächster Teil Freitag, 25.10. 2013

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XV


Caecus musste an seine verstorbene Frau denken. Einst hatte sie ihn schützen wollen, seine Arbeit und seine Integrität, und daran war sie schließlich aus Sorge und Gram gestorben, verendet an der Tatsache, dass Caecus in die Fänge der Esquiliner geraten war.
Und nun dies.
Er brauchte nur eins und eins zusammenzählen, um dahinter zu kommen, auf was für einer Mission sich Marisca befand und weshalb sie ihn angelogen hatte. Pictor erwartete also ernsthaft, dass sie ein Attentat verübte.
Es gab keine Zeit zu verlieren. Mittlerweile wieder gut zu Fuß, eilte Caecus aus dem Anwesen zu seiner Wohnung und holte seine Goldschatulle. Diese deponierte er bei einem Händler, der sein volles Vertrauen genoss, und machte sich auf den Weg nach Westen, Richtung Tiber, zum Aventin.
Der Weg war lang, was ihm genügend Zeit zum Nachdenken gab.
Er würde sich als Überläufer inszenieren, als verbitterter Diener eines despotischen Pictor, unter dessen Fuchtel er nicht länger sein Talent verschwenden wollte. Er musste Marisca finden, und beide mussten beflissentlich ihre Bekanntschaft verbergen, um Marisca zu schützen.
Caecus musste sie irgendwie aus diesem Haus herausholen, koste es was es wolle.
Er betete zu Fortuna, zu Juno und sogar zu Jupiter, dass er noch rechtzeitig eintraf und die Tat oder der Versuch ihrer Ausführung noch nicht geschehen war. Am liebsten hätte er in einigen der vielen Tempel geopfert, doch die Zeit war zu knapp. Die ganze Längsseite des Circus Maximus rannte er entlang und bekam sogar Applaus von einigen Leuten, die darüber staunten, dass ein Mann mit einer Armschiene so schnell laufen konnte. Hinter dem Capitolshügel bekam er solch einen Durst, dass er einem kleinen Mann den Becher Posca aus der Hand riss und trank. Eine Kupfermünze machte es wieder gut.
Caecus kannte sich auf dem Aventin nicht besonders gut aus und war gezwungen, einige Leute nach dem Weg zu fragen, Den Tiber zu finden war nicht schwer, aber das bewusste Haus konnte überall sein, und er kannte auch das Gebäude der Armee, das Armilustrium nicht, das sich direkt gegenüber befinden sollte.
Nie und nimmer hätte er geahnt, dass man ihn hier in dem Revier der Feindesbande erkennen würde. Doch zwei Aventiner Bandenmitglieder versperrten ihm den Weg und verlangten den üblichen Wegzoll, den man hier als Esquilinier zu leisten hatte.
Ich zahle. Ich habe keinen Konflikt mit euch, aber bringt mich, wenn ich einen Bonus auf den Zoll addiere, zu Stolo. Ich muss dringend zu him. Ich bin Caecus, Pictors bester Maler. Schlagt mich, spuckt mich an, aber lasst mir meine linke Hand. Hier, seht meinen geschienten rechten Arm, der von einem Anschlag herrührt, weil man glaubte, ich sei Rechtshänder.”
Die beiden Straßenschläger schubsten ihn während seiner Ausführungen hin und her, aber sie freuten sich über das Geld und erklärten sich bereit, Caecus bei Stolo abzuliefern, weil sie sich davon eine zusätzliche Prämie erhofften.
Das Herz von Caecus schlug schnell wie das Klopfen eines Spechts, als er in das Atrium des Hauses trat. Wahrlich, hier herrschte eine gänzlich andere Atmosphäre als in Pictors Anwesen. Man bekam prompt das Gefühl, als lägen hinter den verschlossenen Türen grimmige Geheimnisse, was wohl auch stimmte. Hier hatte die Giftmischerin Licina ihre Taten geplant, hier wurden geheime Geschäfte mit den Syrern oder anderen fremden Gesandten abgewickelt. Und hier irgendwo musste sich Marisca befinden, die einst für dieses Haus als Lupa gedient hatte.
Im Innenhof, dem Peristyl, wartete er, ohne dass die Sklaven größere Notiz von ihm nahmen. Nur zwei bullige Wächter behielten ihn im Auge, und man konnte ihnen ansehen, dass sie nicht abgeneigt waren, Caecus zu peinigen, nur so als Zeitvertreib.
Nach ein paar Minuten kam eine alte kleine Frau auf ihn zu. Sie trug einen Trauerumhang.
„Was wünscht ihr, Herr?“ fragte sie, und ihre Stimme klang wie die einer Toten. Caecus sprach klar und deutlich:
„Bring mich zu Stolo. Mein Name ist Caecus, ich bin ein Abtrünniger der Esquiliner. Dein Herr müsste meinen Namen bereits kennen. Sag ihm, dass ich ein Angebot zu machen habe.“
Die Sklavin zeigte keinerlei Regung und sagte:
„Dies ist der Aventin. Ihr müsst Zoll bezahlen!“
„Das habe ich bereits, aber um Deine Herren milde zu stimmen, bin ich gerne bereit, ihn zu verdoppeln.“
Die Sklavin ging darauf nicht ein, drehte sich einfach um und ging. Eine andere Sklavin mit einer schiefen Nase und nur einem Auge fragte ihn, ob sie ihm einen Becher Wein bringen sollte. Caecus lächelte und lehnte freundlich ab. Er musste bei Verstand bleiben, und sein Mut, sich in die Höhle des Löwen gewagt zu haben, beflügelte ihn mehr, als jedes geistige Getränk es vermochte.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen. Caecus hoffte bei jeder Person, die durch den Innenhof lief, es mochte Marisca sein, doch sie war nirgends zu sehen.
Dann, endlich, öffnete sich eine der dunklen Türen, die vom Peristyl abzweigten, und heraus trat der reich geschmückte, hoch gewachsene und von zwei Lustknaben flankierte Stolo. Caecus fand, dass er recht freundlich aussah, aber er wusste, dass man darauf nichts geben durfte.
„Der Meistermaler vom unseligen Hügel! Erstaunlich.“ sagte Stolo mit seiner hohen, klaren Stimme. Caecus verbeugte sich. Die beiden Knaben neben ihm fungierten als Missachtungs-Ableiter. Während Stolo ein sehr einnehmendes Gesicht machte, stierten ihn die beiden Jungen an, als wäre Caecus der letzte Dreck.
„Werter Hausherr, ich hörte von eurem kürzlichen Verlust und möchte mein Beileid aussprechen. Ferner könnt ihr unschwer erkennen, dass ich vor kurzem versehrt worden bin, und dass mich dieser Umstand zu einigen grundlegenden Überlegungen angeregt hat, woraus ich den Schluss zog, nicht länger für den Hügel meines Herrn meine Treue zu verschwenden. Ihr wisst dass ich ein Meister meines Fachs bin, und mein Herr Pictor glaubte in seiner Torheit, er könne mich bestrafen, in dem er mir die rechte Hand verletzte, doch was er in seiner Ignoranz nicht wusste, war, dass meine Meisterschaft durch die andere, die linke Hand, zur Entfaltung kommt.“
Caecus konnte erkennen, dass Stolo seine Überraschung mühsam unterdrückte. Er war es gewesen, der den Anschlag auf Caecus verübt hatte, in dem Glauben, er wäre Rechtshänder.
„Nun“, sagte Stolo und überlegte. „Eine Linkspfote bist du also. Und dein Herr hat es die ganze Zeit nicht gewusst?“
Caecus lächelte hämisch: „Nehmt es als kleinen Beweis dafür, dass er über seine eigenen Leute weniger weiß als über caledonische Weiber.“
Stolo ließ sich davon nicht zu schnell bestechen:
„Du beleidigst ihn, weil er nicht anwesend ist. Du erlaubst dir Worte, die ich, wärst du mein Diener, mit aller Härte bestrafen würde. Du scheinst eine sehr wankelmütige und scheinheilige Seele zu sein, mein lieber Pinselschwinger.“
„Ich habe lange Jahre treu dem Hause des Pictor gedient und bin immer bescheiden und folgsam gewesen. Doch dieses eine Mal, als ich mich in ein Mädchen verliebte, das er für sich selbst beanspruchte, konnte ich meiner Ehre nur genüge tun, in dem ich mich zu dieser Liebe bekannte. Das hat meinem Herrn nicht gefallen ...“
Caecus hoffte, diese halbe Lüge würde genügen, um Stolo zu überzeugen. Und in der Tat schien er nun ein wenig aufgeschlossener zu sein, weil er in Caecus Augen den warmen Glanz einer verliebten Seele erkennen konnte. Er ging langsam auf Caecus zu, betrachtete seinen verbundenen Arm, sah ihm in die Augen, und schließlich betrachtete er eingehend Caecus' linkes Ohr.
„Wunderschön ...“
Caecus ahnte Schlimmes. Er hatte schon davon munkeln hören, dass Stolo besessen von Ohren junger Männer war.
„Mein lieber untreuer Maler, ich will dir deine Geschichte nicht durch meine Ungläubigkeit kaputtmachen, dazu ist sie zu schön, zu romantisch. Ja, ich ehre dich für deinen Wagemut und deinen Vortrag. Doch wisse, ich pflege gerne sicher zu gehen, ob ich einem Mann das Vertrauen schenken kann, der noch so sehr nach diesem Hügel des Esquilin riecht, der ihn noch in seinm Herzen trägt und seinen schmierigen Staub an den Schuhen klebt.“
„Wie kann ich euch überzeugen, Herr?“
„Ich will, dass du mir dein Ohr gibst. Dies hier, das Linke.“
Stolo strich mit seinen langen Fingern über Caecus' Ohr.
„Du malst mit der linken Hand, wie du sagtest. Also gebe mir das Ohr von dieser linken Seite, der wertvollen, und wir werden einen Platz für dich finden.“
„Und wie soll ich euch das Ohr geben?“
Caecus musste beinah lachen, da er diesen Vorschlag mehr als abwegig fand. Stolo sagte:
„Du brauchst nur deinen klugen Kopf stillhalten, Caecus. Sei ganz in Demut und Muße. Und ich tue meinen Teil. Ich schneide dir das Ohr ab.“





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Donnerstag, 3. Oktober 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XIV


Es stellte sich heraus, dass Stolo beabsichtigte, Marisca in seinen engeren Gefolgskreis aufzunehmen. Der bestand nicht aus Sklaven, sondern aus Freigelassenen, Klienten und Freunden, mit denen man sich gerne sehen ließ und die das eigene Erscheinungsbild ergänzten. Stolo umgab sich mit einer Unzahl an Buhlern, ehemaligen Strichern, Günstlingen und Halsabschneidern.
Einige davon kannten Marisca, und einige von diesen hatten ihre erotischen Dienste schon mehrmals in Anspruch genommen. Doch alle bestätigten unisono die leichte Veränderung an Mariscas Aura, und schließlich, als man ihr die Haare mit der importierten Pilae Mattiacae blondiert hatte, erschien sie wie eine andere, neue Person. Sie selbst fand die ungewohnte Farbe wenig reizvoll, aber sie half ihr, sich selbst ein wenig so wahrzunehmen, wie es die anderen taten, und obendrein benutzte sie diese neue Selbstsicht, um sich für das Vorhaben zu konditionieren, sich als eine Andere zu sehen, als eine fremde Meuchlerin, die nur so tat, als sei sie Marisca, die Tochter aus gutem Hause, verdorben durch die Dienste der Straße.
Sie begleitete Stolo zu verschiedenen Treffen, auch in die Arena zu den Gladiatorenspielen. Sie soff und schlemmte mit ihm und seinen Kumpanen und schlief nur mit einem Mann, wenn Stolo es verlangte, und dann handelte es sich immer um eine höher gestellte Person, egal ob Mann oder Frau. Natürlich dachte sie permanent an Caecus, an seine Hände, seine Stimme, seine Augen und an dieses unbeschreibliche Gefühl, das ihre Seele okkupierte, wenn er in ihrer Nähe war und beide dieselbe Luft atmeten. Das gab ihr Kraft, aber es setzte sie auch unter Druck.
Sie musste es schaffen.
Peinlich genau dokumentierte sie in ihrem Gedächtnis, wie ein üblicher Tag von Stolo ablief und notierte sich auch jede stimmungsabhängige Veränderung. Besonders die Zeiten im Bade und auf der Latrine interessierten sie. Nur selten hielt er sich irgendwo alleine auf, doch in der vierten Nacht, die sie nun in dort verbrachte, stellte sie erstaunt fest, dass er ohne Begleitung zu Bett ging. Er hatte sein Ruhebedürfnis zuvor sogar befohlen und gemurmelt, er werde anscheinend alt. Ironischerweise besaß sie, da sie nun in der Hierachie aufgestiegen war, die Erlaubnis, einen kleinen Dolch zu tragen.
Es galt nun, eine passende Nacht abzuwarten und sich wie ein Geist in das Gemach dieses Mannes zu schleichen, um ihn mit einem kraftvollen, gezielten Schnitt die Kehle auf zu trennen. Denn so wollte sie es tun. Rigoros und einfach, wie es Männer tatenn. Wie man es ihr nicht zutraute.
Marisca wusste, dass das Transitorium zu ihrer Zukunft so schmal war wie ein Nadelöhr. Tötete sie Stolo nicht, konnte sie nie mehr auf den Esquilin zu Pictors Haus zurück kehren. Das schloss ein Versagen ihres Mordversuchs sowie eine eventuelles Überlaufen mit ein. Man würde Caecus Schaden zufügen und dies so fachkundig anstellen, dass er als Maler weiterhin tätig sein konnte. Doch wiedersehen würde sie ihn nie wieder.
Welch eine herkulische Mission, wenn einem nichts anderes übrig blieb, als in einer Sache maximalen Erfolg zu erzielen, von der man keine Ahnung hatte.
Natürlich waren Marisca schon viele Mordgeschichten zu Ohren gekommen und hatte sich Details über diverse Durchführungen berichten lassen, doch davon zu hören und es selbst zu tun, war wie einen Vogel beim Flug zu betrachten und sich anschließend von einer Klippe zu stürzen, in der Hoffnung, man bräuchte nur die Arme auszubreiten, um wie ein Falke zu fliegen.
Und die Tat an sich, die Durchführung, wurde ihr immer vertrauter, je länger sie daran dachte und wie sehr sie diese Gedanken mit dem Wunsch verknüpfte, mit Caecus zusammen zu sein. Immer das große Ziel vor Augen halten. Wenn man es klar vor sich sah, war es schon der halbe Sieg.
Und immer wieder spielte sie durch, wie sie des nachts leise, ohne Sandalen, in den oberen Stock schlich, vorbei an den anderen Zimmern, am Innenhof entlang, und wie sie die leicht knarrende Tür von Stolos Cubiculm Noctis leicht beim Öffnen anhob, hineinglitt und dahinter gleich in die Hocke ging, zu Stolos riesigem Bett schwebte wie eine Biene, sein seidenes gelbes Laken beseite hauchte, die Klinge zückte und an seinen langen, nach Nelken dfutenden Hals anlegte …
Caecus hatte keine Ahnung, wohin es Marisca verschlagen hatte. Niemand wusste etwas, oder es wurde ihm verschwiegen. Mittlerweile ging es ihm so gut, dass er wieder in der Werkstatt arbeiten konnte. Das Portrait des Esquiliner Chefs Novellus konnte vollendet werden, und dieser kam sogar persönlich vorbei, um es abzuholen, wobei Caecus eine Prämie von 100 Denaren erhielt.
Anschießend musste dringend die Werkstatt aufgeräumt werden, wobei einem der Helfer das Bild in die Hände fiel, das Marisca kurz vor ihrem Aufbruch zu den Aventinern gemalt hatte. Man zeigte es Caecus und fragte ihn, ob man es aufheben sollte.
Caecus sah sich das Bild an. Er erkannte sofort den Banditen vom Aventin, Stolo, für den Marisca früher schon tätig gewesen war. In seinem Verstand fielen einige Mauersteinchen. Er erinnerte sich an Mariscas fadenscheinige Lüge, ihr hoffnungsvolles Gebaren.
Und schließlich, neben Stolos kahlem Schädel, erkannte Caecus auf dem Bild das Symbol von Pluto, dem Gott des Todes.
Götter … Sie kann doch nicht …!”



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