Donnerstag, 21. November 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. Teil XXI


Sie schlief. Das, was einmal ihr liebreizender Leib gewesen war, lag zerschmettert, aber nach allen Regeln der Kunst geschient auf der Pritsche. Ein schier unglaubliches Glück hatte sie gehabt.
Nachdem Pictor und sein Gefolge mit Caecus zum Esquilin aufbrechen wollten, fanden sie das arme Ding, umringt von einigen Schaulustigen, zerborsten am Boden liegen und haben sie auf Caecus' Flehen hin zum Hospital der Tiberinsel gebracht.
Nun saß er neben ihr am Krankenbett. Mariscas Augen waren dunkel unterlaufen, Arme und Beine in ein hölzernes Korsett geschnürt, die Nase gebrochen, und, was am schlimmsten war, der Wille zum Leben entfleucht.
Aus ihrem eingeschienten Arm ragten die schmalen Finge hervor, und Caecus legte seine in die ihren.
“Du dummes Ding, so eine grandiose Kandidatin für Spott und Verachtung, für die Gleichgültigkeit, die unsere Seelen bewohnt.“ sagte er leise. Marisca wusste nicht, dass Caecus noch am Leben war. In ihrer Welt war er bereits von den Löwen gefressen worden.
„Marisca. Volusa … Du siehst aus wie ein katastrophaler Schiffbruch, eine hirnwütige Havarie nach der Begegnung mit Skylla und Charybdis. Wie ein Odysseus ohne List.
Warum stürztest Du Dich hinunter? Um mir zu folgen? Niemand hatte Dir sagen können. Dass jemand meinen Platz eingenommen hat, nach meiner Rettung. Oh Graus, was hast Du ansehen müssen?“
Und nun konnte Caecus beobachten, wie Marisca das Bewusstsein wiedererlangte. Zunächst zuckten ihre Finger. Ein Stöhnen entströmte ihrem Mund. Die verquollenen Augen mühten sich zu blinzeln. Das Sonnenlicht schien durch ds Fenster. Der Fluss war zu hören, und die Kapitäne der Transportschiffe brüllten. Alles war wie immer, nichts hat sich in der Welt durch ihren Sturz verändert. Sie musste in diesem Moment glauben, jene Welt hatte bereits etwas verloren, ohne das sie nicht mehr Wert war, in ihr zu leben. Eine Welt ohne Caecus. Marisca schien nun jedoch zu spüren, dass lebendige Finger in den ihren lagen, und obwohl es sie stark schmerzte, drehte sie ihren Kopf.
Diese blutunterlaufenen Augenschlitze starrten Caecus an, und nun kullerten ihm ein paar Tränen herunter. Marisca glaubte, nun im Elysium zu sein, oder in einem gemeinen Traum. Saß dort wirklich der Mann, der eben noch in der Arena zerfleischt worden war?
„Du unglaubliche Närrin.“ sagte er leise und kurz davor, die Fassung zu verlieren. Und bei diesem Satz wusste sie, dass er echt war, diese Mann. Caecus sagte mit zitternder Stimme:
„Du wolltest mir begegnen, auf der anderen Seite. Weil Du mich liebst. Die Liebe einer Hure ist von Wert wie die eines Esels. Doch die Liebe der Blume, die in Dir wohnt, kann nur Amor selbst gepflanzt haben.“
Marisca konnte sich nicht rühren, nichts sagen, nur durch ihre Augen sprechen. Und diese glänzten im Begreifen, dass sie und Caecus tatsächlich gerettet worden waren und was für ein unglaubliches Geschenk dies in dieser Welt darstellte.
„Ich werde nicht eher lachen, nicht eher essen oder freien, bis Du genesen bist. Und solltest Du Dich nie wieder erholen, ist mein Tod ein winziges Opfer unter dem Himmel Roms, denn hier ehrt man die Liebe nicht, nur den Kampf. Gerade in solcher Einsamkeit sollten wir zusammen bleiben. Das bleibt uns.“
Beide wussten, was für ein schweres Los sie erwartete. Ein verstümmelter Maler, eine wahrscheinlich bis zu ihrem Lebensende hinkende und entstellte Lupa. Nur die Gesunden und Unversehrten bekamen Achtung, die Geschundenen nicht, es sei denn, sie hätten ihre Verletzungen durch einen Krieg geschenkt bekommen.
„Meine Hand ist gesund, mein Schatz. Sie wird uns ernähren. Und Pictor hat trotz seiner Verschlagenheit bewiesen, dass in seiner Brust ein kleines Herz schlägt.“
Marisca bewegte ihre geschwollenen Lippen. Aber Caecus flüsterte:
„Sag nichts. Schschsch ...“
Sie wusste, wie kaputt ihr Leib nun war. Doch das spielte nun keine Rolle, denn sie blickte in das Gesicht ihrer Liebe, und es war am Leben.
„Solche Narren sind wir, nicht klug genug für diese Welt, nicht stark genug, nicht gemein genug. Haben wir beide irgendeinen Wert, außer den, den wir im Anderen sehen?“
Marisca blinzelte und wollte damit sagen, dass sie nun keine Lust hatte, Worte über Wert und Unwert zu hören. Sie hatte recht. Es spielte keine Rolle. Caecus sah es ein und lächelte. Das tat er so selten, und als Marisca sein Lächeln zu erwidern versuchte, fiel ihr ein loser Zahn in den Gaumen. Es störte sie nicht.
„Marisca, meine Liebe, meine kleine Lupa … So lass uns denn gemeinsam wertlos werden.“



FINIS

© Guido Ahner 2009-2013


NÄCHSTER BLOG: Leseprobe aus dem Roman TELUM, voraussichtlich Dienstag
FATUM wurde 2009 als unabhängiger Spin-Off des noch nicht erschienenen Romans OSCULUM begonnen und 2013 für diesen Blog vollendet.
Hier geht es zum Buch (70 S., 6,37 €):


Begonnen hat alles mit dem Roman TELUM und den drei begleitenden Novellen PHILAEUM, OTIUM und DONUM, die ebenfalls in die Welt des Antiken Rom eintauchen, inhaltlich aber nichts mit FATUM gemein haben.
Ausführliche Informationen zu TELUM finden Sie auf:

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