Freitag, 28. Februar 2014

LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers TEIL VI


LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers 
 TEIL VI

„Musstest Du die Sache mit Mullinger derart ausufern lassen, Lord? Ich kenne Dich jetzt seit sechs Jahren. Früher bist Du etwas diskreter vorgegangen. Dieses Aufsehen gefällt unseren Geschäftpartnern bestimmt nicht.“
„Sie sollten wissen, dass ich immer wohl überlegte Gründe für mein Vorgehen habe ...“
„Nicht dass wir uns falsch verstehen. Niemand schätzt tote FBI-Agenten mehr als die Männer, die uns bezahlen. Doch stell dir mal den Trubel in meiner Behörde vor. Das nehmen die persönlich, das kratzt an ihrer Ehre und macht sie wirklich sauer.“
„Genau das war meine Intention, Benson. Und Du bist Leiter der Ermittlung. Du hast Kontakt zur Presse und kannst beeinflussen, wie die Sache nach außen dringt. Und ich muss Dir sagen, dass ich ein wenig unzufrieden damit bin, wie Du mir und dem Auftrag Rückendeckung gegeben hast. Ich musste eine dritte Person ins Spiel bringen, um mir ein genaues Bild vom Haus zu verschaffen. Ich arbeite gründlich und pflege mich gut vorzubereiten. Da warst Du nicht gerade eine große Hilfe.“
„Es ist diese Frau, richtig? Ich habe es mir schon gedacht. Und deshalb habe ich nur das Nötigste getan, um nicht den Verdacht zu erwecken, ich würde mehr wissen als ich sollte. Aber jetzt wird sie nicht mehr beschattet, du kannst also mit ihr machen was du willst.“
„Das brauchst du mir nicht zu sagen. Du tust nur, was dir gesagt wird und kassierst. Wie immer. Spiel dich nicht wie ein Bestimmer auf, nur weil du vor vier Monaten befördert worden bist.“
„Entschuldige, ich meinte ja nur.“
„Wie gefällt Dir der Popel?“
„Er ist … überirdisch. Ein Meisterwerk. Aber sei vorsichtig mit deinen E-Mails.“
„Vertrau mir, ich weiß was ich tue. Und ich habe ihn dir letztes Mal versprochen. Ich halte meine Versprechen. Immer. Merk dir das, für den Fall dass ich dir mal etwas Unfreundliches ankündige, was deine Person betrifft.“
„Droh mir nicht. Wir haben uns gegenseitig in der Hand. Also verschwenden wir unsere Zeit nicht mit leerem Säbelrasseln.“
„Ist nicht ganz korrekt deine Einschätzung. Ich bin ein Anonymus, ein Geist ohne Namen. Und wenn man meinen Nickname in den Mund nimmt, denken alle, es wird vom lieben Gott gesprochen.“
„Ja. Lord … Gab schon Originelleres.“
„Und du bist Fritz Benson, stellvertretender Direktor beim FBI-Field-Office von Los Angelese, Kalifornien. Verheiratet, einen Sohn auf dem College von Wittemberg, Ohio. Und Du schreibst an einem Buch über Naseninhalte unter dem Pseudonym Gunther Ganzheimer.“
„Wusstest du, dass der größte je gefundene Popel von einem Elefanten stammt? Der wog fast 300 Pfund.“
„Mir ist klar, dass ein Mann mit deinen Gewissenskonflikten so einen Ausgleich braucht. Begeistere dich ruhig dabei, befriedige deinen Drang, der Welt etwas zu hinterlassen. Und du hast ja auch durch unsere Geschäftsbeziehung genug Geld, um dein Werk zu veröffentlichen.“
„Ich bin mir all dessen bewusst, Lord. Ich muss gleich wieder ins Büro. Sag unseren Partnern, dass Benito Estevez kurz davor ist, gegen die Kolumbianer auszusagen. Und wenn das der Fall ist, verlagern wir ihn nach Denver. Ich gebe dir dann Bescheid.“
„Verstanden.“
„Und wenn wir schon von meinem Buchprojekt sprechen: Ich würde gerne wissen, wie du das machst. Wie du sie erschaffst, diese wunderbaren Popel.“
„Vielleicht wäre es besser, sie nicht länger so zu nennen. Ist dir nie in den Sinn gekommen, für sie ein besseres, edleres Wort zu finden?“
„Nun ...“
„Warum muss ich dir das sagen? Du bist der Autor. Lass deine Phantasie spielen.“
„Es ist nicht so leicht.“
„Ja ja, typisch Beamter ...“

Chariklia Paradopoulos hatte den Popel vom Lord sehr behutsam vom Taschentuch getrennt und in einer kleinen Tupperbox in ihr Gefrierfach getan. Natürlich hielt sie das rein objektiv für ziemlich töricht, aber sie hatte es nicht übers Herz gebracht, etwas so Schönes einfach in den Müll zu schmeißen. Sie erinnerte sich an ihren ersten Freund Manny Braunfelder, der als Teenager seine Popel unter die Kante seines Schreibtisches geschmiert und nach etwa einem Jahr abgekratzt und zur Arbeit mitgenommen hatte. Er war Hilfskoch in einem relativ guten Restaurant. Er hatte es geschafft, die Popel in einem Auflaufgericht unter zu bringen, das sein ehemaliger Mathelehrer und seine Frau bestellt hatten.
Kindische Dinge konnten sich im Nachhinein als Symptome eines Freiheitsgefühls herausstellen, als Trutzburg einer Weigerung, sich stets seinem Alter und den äußeren Erwartungen gemäß zu verhalten. Und wenn Chariklia es weiter sponn, erschien ihr der Beruf des Auftragskillers auch gar nicht mehr so verdammungswürdig. Was machte es schon aus, wer auf dieser Welt über Tod und Leben enschied? Riesenkonzerne kümmert es einen Dreck, wenn Menschen verhungern, alles wird der Wirtschaft untergeordnet. Und niemand hat eine wahrhaft übergreifende Philosophie anzubieten. Und der Lord mordet und verschafft seinen Opfern einen Status der Unvergesslichkeit. Er bewahrt sie, natürlich auf eine sehr rigorose und eigenmächtige Art, vor dem Vergessen und der Nichtigwerdung ihrer bloßen Existenz. Viele werden alt und verlieren ihre Energie, ihre Bedeutung, siechen dahin und schaffen es nicht, an ihre eigene Persönlichkeit anzuknüpfen. Der Lord gestaltet einen zur Verklärung bestimmten Abgang, er setzt ein Ende und versiegelt das Leben seiner Opfer, die aus dem Opferstatus heraus in einen Vollkommenheits-Pantheon aufsteigen und für ewig von ihren Hinterbliebenen verehrt werden. Oder, in anders gelagerten Fällen, könnte man das Ableben eines ungeliebten Ehemanns oder Bruders mit Erleichterung goutieren.
Durch dieses neue Kaleidoskop blickte Chariklia Paradopoulos auf die Welt und stellte viele Aspekte ihrer Vergangenheit sich selbst gegenüber wieder zur Diskussion. Wäre sie heute glücklicher, wenn ihr Ex-Mann bei einem Unfall umgekommen wäre und nun nicht mit Jasmin Clarke zusammen leben würde?
Wahrscheinlich würde sie ihm heute immer noch nachtrauern und mehr in ihm sehen, als er war. Sie stellte fest, dass dem Menschen durch seinen frühzeitigen Tod eine Ehre zuteil wird, die er meistens gar nicht verdient. Nein, sogar die Arschlöcher verdienten ein langes Leben in Pein, verdienten den langen tristen Weg in die altersbedingte Unfähigkeit, ins Närrische, Faltige und Inkontinente.
Chariklia nahm sich ein Taschentuch und begann zu popeln.


Nächster Teil Freitag, 07.03.2014


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