LORD DELUXE –
Aus der Nase eines Killers
TEIL VI
„Musstest Du die
Sache mit Mullinger derart ausufern lassen, Lord? Ich kenne Dich
jetzt seit sechs Jahren. Früher bist Du etwas diskreter vorgegangen.
Dieses Aufsehen gefällt unseren Geschäftpartnern bestimmt nicht.“
„Sie sollten
wissen, dass ich immer wohl überlegte Gründe für mein Vorgehen
habe ...“
„Nicht dass wir
uns falsch verstehen. Niemand schätzt tote FBI-Agenten mehr als die
Männer, die uns bezahlen. Doch stell dir mal den Trubel in meiner
Behörde vor. Das nehmen die persönlich, das kratzt an ihrer Ehre
und macht sie wirklich sauer.“
„Genau das war
meine Intention, Benson. Und Du bist Leiter der Ermittlung. Du hast
Kontakt zur Presse und kannst beeinflussen, wie die Sache nach außen
dringt. Und ich muss Dir sagen, dass ich ein wenig unzufrieden damit
bin, wie Du mir und dem Auftrag Rückendeckung gegeben hast. Ich
musste eine dritte Person ins Spiel bringen, um mir ein genaues Bild
vom Haus zu verschaffen. Ich arbeite gründlich und pflege mich gut
vorzubereiten. Da warst Du nicht gerade eine große Hilfe.“
„Es ist diese
Frau, richtig? Ich habe es mir schon gedacht. Und deshalb habe ich
nur das Nötigste getan, um nicht den Verdacht zu erwecken, ich würde
mehr wissen als ich sollte. Aber jetzt wird sie nicht mehr
beschattet, du kannst also mit ihr machen was du willst.“
„Das brauchst du
mir nicht zu sagen. Du tust nur, was dir gesagt wird und kassierst.
Wie immer. Spiel dich nicht wie ein Bestimmer auf, nur weil du vor
vier Monaten befördert worden bist.“
„Entschuldige, ich
meinte ja nur.“
„Wie gefällt Dir
der Popel?“
„Er ist …
überirdisch. Ein Meisterwerk. Aber sei vorsichtig mit deinen
E-Mails.“
„Vertrau mir, ich
weiß was ich tue. Und ich habe ihn dir letztes Mal versprochen. Ich
halte meine Versprechen. Immer. Merk dir das, für den Fall dass ich
dir mal etwas Unfreundliches ankündige, was deine Person betrifft.“
„Droh mir nicht.
Wir haben uns gegenseitig in der Hand. Also verschwenden wir unsere
Zeit nicht mit leerem Säbelrasseln.“
„Ist nicht ganz
korrekt deine Einschätzung. Ich bin ein Anonymus, ein Geist ohne
Namen. Und wenn man meinen Nickname in den Mund nimmt, denken alle,
es wird vom lieben Gott gesprochen.“
„Ja. Lord … Gab
schon Originelleres.“
„Und du bist Fritz
Benson, stellvertretender Direktor beim FBI-Field-Office von Los
Angelese, Kalifornien. Verheiratet, einen Sohn auf dem College von
Wittemberg, Ohio. Und Du schreibst an einem Buch über Naseninhalte
unter dem Pseudonym Gunther Ganzheimer.“
„Wusstest du, dass
der größte je gefundene Popel von einem Elefanten stammt? Der wog
fast 300 Pfund.“
„Mir ist klar,
dass ein Mann mit deinen Gewissenskonflikten so einen Ausgleich
braucht. Begeistere dich ruhig dabei, befriedige deinen Drang, der
Welt etwas zu hinterlassen. Und du hast ja auch durch unsere
Geschäftsbeziehung genug Geld, um dein Werk zu veröffentlichen.“
„Ich bin mir all
dessen bewusst, Lord. Ich muss gleich wieder ins Büro. Sag unseren
Partnern, dass Benito Estevez kurz davor ist, gegen die Kolumbianer
auszusagen. Und wenn das der Fall ist, verlagern wir ihn nach Denver.
Ich gebe dir dann Bescheid.“
„Verstanden.“
„Und wenn wir
schon von meinem Buchprojekt sprechen: Ich würde gerne wissen, wie
du das machst. Wie du sie erschaffst, diese wunderbaren Popel.“
„Vielleicht wäre
es besser, sie nicht länger so zu nennen. Ist dir nie in den Sinn
gekommen, für sie ein besseres, edleres Wort zu finden?“
„Nun ...“
„Warum muss ich
dir das sagen? Du bist der Autor. Lass deine Phantasie spielen.“
„Es ist nicht so
leicht.“
„Ja ja, typisch
Beamter ...“
Chariklia
Paradopoulos hatte den Popel vom Lord sehr behutsam vom Taschentuch
getrennt und in einer kleinen Tupperbox in ihr Gefrierfach getan.
Natürlich hielt sie das rein objektiv für ziemlich töricht, aber
sie hatte es nicht übers Herz gebracht, etwas so Schönes einfach in
den Müll zu schmeißen. Sie erinnerte sich an ihren ersten Freund
Manny Braunfelder, der als Teenager seine Popel unter die Kante
seines Schreibtisches geschmiert und nach etwa einem Jahr abgekratzt
und zur Arbeit mitgenommen hatte. Er war Hilfskoch in einem relativ
guten Restaurant. Er hatte es geschafft, die Popel in einem
Auflaufgericht unter zu bringen, das sein ehemaliger Mathelehrer und
seine Frau bestellt hatten.
Kindische Dinge
konnten sich im Nachhinein als Symptome eines Freiheitsgefühls
herausstellen, als Trutzburg einer Weigerung, sich stets seinem Alter
und den äußeren Erwartungen gemäß zu verhalten. Und wenn
Chariklia es weiter sponn, erschien ihr der Beruf des Auftragskillers
auch gar nicht mehr so verdammungswürdig. Was machte es schon aus,
wer auf dieser Welt über Tod und Leben enschied? Riesenkonzerne
kümmert es einen Dreck, wenn Menschen verhungern, alles wird der
Wirtschaft untergeordnet. Und niemand hat eine wahrhaft übergreifende
Philosophie anzubieten. Und der Lord mordet und verschafft seinen
Opfern einen Status der Unvergesslichkeit. Er bewahrt sie, natürlich
auf eine sehr rigorose und eigenmächtige Art, vor dem Vergessen und
der Nichtigwerdung ihrer bloßen Existenz. Viele werden alt und
verlieren ihre Energie, ihre Bedeutung, siechen dahin und schaffen es
nicht, an ihre eigene Persönlichkeit anzuknüpfen. Der Lord
gestaltet einen zur Verklärung bestimmten Abgang, er setzt ein Ende
und versiegelt das Leben seiner Opfer, die aus dem Opferstatus heraus
in einen Vollkommenheits-Pantheon aufsteigen und für ewig von ihren
Hinterbliebenen verehrt werden. Oder, in anders gelagerten Fällen,
könnte man das Ableben eines ungeliebten Ehemanns oder Bruders mit
Erleichterung goutieren.
Durch dieses neue
Kaleidoskop blickte Chariklia Paradopoulos auf die Welt und stellte
viele Aspekte ihrer Vergangenheit sich selbst gegenüber wieder zur
Diskussion. Wäre sie heute glücklicher, wenn ihr Ex-Mann bei einem
Unfall umgekommen wäre und nun nicht mit Jasmin Clarke zusammen
leben würde?
Wahrscheinlich würde
sie ihm heute immer noch nachtrauern und mehr in ihm sehen, als er
war. Sie stellte fest, dass dem Menschen durch seinen frühzeitigen
Tod eine Ehre zuteil wird, die er meistens gar nicht verdient. Nein,
sogar die Arschlöcher verdienten ein langes Leben in Pein,
verdienten den langen tristen Weg in die altersbedingte Unfähigkeit,
ins Närrische, Faltige und Inkontinente.
Chariklia nahm sich
ein Taschentuch und begann zu popeln.
Nächster Teil Freitag, 07.03.2014
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