Donnerstag, 7. November 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XIX


Alles verloren, alles in einen einzigen Wurf gelegt, wie beim Würfeln. Caecus hatte nie gespielt, nur dieses eine Mal, als sein Glück herausgefordert wurde. Und er hatte kläglich versagt, verloren, keinen Lohn für seinen Mut erhalten.
Was man sich von den Katakomben unter der großen Arena erzählte, war kaum übertrieben. Der Gestank war niederdrückend. Männer und Frauen, in dunklen Käfigen sitzend, betend, jammernd oder stoisch vor sich hin starrend, warteten hier auf ihren Tod, auf einen Auftritt vor 50.000 Menschen, bei dem sie verbrannt, gepeinigt, gefressen und auch verhöhnt werden sollten. Sie verrichteten ihre Notdurft, versuchten sich umzubringen oder bebten vor grässlicher Todesangst, wenn sie nicht gerade einen geeigneten Gott fanden, der sich ihrer erbarmte, sie tröstete oder in den Wahnsinn der Gleichgütltigkeit schickte. Caecus hockte zusammen mit etwa einem Dutzend anderer Strolche, zusammengepfercht zu einer letzten unseligen Gemeinschaft. Irgendwo aus den Winkeln des labyrinthartigen Untergeschosses, direkt unter der Arena, konnte man auch das Knurren und Schnaufen der Tiere hören, der Bestien, die dem Urteil ihren Namen gaben: Damnatio ad Bestias. So behördlich rein klang dies, so würdevoll und definiert. Die größten Schrecken trugen sehr einfache Namen.
Marisca … Caecus war sich darüber bewusst, dass man ihr von seinem Mordversuch an Stolo erzählt hatte. Und nun hoffte und betete er, dass sie nichts unternahm, um ihn zu retten, dass sie schwieg und besser daran tat, aus dem Haus des Stolo zu fliehen. Für sich selbst verschwendete Caecus keine Hoffnung mehr, und er fühlte sich stark genug, mit seinem geschundenen Körper, mit dem verletzten Arm und der widerlichen Wunde an seinem Kopf, den Bestien mit Stolz in der Brust entgegen zu treten. Nur seine Unzulänglichkeit ärgerte ihn maßlos, und diese bittere Ironie, dass nun er, der sich nach dem Tod seiner Ehefrau endlich wieder erlaubt hatte zu lieben, dafür mit dem Tod bestraft wurde. Es half nichts. Niemand konnte mehr etwas daran ändern.
Nun hockte er hier, in diesem Albtraum aus Blut, Schweiß und Scheiße. Eine Nacht würde er ausharren müssen, bis er morgen endlich wieder vom Tageslicht berührt wurde, und von 50.000 Augenpaaren angestarrt. Und vom Tod empfangen, der in den Mäulern der Löwen wohnte.

Lasst mich in Frieden, Ihr dekadenten, fetten Hurenböcke! Ich will allein sein! Niemals mehr werde ich meine Knospe an Euch vergeuden, nie mehr werde ich irgendeinem Manne meine Hingabe schenken, nie nie nie mehr!”
Marisca tobte. Die Herren hielten Abstand und amüsierten sich über diese leidenschaftliche Vorstellung. Es blieb die Frage, ob es das Mädchen ernst meinte oder nur mit diesem Furor ihren Wert erhöhen wollte. Doch Stolo, der kichernd am Zimmer vorbeitrippelte, wusste, dass es ein sehr aufrichtiger Ausbruch der Gefühle war. Und den erlaubte er ihr. In wenigen Stunden würde sie mit ansehen, wie man ihren Geliebten zerfleischte, und darüber hinaus lag ihr eigenes Schicksal in Stolos parfumierter Waagschale. Er freute sich wie ein Kind über diesen Triumph, seinem Gegner Pictor sowohl seinen besten Maler, als auch Marisca stibitzt zu haben. Gewiss würde sie ihm einiges erzählen können, Interna von höchstem Wert, Schwächen und Geschichten, die den Esquiliner diskreditieren könnten. Marisca besaß einen gewissen Wert.
Niemand wird mich anrühren! Bleibt mir vom Leibe, Ihr scheißefressenden Schwanzlutscher! Ihr seid doch nichts als der Dünnschiiss, den Eure Mütter als Nachgeburt hinterlassen haben! Geht mir aus den Augen!”
Die Männer, allesamt Aventiner Handlanger und sogar ein paar hohe Beamte, machten “Ho ho”, und einige klatschten sogar Beifall.
Doch Marisca hatte bald genug von ihrem Wutanfall, der nichts anderes war als ein Ventil für ihre Verzweiflung. Es war ihr nun völlig unmöglich, der Zukunft irgendetwas Hoffnungsvolles abzuringen. Nichts Gutes lag mehr vor ihr, nicht mal eine Vorstellung davon.
Marisca flüchtete sich in ein Bett und schmiss die Decke über ihren Kopf. Sie hatte Stolo angefleht, gebettelt, ihre kleine Würde weggeworfen, nur um in dem Mann eine kleine Knospe des Mitleids zu öffnen, doch ohne Erfolg.
Der Gedanke an Caecus war Besänftigung und Qual zugleich. Wie musste er sich fühlen, jetzt in diesem Moment, als gewöhnlicher Verbrecher in den Katakomben der Arena auf seinen Tod wartend … Die Last hatte er ihr nehmen und sie davor schützen wollen, als Mörderin entlarvt zu werden, so wie ihm es nun erging. Ihr gebührte der Platz in der Arena, nicht ihm. Oder sie hätte erfolgreich sein können, dann wäre Stolo nun tot und alles gut.
Törichter Caecus, hast alles riskiert, und nun verpufften alle guten Gedanken im Angesicht der Trostlosigkeit.
Nun konnte sie ihren Auftrag nicht mehr ausführen. Stolo hatte wieder Wachen vor seinen Gemächern postiert, und sie selbst wurde ebenfalls bewacht. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie nicht niedergeschlagener als jetzt.
Dies wurde die traurigste Nacht ihres Lebens.

Der Ablauf bei den Spielen besaß Tradition. In den Stunden bis zur Mittagszeit wurden hauptsächlich Verbrecher und Kriegsgefangene hingerichtet. Später folgten die weitaus attraktiveren Gladiotorenkämpfe, Auseinandersetzungen Mann gegen Mann, bei denen sowohl die Römer aus der Oberschicht, die die unteren Ränge besetzten, wie auch das gemeine Volk auf den oberen ihre Helden bewundern konnten, sei es ein wagemutiger Thraker, ein finsterer Murmillo oder ein taktierender Secutor.
Stolo und sein Gefolge, inklusive Marisca, besaßen Karten für die oberen Ränge der unteren Sparte, saßen direkt über den Rittern und Senatoren und sahen zu, wie ein paar Kunststückler mit ihren Kaspereien das Publikum aufheiterten, bevor das wahre Schauspiel beginnen sollte. Marisca saß kraftlos und apathisch zwischen den Knaben und Mädchen ihres Herrn, blondiert, geschmückt und parfumiert. Wie eine Puppe, deren Fäden gekappt worden waren.

Unten in den Katakomben schwoll die Nervosität an. In der Zelle, in der Caecus mit den anderen Delinquenten wartete, hatte es eine Schlägerei gegeben. Doch kein Streit war ihr vorausgegangen. Man hatte sich nur von der übermächtigen Todesangst ablenken wollen.
Caecus saß in einer Ecke direkt am Gitter, stoisch und mit den Gedanken weit entfernt. Er dachte an die Farben der Bäume und Wiesen, an die Schönheit der Wolken und des Wassers. Neben ihm rief ein armer Dieb nach Juno, versuchte Ungeziefer zu fangen und der Göttin zu opfern. Einige Männer umarmten sich, andere vollzogen sogar Akte der Wollust. Alles für die Stärkung, für die Ablenkung im Angsichte der Zähne und Klauen, deren hilflose Opfer sie gleich werden sollten.
Bist Du der, den sie Caecus nennen?” hörte er eine brüchige Stimme neben sich.
Vor dem Gitter stand einer der unteren Wärter. Er hatte nur ein Auge, und seine Blässe verriet, dass er hier schon lange Dienst verrichtete und keine Sonne mehr gesehen hatte.
Ein anderer W#rter rief:
Die Felle!” worauf ein Karren mit Bärenfellen angeschoben kam. Einige der Gefangenen sollten in die hineingenäht werden, damit sie wie Beutetiere aussahen.
Caecus sah den Einäugigen an und sagte:
Das ist mein Name. Möchtest Du ein Portrait? Dann müssen wir uns aber beeilen ...”
Sein Sarkasmus ließ den Wärter lächeln:
Zu viel der Ehre, geschätzter Meistermaler. Es scheint, als wärst Du noch ein Mal von Fortuna geküsst worden.”
Wie meinst Du das?”
Jemandem ist es 100 Sesterze Wert, dass Du weiterlebst.”
 
 
 
 
 
Nächster, vorletzter Teil am Freitag, 15.11.2013

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