Freitag, 28. Februar 2014

LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers TEIL VI


LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers 
 TEIL VI

„Musstest Du die Sache mit Mullinger derart ausufern lassen, Lord? Ich kenne Dich jetzt seit sechs Jahren. Früher bist Du etwas diskreter vorgegangen. Dieses Aufsehen gefällt unseren Geschäftpartnern bestimmt nicht.“
„Sie sollten wissen, dass ich immer wohl überlegte Gründe für mein Vorgehen habe ...“
„Nicht dass wir uns falsch verstehen. Niemand schätzt tote FBI-Agenten mehr als die Männer, die uns bezahlen. Doch stell dir mal den Trubel in meiner Behörde vor. Das nehmen die persönlich, das kratzt an ihrer Ehre und macht sie wirklich sauer.“
„Genau das war meine Intention, Benson. Und Du bist Leiter der Ermittlung. Du hast Kontakt zur Presse und kannst beeinflussen, wie die Sache nach außen dringt. Und ich muss Dir sagen, dass ich ein wenig unzufrieden damit bin, wie Du mir und dem Auftrag Rückendeckung gegeben hast. Ich musste eine dritte Person ins Spiel bringen, um mir ein genaues Bild vom Haus zu verschaffen. Ich arbeite gründlich und pflege mich gut vorzubereiten. Da warst Du nicht gerade eine große Hilfe.“
„Es ist diese Frau, richtig? Ich habe es mir schon gedacht. Und deshalb habe ich nur das Nötigste getan, um nicht den Verdacht zu erwecken, ich würde mehr wissen als ich sollte. Aber jetzt wird sie nicht mehr beschattet, du kannst also mit ihr machen was du willst.“
„Das brauchst du mir nicht zu sagen. Du tust nur, was dir gesagt wird und kassierst. Wie immer. Spiel dich nicht wie ein Bestimmer auf, nur weil du vor vier Monaten befördert worden bist.“
„Entschuldige, ich meinte ja nur.“
„Wie gefällt Dir der Popel?“
„Er ist … überirdisch. Ein Meisterwerk. Aber sei vorsichtig mit deinen E-Mails.“
„Vertrau mir, ich weiß was ich tue. Und ich habe ihn dir letztes Mal versprochen. Ich halte meine Versprechen. Immer. Merk dir das, für den Fall dass ich dir mal etwas Unfreundliches ankündige, was deine Person betrifft.“
„Droh mir nicht. Wir haben uns gegenseitig in der Hand. Also verschwenden wir unsere Zeit nicht mit leerem Säbelrasseln.“
„Ist nicht ganz korrekt deine Einschätzung. Ich bin ein Anonymus, ein Geist ohne Namen. Und wenn man meinen Nickname in den Mund nimmt, denken alle, es wird vom lieben Gott gesprochen.“
„Ja. Lord … Gab schon Originelleres.“
„Und du bist Fritz Benson, stellvertretender Direktor beim FBI-Field-Office von Los Angelese, Kalifornien. Verheiratet, einen Sohn auf dem College von Wittemberg, Ohio. Und Du schreibst an einem Buch über Naseninhalte unter dem Pseudonym Gunther Ganzheimer.“
„Wusstest du, dass der größte je gefundene Popel von einem Elefanten stammt? Der wog fast 300 Pfund.“
„Mir ist klar, dass ein Mann mit deinen Gewissenskonflikten so einen Ausgleich braucht. Begeistere dich ruhig dabei, befriedige deinen Drang, der Welt etwas zu hinterlassen. Und du hast ja auch durch unsere Geschäftsbeziehung genug Geld, um dein Werk zu veröffentlichen.“
„Ich bin mir all dessen bewusst, Lord. Ich muss gleich wieder ins Büro. Sag unseren Partnern, dass Benito Estevez kurz davor ist, gegen die Kolumbianer auszusagen. Und wenn das der Fall ist, verlagern wir ihn nach Denver. Ich gebe dir dann Bescheid.“
„Verstanden.“
„Und wenn wir schon von meinem Buchprojekt sprechen: Ich würde gerne wissen, wie du das machst. Wie du sie erschaffst, diese wunderbaren Popel.“
„Vielleicht wäre es besser, sie nicht länger so zu nennen. Ist dir nie in den Sinn gekommen, für sie ein besseres, edleres Wort zu finden?“
„Nun ...“
„Warum muss ich dir das sagen? Du bist der Autor. Lass deine Phantasie spielen.“
„Es ist nicht so leicht.“
„Ja ja, typisch Beamter ...“

Chariklia Paradopoulos hatte den Popel vom Lord sehr behutsam vom Taschentuch getrennt und in einer kleinen Tupperbox in ihr Gefrierfach getan. Natürlich hielt sie das rein objektiv für ziemlich töricht, aber sie hatte es nicht übers Herz gebracht, etwas so Schönes einfach in den Müll zu schmeißen. Sie erinnerte sich an ihren ersten Freund Manny Braunfelder, der als Teenager seine Popel unter die Kante seines Schreibtisches geschmiert und nach etwa einem Jahr abgekratzt und zur Arbeit mitgenommen hatte. Er war Hilfskoch in einem relativ guten Restaurant. Er hatte es geschafft, die Popel in einem Auflaufgericht unter zu bringen, das sein ehemaliger Mathelehrer und seine Frau bestellt hatten.
Kindische Dinge konnten sich im Nachhinein als Symptome eines Freiheitsgefühls herausstellen, als Trutzburg einer Weigerung, sich stets seinem Alter und den äußeren Erwartungen gemäß zu verhalten. Und wenn Chariklia es weiter sponn, erschien ihr der Beruf des Auftragskillers auch gar nicht mehr so verdammungswürdig. Was machte es schon aus, wer auf dieser Welt über Tod und Leben enschied? Riesenkonzerne kümmert es einen Dreck, wenn Menschen verhungern, alles wird der Wirtschaft untergeordnet. Und niemand hat eine wahrhaft übergreifende Philosophie anzubieten. Und der Lord mordet und verschafft seinen Opfern einen Status der Unvergesslichkeit. Er bewahrt sie, natürlich auf eine sehr rigorose und eigenmächtige Art, vor dem Vergessen und der Nichtigwerdung ihrer bloßen Existenz. Viele werden alt und verlieren ihre Energie, ihre Bedeutung, siechen dahin und schaffen es nicht, an ihre eigene Persönlichkeit anzuknüpfen. Der Lord gestaltet einen zur Verklärung bestimmten Abgang, er setzt ein Ende und versiegelt das Leben seiner Opfer, die aus dem Opferstatus heraus in einen Vollkommenheits-Pantheon aufsteigen und für ewig von ihren Hinterbliebenen verehrt werden. Oder, in anders gelagerten Fällen, könnte man das Ableben eines ungeliebten Ehemanns oder Bruders mit Erleichterung goutieren.
Durch dieses neue Kaleidoskop blickte Chariklia Paradopoulos auf die Welt und stellte viele Aspekte ihrer Vergangenheit sich selbst gegenüber wieder zur Diskussion. Wäre sie heute glücklicher, wenn ihr Ex-Mann bei einem Unfall umgekommen wäre und nun nicht mit Jasmin Clarke zusammen leben würde?
Wahrscheinlich würde sie ihm heute immer noch nachtrauern und mehr in ihm sehen, als er war. Sie stellte fest, dass dem Menschen durch seinen frühzeitigen Tod eine Ehre zuteil wird, die er meistens gar nicht verdient. Nein, sogar die Arschlöcher verdienten ein langes Leben in Pein, verdienten den langen tristen Weg in die altersbedingte Unfähigkeit, ins Närrische, Faltige und Inkontinente.
Chariklia nahm sich ein Taschentuch und begann zu popeln.


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Donnerstag, 20. Februar 2014

LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers TEIL V


LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers 
TEIL V

„Was ist das für ein Gefühl, leise und schnell in ein Haus einzudringen, alle Menschen zu töten und unerkannt wieder zu verschwinden?“ fragte Chariklia Papadopoulos, während sie die Tagliatelle so gesittet wie möglich in sich hinein schlürfte.
Sie hatte den Lord trotz seiner Veränderungen wieder erkannt und fand die kurzen Haare sogar sehr attraktiv. Und die etwas größere Nase stand ihm auch sehr gut. Er sah nun klassischer aus, vielleicht wie Achilles.
„Das Töten von Menschen“ antwortete der Lord und nahm einen Schluck Evian-Mineralwasser, „ist eine wundervolle Sache im Spektrum der Farbpalette des handelnden Menschen in einem paramoralischen Kontext. Es ist vom Wesen her neutral und immer dem Urteil der oder des Beteiligten abhängig.“
„Wie meinst Du das?“
„Zunächst einmal hat man einen Auftrag. Doch im Laufe der Arbeit etabliert man immer aufs Neue ein Konzept der Logik, die alles in ruhige Bahnen lenkt, die einem alles erleichtern. Man sieht es nicht länger als Zerstörung, sondern als Versiegelung. Der Tod ist kein Abschneiden, sondern ein Verschließen, auch ein Beschützen und im Grunde eine Verbeugung vor dem Leben, weil man es ehrt, in dem man es beendet. Man beendet alles Zwielichtige, alles Unsichere, man segnet es, in dem man es beendet. Natürlich haben die Menschen längst nicht dieselbe Weitsicht und denken, die Zukunft hielte für sie noch irgendein Wunder bereit oder müsse aus reinem Selbstverständnis er- und ge-lebt werden. Ich sage dann nein, ein ganz in Weisheit und Erfahrung gebettetes Nein. Und deshalb kenne ich auch keine Gnade. Wenn mich eine Frau auf Knien anfleht, sie nicht zu erschießen, weil sie drei kleine Kinder hat, dann drücke ich sofort ab. Damit beschließe ich nur ein Kapitel, und für ihre Kinder wird ein neues aufgeschlagen. Sie werden ihre Mutter immer in Ehren halten, ja vielleicht sogar verklären. Ich schaffe mit der Tötung beinah ein Ideal der sterbenden Person.“
„So habe ich das noch nie gesehen.“
„Nur wenige können diese Tätigkeit derart moralisch unterfüttern. Viele von denen, die eine Arbeit wie die meine verrichten, gehen irgendwann daran kaputt. Das wird mir nicht passieren, im Gegenteil. Ich vermehre mich selbst, in dem ich töte.“
„Man kann sie dir auch ansehen, diese Vermehrung deiner selbst, sie steht in deinen Augen geschrieben.“
„Und in deinen Augen, Chariklia, sehe ich mich selbst, von dir angenommen als das, was ich bin.“
Der Lord führte Chariklia in ein lauschiges, kleines Hotel und verbrachte mit ihr eine wundervolle Nacht. Wundervoll besonders für Chariklia, die sich solch eine Wonne nicht mehr erträumt hatte und so die These des Lord ad absurdum führte, dass die Zukunft nur Unsicherheit und Verwässerung schafft. Nein, die Zukunft konnte durchaus etwas Wunderbares parat halten. Wie der Lord es angekündigt hatte, war er am Morgen, als Chariklia erwachte, bereits verschwunden.
Sie streichelte die Hälfte des Bettes, auf der er gelegen hatte, roch ihn noch, diesen mysteriösen Mann, spürte ihn überall, seine Allgegenwart.
Auf seinem Nachttischchen lag ein gebrauchtes, zerknülltes Taschentuch. Chariklia empfand keinerlei Ekel oder hielt es auch nicht für übertrieben, das Taschentuch zu nehmen und daran zu schnuppern. Es roch ein wenig nach seinem Eau de Cologne, und ein wenig mülsig (milsic) – dieses Wort fiel ihr spontan dazu ein. Sie fand den Geruch niedlich und menschenhaft, sehr intim.
Langsam faltete sie das Taschentuch auseinander. Dort drinnen, gebettet im weißen Stoff, lag ein beachtliches Stück Naseninhalt, umspielt von cremigem Schnodder.
Es war bräunlich-matt, uneben, wild, beinah verspielt asymmetrisch. Chariklia betrachtete es besinnlich und wusste, dass sie noch nie etwas eigentlich Widerwärtiges in solcher Formvollendung gesehen hatte. Die Widerwärtigkeit gab sich in Gestalt dieses Popels die Hand mit der Schönheit, und das gab der Welt ihren Sinn, ihre logische Abrundung.
Chariklia faltete das Taschentuch wieder zusammen, verstaute es in ihre Handtasche und machte sich zurecht, um das Hotel zu verlassen.
Da sie vorerst arbeitslos war, blieb ihr nichts weiter übrig, als nach hause zu fahren und sich im Internet nach einer neuen Stelle umzusehen. Sie bekam auch gleich zwei interessante Angebote, eins davon von einer reichen alleinerziehenden Mutter. Für Chariklia ideal, weil sie selbst ja keine Kinder hatte und sie so liebte.
Das Telefonat mit der Mutter verlief sehr gut, und sie vereinbarten einen Gesprächstermin für den nächsten Tag, Doch heute hatte Chariklia nichts mehr zu tun. Sie beschloss, ein wenig auf großem Fuß zu leben und orderte per Telefon ein italienisches Frühstück.
Der Fernseher lief, und Chariklia tummelte sich im Internet, klickte jeden halbwegs lustigen Link an und kam vom Hundertsten ins Tausendste.
Schließlich stieß sie auf das Promotionfoto von Bensons Buch, sah den beeindruckenden Popel und empfand es als Déja Vu. Und seltsamerweise fühlte sie keine Abscheu beim Betrachten des Objekts, nein, sie hatte irgendwie Feuer gefangen und holte das Taschentuch des Lords aus ihrer Handtasche.
Zwischen dem Popel auf dem Foto und dem ihres Liebhabers gab es gewisse Ähnlichkeiten, was aber nicht verwunderlich war, denn diese Dinge ähnelten sich alle auf eine gewisse Weise.
Dennoch wurde sie ein wenig nachdenklich. Einige Feinheiten waren sich so gleich, dass man meinen konnte, die beiden Popel wären in derselben Nase entstanden.



Nächster Teil Freitag, 28.02.2014

Donnerstag, 13. Februar 2014

LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers TEIL IV



LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers 
 TEIL IV

Seine Untersuchung konzentrierte sich unter anderem auf die Umgebungen, die die Bildung der Objekte begünstigten, zum Beispiel Baustellen und Minen, auch Kriegsgebiete, in denen man mit vielen verschiedenen Schadstoffen in Berührung kommt.
Da die Berufsfelder sich immer schneller von toxischen Arbeitsplätzen wegbewegten, fiel die Prognose für die Popelbildung eher pessimistisch aus. Zumindest wurde der weichen Popelart eine gewisse Chance eingeräumt, da sie sich auch in den vier Wänden eines Büros bilden konnte. Dort konnten diverse Exemplare auch eine gewaltige Größe entfalten. Doch der felsige, brockige Popel des alten Industriezeitalters würde in der immer digitalisierteren Welt zunehmend seltener werden.
Benson forderte die Menschen im Internet auf, auch Foto von älteren Objekten einzureichen, doch diese waren äußerst selten, weil man solche Dinge ungern fotografierte und meist sofort nach Zutageförderung diskrekt entsorgte.
Als Benson in Erwartung der Fleischmedaillons seine E-Mails durchsah, stieß er auf eine mit Anhang versehene Nachricht von einem Mann, der sich „Der Lord“ nannte. Benson stutzte und las:

„Mit Freude habe ich von ihrem Buchprojekt erfahren und hoffe, mit diesem Bild, das vergangene Woche aufgenommen wurde, einen kleinen Beitrag leisten zu können. Ich hatte leider kein Zentimetermaß zur Hand und nahm als Größenvergleich meinen eigenen Mittelfinger. Ich versichere Ihnen hiermit, dass es sich um keine Fotomontage oder sonstige Manipulation handelt, und zusätzlich sei erwähnt, dass es nicht meine Gewohnheit ist, Nasendreck zu dokumentieren, doch in diesem speziellen Fall hielt und halte ich es durchaus für angebracht. Ich gehe einmal davon aus, dass dieses enorme Ergebnis ein Nebenresultat meiner kürzlichen Nasen-OP ist.“

Benson sah sich das Foto an.
Neben einem leicht überdurchschnittlich langen männlichen Mittelfinger, von den übrigen isoliert gehalten wie bei der bekannten obszönen Geste, lag ein Popel von berauschender Schönheit. Es war eine sogenannte Mischform aus harten und weichen Elementen, von Benson scherzhaft Globetrotter genannt, weil er über den Besitzer oder Wirt zumindest die sicherer Aussage fällte, sich sowohl viel Zeit in der Gegenwart schmutziger Luft als auch in beheizten Räumen aufgehalten zu haben.
Nur in der Nase eines Menschen, der sich in vielen verschiedenen Umgebungen innerhalb kurzer Zeit aufhielt, konnte ein derartiges Exemplar zur Entfaltung kommen.
Benson starrte verblüfft auf das Foto, vergrößerte es und betrachtete die krustige, braun-grau schimmernde Beschaffenheit, unterbrochen von weißem Glibber wie eine Quarkspur, und ganz haudünn durchzogen von zartroten Blutfäden, wie Kirschsirup auf einem Dessert.
Der lange, grüngelbliche Schweif des eleganten Objekts ließ ein wenig an das Rinnsal einer gerade entstehenden Quelle denken, auch an einen exotischen Wurm, doch durchsetzt von kleinen harten, kraterähnlichen Applikationen. Benson nahm seinen eigenen Mittelfinger als Vergleich. Der Popel war länger als der Finger auf dem Foto und erst recht länger als sein eigener.
Falls ihm keine Fotos schönerer Exemplare geschickt wurden, wovon er ausging, galt dieser als der schönste dokumentierte Popel der Welt.
Obwohl das Buch bislang nur halb fertig war, juckte es Benson, das Foto vorab zu veröffentlichen und schrieb eine Antwort an den Mann, der sich Lord nannte, beglückwünschte ihn emphatisch und
fragte an, ob er seine Erlaubnis erteilen würde, das Foto als Vorankündigung für das Buch im Internet zu veröffentlichen.
Natürlich war sich Benson sicher, dass der Lord nichts gegen eine Veröffentlichung haben konnte, sonst hätte er ihm das Foto nicht geschickt. Doch Benson wollte gründlich sein und es nicht an Höflichkeit vermissen lassen, und tat in seiner Antwort so, als würde er den Lord nicht kennen ...
Seine Begeisterung ging Hand in Hand mit einer angeborenen Ungeduld, und er stellte das Foto sogleich auf seine Webseite und seine Plattformen in den sozialen Netzwerken.
Darunter setzte er den markigen Spruch, angelehnt an alte Superman-Comics:
„Ist es ein Meteor, ist es ein Artefakt, ist es ein Drache – nein es ist ...“ Die drei Pünktchen ließ er stehen, um die Spannung aufzubauen, und setzte unten in das Bild die Adresse seiner Webseite für das Buch.
Benson aß die fast erkalteten Fleischmedaillons mit Kartoffeln und Erbsen. Er schlief pflichtbewusst mit seiner Frau und lag noch eine Stunde wach im Bett, erforschte das Innere seiner Nase und dachte daran, dass er als Außendienstler auch häufig ansehnliche Exemplare in seiner Nase fand, und fragte sich beinah mit einer flehentlichen Melancholie, ob man außer den bekannten Voraussetzungen auch Talent für so ein wunderschönes Objekt mitbringen musste. Ob es gottgegeben war, etwas derartiges in der Nase entstehen zu lassen. Benson dachte daran, ob es möglich wäre, einen Popel in beiden Nasenlöchern wachsen zu lassen, der sich vor der Nase, herausschauend aus den Nasenlöchern, zu einem einzigen verbinden konnte. Er liebte auch die Vorstellung, mit einer verstopften Nase aufzuwachen und dann mit seinem Fingernagel einen besonders harten Kumpanen aus seiner Scheidewand zu brechen, zu hebeln, knirschend, krachend. Er spekulierte, dass so ein Gefühl durchaus mit dem von Sex konkurrieren könnte.

Nächster Teil Freitag 21.02.2014


Donnerstag, 6. Februar 2014

LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers Teil III




LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers

Teil III


Misses Paradopoulos erstarrte. Genau an diesen Mann hatte sie eben gerade gedacht. Es war ein unglaublicher Zufall.
„Der Lord … Oh … Du Schuft, Du hast Dich nicht mehr gemeldet ...“
„Es tut mir Leid, meine Blume. Und wenn ich sage dass es mir Leid tut, dann nicht nur das, sondern auch noch viel mehr. Bist Du allein?“
„Ja, ja, ganz allein.“
„Gut. Ich wollte mich in aller Form bei Dir entschuldigen, dass ich Dich so schändlich behandelt habe.“
„Okay, gut, äh, akzeptiert. Wo bist Du?“
„Das tut nichts zur Sache. Sei still. Ich habe Dir etwas zu sagen, meine hellenische Blume. Ich habe Dich damals, vor zwei Monaten, nicht zufällig angesprochen. Ich wollte mit Dir ins Gespräch kommen, weil ich Dich benutzen musste.“
„Benutzen?“
„Durch Dich habe ich alle Informationen bekommen, die ich brauchte, um in das Haus von dem Kerl zu gelangen, der nicht vor Gericht erscheinen durfte. Ich weiß, dass Du mir nie bewusst etwas Sensibles erzählt hast, aber es hat gereicht.“
„Was sagst Du denn da? Hast Du etwas mit diesem Anschlag zu tun?“
„Richtig. Ich war es. Ich bin heute dort gewesen. Ich habe alle umgebracht. Es war sehr schön gewesen, aber nicht ganz so schön wie mit Dir. Das habe ich Dir sagen wollen, dass ich über das reine Kalkül hinaus etwas für Dich empfinde. Das solltest Du wissen.“
„Ja, komisch, mir ist gar nicht bewusst, dass Du mich so ausgequetscht hast …“
„Ich habe dafür gesorgt, dass es niemand zurück verfolgen kann, denn ich habe Deine Unterlagen verschwinden lassen. Du solltest nicht auf meiner oder auf der Liste von irgendwem anderen stehen. Und so hast Du überleben können. Hat Dich das FBI in die Mangel genommen?“
„Das ist zu hart gesagt. Ich wurde befragt, aber ich habe Kaffee und Doughnuts bekommen. Sie waren sehr nett. Und einer hat alle halbe Stunde das Fenster geöffnet.“
„Das freut mich zu hören, meine Blume des Olymp.“
„Sag mal, dann bist Du gar kein Künstler, wie Du erzählt hast?“
„Kein solcher, keiner von der Art, wie Du glauben solltest.“
„Also mehr ein Tötungskünstler?“
„Das ist ein wunderschönes Wort, meine Liebe.“
„Das ist alles so neu für mich. Und Skrupel oder so was hast Du nicht?“
„Nur wenn ich jemanden wie Dich belügen muss. Ich würde Dich gerne wiedersehen. Was hältst Du davon?“
„Das wäre sehr schön, mein Lord. Wann und wo?“
„Wie Du willst. Aber vielleicht erkennst Du mich nicht wieder. Ich habe nun sehr kurzes Haar. Und eine andere Nase.“
„Nasen sind mir egal, und Haare wachsen nach. Mensch, ich bin so glücklich dass Du mich angerufen hast ...“
„Du bist also nicht sauer?“
„Ich sollte wohl, und das mit dem Töten ist ja auch so eine Sache, die man zumindest mal diskutieren könnte.“
„Wenn man jemanden will, dann ist es wichtig, ihn mit all den Dingen anzunehmen, die ihn ausmachen, auch wenn sie einem zunächst fragwürdig vorkommen. Wie wär's morgen um acht Uhr im Angelo's? Ich bestelle einen Tisch.“
„Kannst Du Dich denn ganz frei bewegen? Musst Du nicht fürchten, geschnappt zu werden?“
„Sei unbesorgt. Ich bin Profi. Ich weiß was ich tue.“
„Das habe ich gemerkt. Musstest Du denn unbedingt alle im Haus umbringen?“
„Habe ich ja nicht. Du hast überlebt.“
„Stimmt! Super dass Du an mich gedacht hast. Aber mein Leben ist ja nicht so viel wert wie das eines FBI-Agenten.“
„Sprich nicht so von Dir. Du bist ein wundervolles menschliches Wesen. Nur etwas verschüchtert und Dir selbst entfremdet.“
„Hm. Wenn Du so etwas sagst, klingt es immer so absolut, so einfach und klar. Also morgen um acht im Angelo's. Ich werde dort sein, aber bitte nicht lachen, ich habe nur ein recht billiges Kleid.“
„Was schert mich das Kleid bei solch einem Inhalt? Am liebsten hätte ich, Du würdest nackt kommen, aber wir wollen ja nicht unnötig auffallen.“
„Du bist mir ein Schelm, mein Lord. Oh, ich freu mich so!“
Der Lord legte auf. Chariklia Paradopoulos kippte ein Glas Scotch und schüttelte ihr Haar. Nun wollte sie nicht mehr masturbieren, nein, aufheben wollte sie sich für diesen Mann, der jenseits von Gut und Böse seine Macht über Leben und Tod verinnerlicht hat und dem gemäß zu handeln vermochte. So wie es jeder Mann tun sollte, so wie es früher war. So wie das Leben im Angesicht großer Männer wahrgenommen wurde. So wie Julius Caesar dem Leben gegenüber gestanden hat und was ihn in Gallien gewinnen ließ und ihm die Chuzpe verleihen konnte, den Rubicon zu überschreiten ...


„Ja Sir, einfach nach hause gegangen. Ich schätze, sie bleibt dort. Sollen wir ihr Telefon anzapfen?“
„Ach Scheiße, dafür brauche ich einen Gerichtsbeschluss. Diese dumme Hausfrau hat doch keine Ahnung, was da heute passiert ist. Ziehen Sie ihre Leute ab, Kostic. Das führt zu nichts mehr.“
„Sind Sie sicher?“
„Hinterfragen Sie nicht meine Befehle, sondern Ihre Frisur. Ich bin zu Hause, Kostic, ich will nicht mehr angerufen werden.“
Benson legte auf.
„Schatz, willst Du nun den Auflauf oder die Fleischmedaillons?“ fragte seine Frau, die noch immer die rosa Lockenwickler in den Haaren stecken hatte.
„Die Medaillons wären mir angenehmer. Danke. Aber mir wäre es auch lieb, wenn Du mich nicht mehr auf das Essen ansprechen würdest. Ich wollte ein wenig an meinem Buch arbeiten.“
„Ja, das verstehe ich. Du bist so idealistisch … Wenn ich nur mal erfahren würde, über was Du schreibst, aber Du bist so verschwiegen … “
„Deshalb bin ich zum FBI gegangen.“
Benson lächelte schütter und ging zu seinem Schreibtisch. Vor ein paar Monaten hatte die fixe Idee von ihm Besitz ergriffen, ein Buch zu verfassen, obwohl er noch nie irgendwelche schriftstellerischen Ambitionen gehabt hatte. Die Idee war ihm während einer Ermittlung gekommen und behandelte ein Thema, über das es noch keine seriöse Abhandlung gab.
Er hatte bereits 47 Fotos von Interessenten in seine engere Wahl zusammengetragen, die seinem Aufruf „Suche schönsten Popel der Welt“ gefolgt waren. Man sollte die Objekte stets neben einem Zentimetermaß oder Lineal ablichten, gemeinsam mit einem kleinen Text über die Entstehung und Konsistenz.
Beispiele unter zwei Zentimeter Länge wurden von Benson nicht mehr berücksichtigt. Sein bestes Foto hatte ihm Bernhard Gumble eingeschickt und zeigte ein astförmiges, Objekt mit einer Länge von 5, 7 cm, das wie ein steinzeitliches Werkzeug aussah und die Phantasie beflügelte. Anbei sandte Gumble ein Bild von seiner vollkommen normalen Nase und einer Häkelnadel, mit der er den Fund zu Tage gefördert hatte.
Benson spielte noch mit ein paar möglichen Titeln für das Buch herum:
„Popel - Was dort wird, wo wir atmen“
„Popel – Spiegel unserer Umwelt“
„Popel - Kaleidoskop der zwei Pforten“
„Popel – Das Tabu und seine Phänomenologie“




Nächster Teil Freitag, 14.02.2014