Donnerstag, 14. November 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XX


Das Gitter wurde geöffnet, und als einige Männer unter Prügel und Spott in Bärenfelle eingenäht wurden, führte der Einäugige Caecus hinaus in den engen Korridor.
Wer hat für mich bezahlt? Wie ist das möglich? Hat Marisca ...”
Ich weiß nichts von irgendwelchen Gönnern und Weibern, Meistermaler. Komm mit mir!”
Caecus folgte dem Einäugigen zum unterirdischen Tunnel, der aus den Katakomben hinaus führte. Endlich, als sie eine durchgetrene Treppe hinaufstiegen, sah Caecus das herrliche Tageslicht. Oben, am Rande des Ludus Magnus, der großen Schule für Gladiatoren,
unter einem großen Sonnenschirm und umringt von einigen ansehnlichen Sklaven, standen Scaurus, Asellio und, bei Caecus Bestürzung und Erleichterung zugleich auslösend, Pictor, sein Chef.
Du Narr.” sagte dieser. “Du unbeschreiblicher Stultissimus. Was hast Du Dir dabei gedacht? Und was bei allen Göttern ist mit Deinem Ohr passiert? Hat das diese kranke Schwuchtel Stolo getan?”
Caecus war sprachlos. Pictor hatte ihn tatsächlich freigekauft.
Am liebsten würde ich Dich auspeitschen lassen, so sehr, dass Du wünschest, Du wärst in der Arena gestorben. Du bist der größte Glückspilz, der je den Erdkreis gesehen hat, weil Du ein Talent besitzt, das zu schützen andere zu Narren werden lässt. Mich zum Beispiel.”
Patronus, wir müssen Marisca retten! Sie kann ihren Auftrag nicht mehr ausführen. Ich flehe Euch an! Wenn Ihr so einen Aufwand betrieben habt, um mein Leben zu erhalten, dann wisset, dass mein Weiterleben nur Sinn ergibt, wenn Marisca an meiner Seite ist!”
Du überschätzt meine Macht, Caecus. Marisca befindet sich im engsten Kreis von Stolo. Sie zu befreien, würde einem offenen Krieg mit den Aventinern gleichkommen.”
Ein Krieg ist es schon jetzt, Patronus.”
Kein Wort mehr! Du wagst es, mich zu belehren? Ich sollte Deinen Status als freier Mann für nichtig erklären und Dir eine Sklavenplakette umhängen! Wenn ich ein weniger weiser Mann wäre, könnte ich Deinen Eigensinn als Verrat betrachten, doch ich weiß, dass Du nur diese kleine Lupa retten wolltest … Das hat man davon, wenn man Huren aus einer Taverne aufliest ...” Seine Gefolgsleute lachten.

Stolo flüsterte in Mariscas Ohr:
Ich habe darum erbeten, dass das Bärenfell, in das Dein lieber Caecus genäht wird, einen Farbtupfer bekommt. So kannst Du ihn inmitten der Anderen erkennen.”
Marisca sagte nichts. Die Gaukler und Akrobaten verließen die Arena, worauf einige Wagen hineinfuhren und Brot in die Menge warfen.
Marisca konnte nicht glauben, dass die Welt einfach weiter machte, dass alles unbedeutend schien, nur dem vergänglichen Vergnügen unterworfen. Blut eines Geliebten, das im Sande versickert wie das eines Sklaven oder Verbrechers. Ein Mensch hat einen Wet, und sei es nur in den Augen eines Liebenden …
Der Boden der Arena tat sich auf. Empor stieg die Plattform mit den Verurteilen. Es waren zunächst sechs an der Zahl, alle in Bärenfelle genäht und stumm stehend, resigniert und zermürbt von Angst. Eines der Bärenfelle war durch einen gelben Farbklecks gekennzeichnet.
Mein Liebster, ich werde immer bei Dir sein ...” flüsterte Marisca. Stolo und die Anderen lachten. Die Menge schrie nach den Bestien.
Marisca sah nur seine Beine und das Fell. Sein Gesicht nicht.
Mit einem lauten Rattern tat sich ein Gitter auf, und sofort preschten etwa 20 Löwen ins Licht der Arena. Es waren hauptsächlich Weibchen, aber auch zwei Männchen, eins davon mit imposanter Mähne, was die Menge jubeln ließ.
Neben Marisca sagte ein Mädchen:
Das ist der Löwe Claudius! Endlich darf er teilnehmen!”
Die Delinquenten standen regungslos da, dicht zusammengedrängt, in der letzten Hoffnung, dass die Löwen ein dichtes Knäuel von Menschen nicht so leicht angreifen würden wie einzelne. Doch die Tiere waren nicht dumm und speziell für so eine Situation dressiert worden. Die Weibchen bildeten einen Kreis um die Menschen und zogen ihn immer dichter zusammen. Einige der Männer in ihren Bärenfellen begannen in Panik zu schreien. Einer von ihnen brach aus und lief todessüchtig auf einen der Löwen zu. Ein anderer sprang von der Seite hinzu und packte den Mann am Nacken. Das Volk applaudierte mäßig.
Marisca starrte auf den Mann mit dem gefärbten Bärenfell. Er stand inmitten seiner Kameraden und rührte sich nicht. Doch dann übernahm der blanke Schrecken das Kommando, als die Löwen ihren Kreis immer enger zogen und Versuche unternahmen, einzelne Männer mit ihren Pranken zu greifen. Der Kreis brach auseinander, und alle restlichen Fünf liefen wirr umbher, völlig auf sich gestellt und hilflos. Der mit dem Farbtupfer rannte zu einem der Gitter am Rand der Arena und wurde von einer flinken Löwin eingeholt, die ihn mit einem lässigen Sprung niederwarf.
Marisca schloss die Augen. Nun starb ihr Liebster, dachte sie.
Was ist Sterben?
Nichts als das Durchschreiten einer Pforte? Nichts als ein Ein- oder Auftauchen?
Nur ein Schritt?
Stolo und die Anderen lachten und futterten leckeres Candis-Brot.
Marisca stand auf. Sie machte sich schmal, als sie sich zwischen die teils jubelnden, teils gelangweilten Menschen zwängte. Sie erreichte die Treppe, ging ein paar Schitte, bis sie die äußeren Gänge der Arena erreichte. Einer der Rundbögen gab freien Blick auf die Stadt, auf den Tempel der Venus und Roma, die Via Sacra, die Foren und den Capitolshügel. Marisca sah zum Himmel empor und erblickte einen Schwarm Vögel.
Dann stürzte sie sich hinunter.



Letzter Teil nächsten Freitag ...

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