Donnerstag, 5. Dezember 2013

LESEPROBE aus dem Roman „blank“


LESEPROBE aus dem Roman „blank“

Die vollkommen uninteressante weibliche Lebensform namens Maarit Fenske sieht sich mit einem spektakulären Zufall konfrontiert: Ihr Bruder, an den sie nur früheste Kindheitserinnerungen hat, wohnt plötzlich zwei Stockwerke über ihr. Und nun?


Aus dem vierten Kapitel:

Hallo …“ sagte Aarto ein wenig geistesabwesend. Als er sich jedoch bewusst wurde, dass er mit Maarit schon eine nette Unterhaltung geführt hatte, blieb er stehen. Das zweifelhafte Gespräch vom oberen Stock schien von ihm abzufallen.
Ach, hier wohnst Du also.“
Ja, das ist meine Haustür, äh, Wohnungstür.“ Maarit lächelte unfreiwillig.
Sie ist nicht unter meiner. Nicht direkt. Wie war Dein Wochenende?“
Maarit fand es seltsam, dass er danach fragte, aber es klang absolut unschuldig, wie nach Smalltalk.
Oh, gut, und Deins?“
Nicht so toll. Ich hatte auf etwas gewartet und es nicht bekommen. Erst gestern. Na ja, es hat mich ein wenig nervös gemacht.“
Ah, ich verstehe. Was war es denn? Upps, es geht mich natürlich nichts an-“
Nein, schon okay. Es war meine wöchentliche Paketsendung. Die kommt normalerweise jeden Freitag oder Samstag. Immer pünktlich. Und gerade eben habe ich die Busemann gefragt, aber natürlich wusste sie von nichts. Es war wohl ein Postfehler. Aber ich habe es schon erlebt, dass Menschen die Pakete anderer Leute stibitzen, um sie zu ärgern.“
Ja, das gibt es leider.“
Ich neige dazu, ein wenig irrational zu werden, wenn etwas nicht klappt. Frau Busemann glaubte wohl, ich würde ihr die Schuld geben, aber das ist natürlich Blödsinn. Sie ist etwas empfindlich, wie mir scheint. Viele Rothaarige sind temperamentvoller als Andershaarige. Ich sehe, Du hast ein wenig an Deinem Haar verändert.“
Ich habe einen neuen Festiger, aber das sollte eigentlich nicht auffallen.“ Sie konnte nicht glauben, dass man nun über ihre Haare sprach. Aarto lächelte und fragte:
Wenn es nicht auffallen soll, wieso tut man es dann?“
Na ja, es sollte nur unbewusst auffallen, ohne dass jemand nachhakt.“
Da hast Du bei mir Pech. Mir fällt so etwas immer auf.“
Aartos große und schlanke Gestalt wirkte heute weniger einschüchternd auf sie. Aber sie fand das Gespräch überaus seltsam.
Mir scheint,“ fuhr Aarto fort, „dass alle Leute in diesem Haus allein leben. Ich weiß nicht, ob das von der Vermieterin so beabsichtigt ist, aber ungewöhnlich ist es allemal.“
Es gibt viele Menschen, die alleine sind.“ sagte Maarit und hörte sich dabei vollkommen ruhig an. Aarto sah ihr aufmerksam in die Augen.
Ja, und sie haben kaum eine Lobby. Überall ist das Dasein in einer Partnerschaft als Standard vorausgesetzt. Ein Single gilt im Vergleich dazu als Mensch, der keine Verantwortung trägt und eine lockere Moral hat. Das ist unfair. Aber in diesem Haus, in dem so viele Menschen allein vor sich hin wohnen, gibt es keinerlei Solidarität. Jeder ist für sich. Ich denke, das hat etwas mit Scham zu tun.“
Ein interessanter Gedanke.“
Entschuldige bitte, ich wollte Dich nicht vollquatschen.“
Das ist okay.“
Und Du bist auch ganz allein?“
Ja, bin ich. Also hier in der Wohnung, Ist ja nur ein Zimmer.“
Also hast Du einen Freund und Familie.“
Na ja nein, keinen Freund. Und nur eine Mutter.“
Also wenn Du möchtest, auch wenn das jetzt aufdringlich klingt und Dir irgendwie im ersten Moment unangenehm ist, kannst Du gerne mal auf einen Kaffee oder ein anderes Getränk zu mir rauf kommen. Das würde mich sehr freuen.“
Maarit fühlte nun deutlich, dass sie puterrot angelaufen war.
Okay, danke, so etwas hört man selten von einem Fremden.“
Ja, von einem Fremden …“ Dieses Wort hatte er gedehnt, so als wären beide keine Fremden füreinander, oder als wäre das Fremde an sich nur eine Illusion.
Ist ein nettes Angebot. Vielleicht komme ich darauf zurück.“
Das würde mich sehr freuen. Du machst den Eindruck, als könne man mit Dir offen reden. Du hast keine Allüren oder so.“
Ja, Allüren hat mir noch keiner nachgesagt. Zumindest wurde nicht dieses Wort benutzt.“
Welches Wort auch immer. Also, mein Angebot steht. Ich muss jetzt los. Bis dann, ciao!“
Ja, bis bald ...“
Maarit konnte sich keinen Reim darauf machen, was da gerade passiert war. Es schien so unwirklich. Sie kompensierte den Umstand, dass sie es für unüblich hielt, eine fremde Person zu sich einzuladen. Vielleicht gehörte es dort, von wo Aarto herkam, zum guten Ton. Es gab Menschen, die verhielten sich halt so. Für sie war es kein Umsturz ihrer Philosophie, auf einen Menschen zuzugehen. Maarit fragte sich allerdings, ob Aarto kurz zuvor Frau Busemann dasselbe gefragt und sie ablehnend reagiert hatte, wegen des Pulverkaffees.
Offensichtlich suchte Aarto Anschluss an andere Menschen, und sein Referat über das Alleinsein bewies, dass er sich um dieses Thema Gedanken machte.
Die Tatsache, dass er ihr Bruder war, blitzte immer wieder auf zwischen all diesen Fragen und Vermutungen, wie ein kleiner Meteoritenregen.
Langsam aber sicher gingen ihr die Gründe aus, es vor sich her zu schieben. Sie wagte kaum, es Jana zu erzählen, denn die würde Maarit mit einem kräftigen Tritt in den Hintern vor Aartos Wohnungstür befördern.
Diese Sache mit dem nackt draußen Herumlaufen schob sie einfach nach hinten, denn das konnte sie nicht brauchen, weil sie sich gerade ein sehr positives Bild von Aarto zurecht schnitzen wollte.
Seine Worte hatten Eindruck auf sie gemacht.




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