Samstag, 7. Dezember 2013

LESEPROBE aus dem Roman „Höhlen“


LESEPROBE aus dem Roman „Höhlen“


Ist es ein Anzeichen von Verrücktheit, in einer Höhle zu schlafen, oder leben wir alle in verschiedenen Arten von Höhlen, ohne sie als solche zu bezeichnen?
Die Höhle kann ein Ort sein, ein dunkler Pfad ins Innere, oder ein Geburtskanal.


Aus dem ersten Kapitel:

Die Meisten von uns haben sich spätestens mit 30 irgendwie im Leben eingefunden, erste große Fehler begangen und waren ein bis zwei Mal verliebt gewesen. Einige sind immer noch auf der Suche, andere schon mit 20 in einer Einbahnstraße gelandet. Manche müssen bis zum Lebensende falsche Entscheidungen ausbügeln, andere können überhaupt keine selbstständig fällen.
Jene, die durch eine lange Durststrecke gegangen oder um Haaresbreite an einem Unglück vorbei geschlittert sind oder viele überlebt haben, finden vielleicht das, was uns in der Kutsche des Lebens die Erschütterungen des Kopfsteinpflasters ertragen lässt, das die weiche Matte ist und die frische Luft. Man findet einander.
Man findet die Begleitung, die Komplizenschaft, die Liebe, den Pakt.
Was man sich jedoch manchmal einhandeln kann, wenn man einen ersten Vorgeschmack auf dieses
Miteinander bekommt, eventuell viel zu früh, und wie es einen so sehr kaputtmachen kann, dass es unmöglich wird, im Dickicht der anderen Person und der gemeinsamen Geschichte das eigene Ich noch zu erkennen, kann man am Beispiel meines Cousins hervorragend beobachten.
Er hatte ein unpassendes Glück, und das bereits im Alter von 11 Jahren. Was anderen Jungs erst drei, vier oder fünf Jahre später vergönnt war, bekam er in den ersten Frühlingstagen seiner Pubertät in Gestalt eines dreizehnjährigen Mädchens, das zwei Stockwerke über ihm wohnte. Es fing an als ganz übliche Nachbarschaftskameradschaft unter Kindern und endete in einer Schwangerschaft, aus der eine Tochter hervorging. Dieses Kind ist zu Beginn dieser Erzählung 21 Jahre alt und hat ungewöhnlich junge Eltern.
Ich war zuvor nicht mit den genauen Umständen vertraut, weil ich zu dieser Zeit keinen Kontakt zu meinem Cousin und seinen Eltern unterhielt und mich mein eigenes Leben vollauf beschäftigte. Ich bin vier Jahre älter als er. Sein Name ist übrigens Harold, aber wir sagen Harry zu ihm, ohne es unbedingt mit englischem Akzent aussprechen zu müssen.
Es verhielt sich wohl so, dass es zwischen den Beiden immer eine gewisse Anziehungskraft gab, man könnte auch Hassliebe dazu sagen, aber nachdem das ungewollte Kind geboren wurde, sind die Eltern mit der Tochter und dem Baby weggezogen, und Harry sollte seine Tochter und die 13 jährige Mutter für eine lange Zeit nicht mehr wiedersehen.
Vor etwa drei Jahren haben sich die Beiden wiedergefunden und beschlossen, zusammen zu ziehen. Beide hatten mittlerweile ihre nötigen Erfahrungen gemacht, das Kind ist erwachsen geworden, und sie dachten anscheinend, sie hätten nun die erforderliche menschliche Reife erlangt, um gemeinsam gute Eltern abzugeben. Doch sie hegten nicht den Anspruch, eine richtige Beziehung zu führen, eher eine Zweckgemeinschaft, und sie ahnten nicht, dass all dieses An- und Abgestoßensein voneinander nur geruht hatte, aber nicht verschwunden war.
Harold und Yuna benahmen sich wie Hund und Katze, und dieser Vergleich kommt nicht aus der Hüfte, sondern stellt eine exakte Analogie dieser menschlichen Konstellation dar, denn Harry war der Hund, sabbernd, bellend, sich am Tischbein reibend. Yuna war die Katze, arrogant, klug, abweisend und die Krallen gezielt einsetzend, wenn sie wollte.
Sie war schon mit 13 ein überaus kokettes Mädchen gewesen, hatte für ihr zartes Alter ziemlich große Titten und ausgeprägte weibliche Formen. Sie sah einfach geil aus und hatte vielen Männern jeden Alters allein durch ihr Aussehen einen Ständer gezaubert. Sie konnte nichts dafür, aber sie wusste es. Mir ist bekannt, dass sie mit den Jahren gelernt hatte, diese Reize zu nutzen und hatte wahrscheinlich etlichen Kerlen die Herzen gebrochen, wenn sie Yuna nicht schnell genug abhalftern konnten. Bei einer oberflächlichen Affäre hatte man noch die Chance, unbeschadet heraus zu kommen, aber wehe man verliebte sich. - Dies waren natürlich nur Vermutungen, Familientratsch und die alte Leier vom Dämon Weib. Zu Inquisitionszeiten wäre Yuna mit Sicheheit verbrannt worden.
Ich selbst mochte diesen Typus, zu dem Yuna gehörte. Mich langweilten Ja-sagende Frauen mit unterwürfigen Blicken und dem sprichwörtlichen Opfer-Abo. Was ich lange Zeit nicht wusste, war, dass mich über die oberflächliche Attraktion hinaus das wahre Wesen dieser Personen interessierte, denn niemand war so hart, wie er sich gab.
Harold hatte ein einziges Mal nach dem Erlebnis mit Yuna wirklich Glück mit einer Frau gehabt, aber ansonsten nur Pech. Ist ja nichts Spektakuläres, aber angesichts seiner frühen Erfahrung schien eine komplizierte Beziehung zu Frauen vorprogrammiert. Yuna war damals, in beider Kindheit, überaus dominant gewesen, und beinah hätte man sagen können, dass sie Harold missbraucht hat.
Aber sie war ja selbst noch ein Kind, allerdings ein sehr kokettes, das gewiss viele Schulkameraden heimlich als Wichsvorlage verwendeten und nach außen hin als Flittchen brandmarkten.
Ihre Mutter und der mit dem Rechtsextremismus liebäugelnde Vater sprachen sich strikt gegen eine Abtreibung aus, und so wurde Jasmin geboren. Yunas Eltern erzogen sie zunächst wie eine zweite Tochter, aber bald beanspruchte Yuna resolut, ganz ihrem Charakter gemäß, die Mutterrolle zu übernehmen. Eigentlich hatte Harry überhaupt keine Chance, nachträglich den Vater zu spielen,als sie sich irrwitzigerweise entschlossen, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen.
 
 
170 S., 7,87 €
 

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