LORD DELUXE –
Aus der Nase eines Killers
TEIL V
„Was ist das für
ein Gefühl, leise und schnell in ein Haus einzudringen, alle
Menschen zu töten und unerkannt wieder zu verschwinden?“ fragte
Chariklia Papadopoulos, während sie die Tagliatelle so gesittet wie
möglich in sich hinein schlürfte.
Sie hatte den Lord
trotz seiner Veränderungen wieder erkannt und fand die kurzen Haare
sogar sehr attraktiv. Und die etwas größere Nase stand ihm auch
sehr gut. Er sah nun klassischer aus, vielleicht wie Achilles.
„Das Töten von
Menschen“ antwortete der Lord und nahm einen Schluck
Evian-Mineralwasser, „ist eine wundervolle Sache im Spektrum der
Farbpalette des handelnden Menschen in einem paramoralischen Kontext.
Es ist vom Wesen her neutral und immer dem Urteil der oder des
Beteiligten abhängig.“
„Wie meinst Du
das?“
„Zunächst einmal
hat man einen Auftrag. Doch im Laufe der Arbeit etabliert man immer
aufs Neue ein Konzept der Logik, die alles in ruhige Bahnen lenkt,
die einem alles erleichtern. Man sieht es nicht länger als
Zerstörung, sondern als Versiegelung. Der Tod ist kein Abschneiden,
sondern ein Verschließen, auch ein Beschützen und im Grunde eine
Verbeugung vor dem Leben, weil man es ehrt, in dem man es beendet.
Man beendet alles Zwielichtige, alles Unsichere, man segnet es, in
dem man es beendet. Natürlich haben die Menschen längst nicht
dieselbe Weitsicht und denken, die Zukunft hielte für sie noch
irgendein Wunder bereit oder müsse aus reinem Selbstverständnis er-
und ge-lebt werden. Ich sage dann nein, ein ganz in Weisheit und
Erfahrung gebettetes Nein. Und deshalb kenne ich auch keine Gnade.
Wenn mich eine Frau auf Knien anfleht, sie nicht zu erschießen, weil
sie drei kleine Kinder hat, dann drücke ich sofort ab. Damit
beschließe ich nur ein Kapitel, und für ihre Kinder wird ein neues
aufgeschlagen. Sie werden ihre Mutter immer in Ehren halten, ja
vielleicht sogar verklären. Ich schaffe mit der Tötung beinah ein
Ideal der sterbenden Person.“
„So habe ich das
noch nie gesehen.“
„Nur wenige können
diese Tätigkeit derart moralisch unterfüttern. Viele von denen, die
eine Arbeit wie die meine verrichten, gehen irgendwann daran kaputt.
Das wird mir nicht passieren, im Gegenteil. Ich vermehre mich selbst,
in dem ich töte.“
„Man kann sie dir
auch ansehen, diese Vermehrung deiner selbst, sie steht in deinen
Augen geschrieben.“
„Und in deinen
Augen, Chariklia, sehe ich mich selbst, von dir angenommen als das,
was ich bin.“
Der Lord führte
Chariklia in ein lauschiges, kleines Hotel und verbrachte mit ihr
eine wundervolle Nacht. Wundervoll besonders für Chariklia, die sich
solch eine Wonne nicht mehr erträumt hatte und so die These des Lord
ad absurdum führte, dass die Zukunft nur Unsicherheit und
Verwässerung schafft. Nein, die Zukunft konnte durchaus etwas
Wunderbares parat halten. Wie der Lord es angekündigt hatte, war er
am Morgen, als Chariklia erwachte, bereits verschwunden.
Sie streichelte die
Hälfte des Bettes, auf der er gelegen hatte, roch ihn noch, diesen
mysteriösen Mann, spürte ihn überall, seine Allgegenwart.
Auf seinem
Nachttischchen lag ein gebrauchtes, zerknülltes Taschentuch.
Chariklia empfand keinerlei Ekel oder hielt es auch nicht für
übertrieben, das Taschentuch zu nehmen und daran zu schnuppern. Es
roch ein wenig nach seinem Eau de Cologne, und ein wenig mülsig
(milsic) – dieses Wort fiel ihr spontan dazu ein. Sie fand den
Geruch niedlich und menschenhaft, sehr intim.
Langsam faltete sie
das Taschentuch auseinander. Dort drinnen, gebettet im weißen Stoff,
lag ein beachtliches Stück Naseninhalt, umspielt von cremigem
Schnodder.
Es war
bräunlich-matt, uneben, wild, beinah verspielt asymmetrisch.
Chariklia betrachtete es besinnlich und wusste, dass sie noch nie
etwas eigentlich Widerwärtiges in solcher Formvollendung gesehen
hatte. Die Widerwärtigkeit gab sich in Gestalt dieses Popels die
Hand mit der Schönheit, und das gab der Welt ihren Sinn, ihre
logische Abrundung.
Chariklia faltete
das Taschentuch wieder zusammen, verstaute es in ihre Handtasche und
machte sich zurecht, um das Hotel zu verlassen.
Da sie vorerst
arbeitslos war, blieb ihr nichts weiter übrig, als nach hause zu
fahren und sich im Internet nach einer neuen Stelle umzusehen. Sie
bekam auch gleich zwei interessante Angebote, eins davon von einer
reichen alleinerziehenden Mutter. Für Chariklia ideal, weil sie
selbst ja keine Kinder hatte und sie so liebte.
Das Telefonat mit
der Mutter verlief sehr gut, und sie vereinbarten einen
Gesprächstermin für den nächsten Tag, Doch heute hatte Chariklia
nichts mehr zu tun. Sie beschloss, ein wenig auf großem Fuß zu
leben und orderte per Telefon ein italienisches Frühstück.
Der Fernseher lief,
und Chariklia tummelte sich im Internet, klickte jeden halbwegs
lustigen Link an und kam vom Hundertsten ins Tausendste.
Schließlich stieß
sie auf das Promotionfoto von Bensons Buch, sah den beeindruckenden
Popel und empfand es als Déja Vu. Und seltsamerweise fühlte sie
keine Abscheu beim Betrachten des Objekts, nein, sie hatte irgendwie
Feuer gefangen und holte das Taschentuch des Lords aus ihrer
Handtasche.
Zwischen dem Popel
auf dem Foto und dem ihres Liebhabers gab es gewisse Ähnlichkeiten,
was aber nicht verwunderlich war, denn diese Dinge ähnelten sich
alle auf eine gewisse Weise.
Dennoch wurde sie
ein wenig nachdenklich. Einige Feinheiten waren sich so gleich, dass
man meinen konnte, die beiden Popel wären in derselben Nase
entstanden.
Nächster Teil Freitag, 28.02.2014
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