Donnerstag, 20. Februar 2014

LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers TEIL V


LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers 
TEIL V

„Was ist das für ein Gefühl, leise und schnell in ein Haus einzudringen, alle Menschen zu töten und unerkannt wieder zu verschwinden?“ fragte Chariklia Papadopoulos, während sie die Tagliatelle so gesittet wie möglich in sich hinein schlürfte.
Sie hatte den Lord trotz seiner Veränderungen wieder erkannt und fand die kurzen Haare sogar sehr attraktiv. Und die etwas größere Nase stand ihm auch sehr gut. Er sah nun klassischer aus, vielleicht wie Achilles.
„Das Töten von Menschen“ antwortete der Lord und nahm einen Schluck Evian-Mineralwasser, „ist eine wundervolle Sache im Spektrum der Farbpalette des handelnden Menschen in einem paramoralischen Kontext. Es ist vom Wesen her neutral und immer dem Urteil der oder des Beteiligten abhängig.“
„Wie meinst Du das?“
„Zunächst einmal hat man einen Auftrag. Doch im Laufe der Arbeit etabliert man immer aufs Neue ein Konzept der Logik, die alles in ruhige Bahnen lenkt, die einem alles erleichtern. Man sieht es nicht länger als Zerstörung, sondern als Versiegelung. Der Tod ist kein Abschneiden, sondern ein Verschließen, auch ein Beschützen und im Grunde eine Verbeugung vor dem Leben, weil man es ehrt, in dem man es beendet. Man beendet alles Zwielichtige, alles Unsichere, man segnet es, in dem man es beendet. Natürlich haben die Menschen längst nicht dieselbe Weitsicht und denken, die Zukunft hielte für sie noch irgendein Wunder bereit oder müsse aus reinem Selbstverständnis er- und ge-lebt werden. Ich sage dann nein, ein ganz in Weisheit und Erfahrung gebettetes Nein. Und deshalb kenne ich auch keine Gnade. Wenn mich eine Frau auf Knien anfleht, sie nicht zu erschießen, weil sie drei kleine Kinder hat, dann drücke ich sofort ab. Damit beschließe ich nur ein Kapitel, und für ihre Kinder wird ein neues aufgeschlagen. Sie werden ihre Mutter immer in Ehren halten, ja vielleicht sogar verklären. Ich schaffe mit der Tötung beinah ein Ideal der sterbenden Person.“
„So habe ich das noch nie gesehen.“
„Nur wenige können diese Tätigkeit derart moralisch unterfüttern. Viele von denen, die eine Arbeit wie die meine verrichten, gehen irgendwann daran kaputt. Das wird mir nicht passieren, im Gegenteil. Ich vermehre mich selbst, in dem ich töte.“
„Man kann sie dir auch ansehen, diese Vermehrung deiner selbst, sie steht in deinen Augen geschrieben.“
„Und in deinen Augen, Chariklia, sehe ich mich selbst, von dir angenommen als das, was ich bin.“
Der Lord führte Chariklia in ein lauschiges, kleines Hotel und verbrachte mit ihr eine wundervolle Nacht. Wundervoll besonders für Chariklia, die sich solch eine Wonne nicht mehr erträumt hatte und so die These des Lord ad absurdum führte, dass die Zukunft nur Unsicherheit und Verwässerung schafft. Nein, die Zukunft konnte durchaus etwas Wunderbares parat halten. Wie der Lord es angekündigt hatte, war er am Morgen, als Chariklia erwachte, bereits verschwunden.
Sie streichelte die Hälfte des Bettes, auf der er gelegen hatte, roch ihn noch, diesen mysteriösen Mann, spürte ihn überall, seine Allgegenwart.
Auf seinem Nachttischchen lag ein gebrauchtes, zerknülltes Taschentuch. Chariklia empfand keinerlei Ekel oder hielt es auch nicht für übertrieben, das Taschentuch zu nehmen und daran zu schnuppern. Es roch ein wenig nach seinem Eau de Cologne, und ein wenig mülsig (milsic) – dieses Wort fiel ihr spontan dazu ein. Sie fand den Geruch niedlich und menschenhaft, sehr intim.
Langsam faltete sie das Taschentuch auseinander. Dort drinnen, gebettet im weißen Stoff, lag ein beachtliches Stück Naseninhalt, umspielt von cremigem Schnodder.
Es war bräunlich-matt, uneben, wild, beinah verspielt asymmetrisch. Chariklia betrachtete es besinnlich und wusste, dass sie noch nie etwas eigentlich Widerwärtiges in solcher Formvollendung gesehen hatte. Die Widerwärtigkeit gab sich in Gestalt dieses Popels die Hand mit der Schönheit, und das gab der Welt ihren Sinn, ihre logische Abrundung.
Chariklia faltete das Taschentuch wieder zusammen, verstaute es in ihre Handtasche und machte sich zurecht, um das Hotel zu verlassen.
Da sie vorerst arbeitslos war, blieb ihr nichts weiter übrig, als nach hause zu fahren und sich im Internet nach einer neuen Stelle umzusehen. Sie bekam auch gleich zwei interessante Angebote, eins davon von einer reichen alleinerziehenden Mutter. Für Chariklia ideal, weil sie selbst ja keine Kinder hatte und sie so liebte.
Das Telefonat mit der Mutter verlief sehr gut, und sie vereinbarten einen Gesprächstermin für den nächsten Tag, Doch heute hatte Chariklia nichts mehr zu tun. Sie beschloss, ein wenig auf großem Fuß zu leben und orderte per Telefon ein italienisches Frühstück.
Der Fernseher lief, und Chariklia tummelte sich im Internet, klickte jeden halbwegs lustigen Link an und kam vom Hundertsten ins Tausendste.
Schließlich stieß sie auf das Promotionfoto von Bensons Buch, sah den beeindruckenden Popel und empfand es als Déja Vu. Und seltsamerweise fühlte sie keine Abscheu beim Betrachten des Objekts, nein, sie hatte irgendwie Feuer gefangen und holte das Taschentuch des Lords aus ihrer Handtasche.
Zwischen dem Popel auf dem Foto und dem ihres Liebhabers gab es gewisse Ähnlichkeiten, was aber nicht verwunderlich war, denn diese Dinge ähnelten sich alle auf eine gewisse Weise.
Dennoch wurde sie ein wenig nachdenklich. Einige Feinheiten waren sich so gleich, dass man meinen konnte, die beiden Popel wären in derselben Nase entstanden.



Nächster Teil Freitag, 28.02.2014

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