LORD DELUXE –
Aus der Nase eines Killers
TEIL IV
Seine Untersuchung
konzentrierte sich unter anderem auf die Umgebungen, die die Bildung
der Objekte begünstigten, zum Beispiel Baustellen und Minen, auch
Kriegsgebiete, in denen man mit vielen verschiedenen Schadstoffen in
Berührung kommt.
Da die Berufsfelder
sich immer schneller von toxischen Arbeitsplätzen wegbewegten, fiel
die Prognose für die Popelbildung eher pessimistisch aus. Zumindest
wurde der weichen Popelart eine gewisse Chance eingeräumt, da sie
sich auch in den vier Wänden eines Büros bilden konnte. Dort
konnten diverse Exemplare auch eine gewaltige Größe entfalten. Doch
der felsige, brockige Popel des alten Industriezeitalters würde in
der immer digitalisierteren Welt zunehmend seltener werden.
Benson forderte die
Menschen im Internet auf, auch Foto von älteren Objekten
einzureichen, doch diese waren äußerst selten, weil man solche
Dinge ungern fotografierte und meist sofort nach Zutageförderung
diskrekt entsorgte.
Als Benson in
Erwartung der Fleischmedaillons seine E-Mails durchsah, stieß er
auf eine mit Anhang versehene Nachricht von einem Mann, der sich „Der
Lord“ nannte. Benson stutzte und las:
„Mit Freude habe
ich von ihrem Buchprojekt erfahren und hoffe, mit diesem Bild, das
vergangene Woche aufgenommen wurde, einen kleinen Beitrag leisten zu
können. Ich hatte leider kein Zentimetermaß zur Hand und nahm als
Größenvergleich meinen eigenen Mittelfinger. Ich versichere Ihnen
hiermit, dass es sich um keine Fotomontage oder sonstige Manipulation
handelt, und zusätzlich sei erwähnt, dass es nicht meine Gewohnheit
ist, Nasendreck zu dokumentieren, doch in diesem speziellen Fall
hielt und halte ich es durchaus für angebracht. Ich gehe einmal
davon aus, dass dieses enorme Ergebnis ein Nebenresultat meiner
kürzlichen Nasen-OP ist.“
Benson sah sich das
Foto an.
Neben einem leicht
überdurchschnittlich langen männlichen Mittelfinger, von den
übrigen isoliert gehalten wie bei der bekannten obszönen Geste, lag
ein Popel von berauschender Schönheit. Es war eine sogenannte
Mischform aus harten und weichen Elementen, von Benson scherzhaft
Globetrotter genannt, weil er über den Besitzer oder Wirt zumindest
die sicherer Aussage fällte, sich sowohl viel Zeit in der Gegenwart
schmutziger Luft als auch in beheizten Räumen aufgehalten zu haben.
Nur in der Nase
eines Menschen, der sich in vielen verschiedenen Umgebungen innerhalb
kurzer Zeit aufhielt, konnte ein derartiges Exemplar zur Entfaltung
kommen.
Benson starrte
verblüfft auf das Foto, vergrößerte es und betrachtete die
krustige, braun-grau schimmernde Beschaffenheit, unterbrochen von
weißem Glibber wie eine Quarkspur, und ganz haudünn durchzogen von
zartroten Blutfäden, wie Kirschsirup auf einem Dessert.
Der lange,
grüngelbliche Schweif des eleganten Objekts ließ ein wenig an das
Rinnsal einer gerade entstehenden Quelle denken, auch an einen
exotischen Wurm, doch durchsetzt von kleinen harten, kraterähnlichen
Applikationen. Benson nahm seinen eigenen Mittelfinger als Vergleich.
Der Popel war länger als der Finger auf dem Foto und erst recht
länger als sein eigener.
Falls ihm keine
Fotos schönerer Exemplare geschickt wurden, wovon er ausging, galt
dieser als der schönste dokumentierte Popel der Welt.
Obwohl das Buch
bislang nur halb fertig war, juckte es Benson, das Foto vorab zu
veröffentlichen und schrieb eine Antwort an den Mann, der sich Lord
nannte, beglückwünschte ihn emphatisch und
fragte an, ob er
seine Erlaubnis erteilen würde, das Foto als Vorankündigung für
das Buch im Internet zu veröffentlichen.
Natürlich war sich
Benson sicher, dass der Lord nichts gegen eine Veröffentlichung
haben konnte, sonst hätte er ihm das Foto nicht geschickt. Doch
Benson wollte gründlich sein und es nicht an Höflichkeit vermissen
lassen, und tat in seiner Antwort so, als würde er den Lord nicht
kennen ...
Seine Begeisterung
ging Hand in Hand mit einer angeborenen Ungeduld, und er stellte das
Foto sogleich auf seine Webseite und seine Plattformen in den
sozialen Netzwerken.
Darunter setzte er
den markigen Spruch, angelehnt an alte Superman-Comics:
„Ist es ein
Meteor, ist es ein Artefakt, ist es ein Drache – nein es ist ...“
Die drei Pünktchen ließ er stehen, um die Spannung aufzubauen, und
setzte unten in das Bild die Adresse seiner Webseite für das Buch.
Benson aß die fast
erkalteten Fleischmedaillons mit Kartoffeln und Erbsen. Er schlief
pflichtbewusst mit seiner Frau und lag noch eine Stunde wach im Bett,
erforschte das Innere seiner Nase und dachte daran, dass er als
Außendienstler auch häufig ansehnliche Exemplare in seiner Nase
fand, und fragte sich beinah mit einer flehentlichen Melancholie, ob
man außer den bekannten Voraussetzungen auch Talent für so ein
wunderschönes Objekt mitbringen musste. Ob es gottgegeben war, etwas
derartiges in der Nase entstehen zu lassen. Benson dachte daran, ob
es möglich wäre, einen Popel in beiden Nasenlöchern wachsen zu
lassen, der sich vor der Nase, herausschauend aus den Nasenlöchern,
zu einem einzigen verbinden konnte. Er liebte auch die Vorstellung,
mit einer verstopften Nase aufzuwachen und dann mit seinem
Fingernagel einen besonders harten Kumpanen aus seiner Scheidewand zu
brechen, zu hebeln, knirschend, krachend. Er spekulierte, dass so ein
Gefühl durchaus mit dem von Sex konkurrieren könnte.
Nächster Teil Freitag 21.02.2014
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