Donnerstag, 15. August 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL VII


Mit klopfendem Herzen und flirrenden Augen stand Marisca vor Caecus und teilte ihm mit, was Pictor befohlen hatte. Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie sagte, sie sei nun ein festes Mitglied der Malerwerkstatt.
Sie sah Caecus sofort an, dass er nicht sehr erbaut davon war, und er sagte ihr mit einem Seufzer, sie solle in der ersten Zeit ihre übliche Arbeit verrichten und den Anderen zusehen. Er gab ihr ein paar alte Papyri zum Üben und musste sich anschließend wieder dem Portrait des Novellus widmen.
Marisca nahm jede Gelegenheit wahr, um mit Caecus zu sprechen. Dabei gab sie darauf acht, ihn nicht bei seiner Arbeit zu stören und zog ihn nur zu Rate, wenn er gerade Pause machte oder die Arbeit der Anderen beobachtete. Mit allergrößter Vorsicht und Demut modifizierte sie ihr Verhalten und vermied es auch, schmutzige Worte und Kraftausdrücke zu gebrauchen, die sie während der letzten Jahre auf der Straße gelernt hatte.
Gleichzeitig wuchs ihre Faszination für diesen Mann, und ihre Verliebtheit wurde unterstützt von einer ganz einfachen Bewunderung für sein Können und seine Art, mit den Untergebenen umzugehen – mit bedachter Wortwahl, ruhig, nie schikanierend oder jähzornig.
Jeden Tag besuchte Caecus mit seinen Malern die Thermen des Trajanus, und jedes Mal gab es Marisca einen Stich ins Herz, weil sie nicht mit durfte. Sie stellte sich vor, wie er nach dem Bade nach Hause in seine Wohnung ging, oder in eine Taverne, um bei einem bitteren Landwein die Erinnerung an seine geliebte Frau zu ertränken. Doch während der Arbeit in der Werkstatt verhielt er sich stets gut gelaunt und wachsam, wurde nie ausfallend, geschweige denn, dass er über Privates sprach.
Marisca verlor mit der Zeit die Scheu, die man als Verliebte vor dem Schwarm besaß. Und langsam gedieh in ihr die Idee, sich eine Strategie auszudenken, mit der sie ihn außerhalb der Arbeit treffen konnte.
Außerdem lernte Marisca das Malen sehr schnell. Mit den Lehrlingssklaven der Werkstatt konnte sie zwar noch nicht mithalten, doch sie erhielt schon Lob von Glabrio, der darauf spezialisiert war, Obst und Vögel zu malen. Marisca gelang ein Flamingo recht gut, weil der geschwungene Hals ihrer Motorik schmeichelte, und auch auf eine Wachtel mit einem Wurm im Schnabel konnte sie ein wenig stolz sein.
In den Nächten schlief sie manchmal auf einem Sofa im Triklinium oder in einem der zahlreichen Schlafzimmer. Und es kam nicht jede Nacht vor, dass ein Mann sie gebrauchte.
Pictor hatte noch immer keinen Plan, wie Marisca dazu benutzt werden konnte, den Aventinern zu schaden, und sie war froh darüber, hatte sie sich doch in dem Haus und der Werkstatt gut eingelebt.
Es kam vor, dass sie gewisse düstere Vorgänge im Haus beobachtete. Es gab Besuche von gedungenen Männern, die Diebesgut ablieferten, Gespräche mit Fremden in orientalischer Sprache und ein Mal die Bestrafung eines Sklaven, dem die Hand abgeschlagen wurde.
Die Senatorengattin, die Pictor verführt hatte, stand eines Tages in einem der Zimmer, allein und verzweifelt weinend. Marisca hatte es nicht gewagt sie anzusprechen. Sie vermutete, dass man mittlerweile den Ehemann erpresste.
Der Tag den sich Marisca ausgesucht hatte, um die Initiative zu ergreifen, war nun gekommen. Die Wolken hingen tief über Rom, und es nieselte immerzu. Es herrschte ein Wetter, in dem man junge Damen nicht gerne der Straße überließ. Marisca wartete nach Feierabend noch ein Weilchen und verließ das Haus in der neunten Stunde am Nachmittag. Durch geschickte Fragen an die Malersklaven hatte sie erfahren können, in welchem Hause Caecus lebte und postierte sich an einer Stelle, an der ihr Schwarm sie nicht übersehen konnte, wenn er von dem Besuch der Thermen nach Hause kam.
Marisca schürfte sich absichtlich an einer kantigen Mauerecke die Ferse auf, bis es blutete. Den Schmerz ignorierte sie tapfer.
Zum Glück dauerte es nicht lange, bis sie Caecus in der Menge entdeckte, der jedoch zunächst einen kleinen Buchladen in einer gegenüberliegenden Insula aufsuchte. Dort hielt er sich mindestens eine halbe Stunde auf, währenddessen Marisca dafür sorgte, dass das Bluten ihrer Wunde nicht inne hielt. Mit einem kleinen spitzen Stein kratzte sie an ihrer Ferse herum, öffnete kleine Quellen des Blutes und erfreute sich an der Pein, weil sie nur ein kleiner Preis für das höhere Ziel war.
Marisca ließ sich in ihrer Aufmerksamkeit von nichts ablenken, auch nicht von den lüsternen Blicken mancher Männer, die sie passierten, und auch nicht von der kleinen Schlägerei, die von drei bewaffneten Vigiles beendet wurde, nachdem einer der Prügler reglos am Boden liegen geblieben war.
Als Caecus den Laden verließ, begab sich Marisca auf einen Abfangkurs und humpelte zwischen Caecus und dem Eingangstor der Insula herum. Sie stellte sicher, dass er sie nicht übersehen konnte und enthüllte ihren Kopf, indem sie ihre Palla um den Hals legte.
Sie spürte ihn näher kommen und wusste, dass er sie erkennen würde.
„Volusa?“ - Wie gerne hörte sie ihren bürgerlichen Namen.
Gespielt überrascht hob sie den Kopf von ihrer leicht schmerzgebückten Haltung. Caecus fragte:
„Was machst du denn hier? Wieso bist du nicht in Pictors Haus?“
„Ach, ich wollte nur ein wenig-“
„Du bist ja verletzt!“
„Ich bin bei der Nässe ausgerutscht. So ein Ärger. Ich habe einen Laden gesucht, der mir billig Pinsel verkauft. Ich wollte einfach mal ein paar eigene besitzen. Und jetzt so ein Missgeschick! Es tut ziemlich weh. Und für einen Medicus habe ich kein Geld.“
Caecus bückte sich und betrachtete Mariscas Ferse.
„So schlimm ist die Wunde nicht. Komm mit, ich wohne gleich da drüben.“
„Oh, das wusste ich nicht. Was für ein Zufall …“
„Mädchen wie du haben immer Glück im Unglück, hm?. Na los, stütze dich auf mich.“
Diese Worte flossen wie Honig in ihre Ohren. Sie legte ihren Arm über seine Schulter und bemühte sich, das Humpeln nicht zu übertreiben. Caecus fasste unterstützend um ihre Hüfte, und ein warmer Schauer lief über ihren Rücken.
Im Erdgeschoss der Insula befanden sich einige Geschäfte, und im Transitorium stand der übliche Urinbottich, der einen scharfen Geruch verströmte. Marisca und Caecus stiegen die ausgetretene Treppe zum ersten Stock hinauf. Insgeheim hoffte sie, dass er sie hoch trug, doch das tat er nicht.
Die Cenacula des Meistermalers sah überaus gepflegt aus und war exquisit eingerichtet. Es gab ein breites Bücherregal, überfüllt mit Papyrusrollen. Caecus musste ein wahrer Leseverrückter sein. Marisca fiel auch ein großes Holzgemälde auf, das eine syrisch aussehende Frau portraitierte. Sie sah überaus würdevoll und begehrenswert aus. Marisca war sich sicher, dass das Bild Caecus' verstorbene Ehefrau darstellte.
„Setz dich hin.“ sagte Caecus freundlich. Marisca nahm auf einem schönen Stuhl mit applizierten Armlehnen Platz und stöhnte im Schmerz, aber nicht zu theatralisch ...





Nächster Teil Freitag, 23.08.2013


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