Donnerstag, 22. August 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL VIII


Während Caecus ein Leinentuch in den Wasserkrug tunkte, wanderte Mariscas Blick durch die geräumige Zweizimmerwohnung. Das Bett im Cubiculum Noctis wirkte ein wenig alt und brüchig, bot aber für zwei Personen genug Platz. Einige Möbel schienen ebenfalls so, als hätten sie zuvor in einer anderen, pompöseren Behausung gestanden.
Caecus kniete sich vor Marisca nieder und betupfte ihre Schürfwunde mit dem feuchten Tuch. Er sprach leise:
„Das sind nur ein paar oberflächliche Abschürfungen. Nicht so schlimm. Der Schmerz steht in keinem Verhältnis zur Schwere der Verwundung.“
„So sehr tut es auch nicht mehr weh. Danke, Meister.“
Als er das Blut von Mariscas Fessel wusch, saugte ihr Gemüt jede seiner Berührungen auf wie ein Schwamm. Seine Finger fühlten sich so zart an wie Schmetterlingsflügel. Marisca wurde nervös und fing zu plappern an:
„Wie lange wohnst du schon hier?“
„Ach … Fünf Monate.“
„Du hast viele Bücher, Meister.“
„Ich lese gerne.“
„Ich sehe hier gar keine Malgeräte.“
„Das ist meine Wohnung, nicht meine Werkstatt.“
„Sag Meister, hättest du wohl einen Schluck Wein?“
„Nur Wasser. Ich hole dir etwas.“
„Oh nein, ist schon gut.“
Caecus wickelte ein frisches, trockenes Leinentuch um Mariscas Ferse und gab ihr einen Becher mit Wasser. Sie trank. Caecus sagte nebenher:
„Ich gehe für gewöhnlich am Abend in eine Garküche, um zu essen. Gehst du zurück zum Haus? Oder willst du immer noch Pinsel kaufen?“
„Das hatte ich vor.“
Caecus öffnete eine Schublade, holte ein paar gewaschene, alte Pinsel heraus und gab sie Marisca.
„Die kannst du haben.“
„Wirklich? Oh, ich danke dir!“
Nicht wissend wohin sie die Pinsel verstauen sollte, bündelte sie sie in der Hand und stand auf. Caecus fragte:
„Wo kommst du eigentlich her? Du scheinst nicht als Sklavin geboren worden zu sein.“
Endlich eine persönliche Frage.
„Das wurde ich auch nicht. Die Umstände meiner Entwicklung sind schwer zu schildern. Es erfordert Geduld.“
Marisca wollte nicht mit ihrem schweren Schicksal kokettieren und ermunterte sich, in ein sensibles Thema vorzustoßen, wenn es auch nur den Zweck erfüllen konnte, Eindruck zu hinterlassen:
„Wenn nach einem Auftrag ein Haus für einen Raubzug auserkoren wird, bist du dann der Anführer?“
Caecus' Gesicht verdüsterte sich:
„Ich male. Ich raube keine Häuser aus. Mit den Plänen die in Pictors Privaträumen ausgeheckt werden, habe ich nichts zu schaffen.. Und du bist gut beraten, auch nichts damit zu schaffen zu haben.“
Marisca schlug die Augen nieder. Caecus blieb ihr undurchsichtiges Verhalten nicht verborgen. Er fragte zynisch:
„Bist du von Pictor oder Scaurus zu mir geschickt worden?“
Marisca schluckte.
„Oh nein, ich wollte nur-“
„Was für Ränkespiele. So eine Verwundung zieht man sich nicht zu, wenn man auf nasser Straße stolpert. Mitleid ist ein leichter Fisch, kleine Frau. Was hat Pictor im Sinn? Warum prüft er meine Loyalität nicht auf ehrliche Weise? Ich hätte ahnen können, dass ich auf kurz oder lang nicht drumherum komme, mir die Hände nicht nur mit Farbe schmutzig zu machen. Was verlangt der Patronus? Ich werde niemanden umbringen.“
„Nein, oh nein, du irrst! Niemand hat mich-“
„Allein dein Auftauchen in der Werkstatt kam mir komisch vor. Überbring Pictor die Nachricht, dass ich nur Interesse an meiner Arbeit habe. Keine Macht kann mich dazu zwingen, jemanden auszurauben oder zu töten. Warum schickt er mir eine Hure, um mich auszuspionieren?“
Sas Wort ‚’Hure’ schmerzte Marisca hundert Mal mehr als ihre wunde Ferse.
Caecus fuhr fort:
„Sag ihm er soll mich fortjagen oder töten. Ich selbst bin für das dunkle Gewerbe nicht geschaffen. Er sollte das wissen, und wir trafen einst eine Vereinbarung in diesem Wissen. Richte ihm das aus und versuche beim nächsten Mal, dir ein Bein oder einen Arm zu brechen. Du dummes Ding. Schmerzt deine Ferse noch, hm?“
„Soviel Recht du hast, so viel an Irrtum erliegst du. Es stimmt dass ich dich getäuscht habe, doch Pictor hat nichts damit zu tun. Er weiß nichts von meinem Besuch bei dir. Diese Art von Aufrichtigkeit bereitet mir Schmerzen, doch lass mich dir sagen, dass ich das Malerhandwerk erlernen will und mir dich als persönlichen Lehrer wünsche. Pictor hat mich aufgenommen, weil er sich von mir als ehemalige Aventinerin Informationen erhofft. Doch ich will nur einen neuen Pfad in meinem Leben finden, einen Halm der Hoffnung. Glaub mir, ich wollte dich nicht täuschen, nur in dem Rahmen, um dich als Meister für mich zu gewinnen. Nur um … Verdammt nochmal, ich wollte dass du mich abseits des Hauses von Pictor siehst, nur mich als Menschen, nur ...“
„Setz dich wieder hin.“ sagte Caecus. Marisca hatte gar nicht gemerkt, dass sie aufgestanden war.
Sie schimpfte nun beinah hemmungslos:
„Ich habe es satt! Ich will ein besseres Los! Und du bist so ein Wundermann mit deinem Können! An dir will ich mich messen können, bei allem Respekt. Nenn mich anmaßend, jage mich meinetwegen fort, bei allen Göttern!“
„Setz dich wieder hin. Komm zu Atem.“
Doch sie blieb stehen.
„Ich heiße Volusa. Mein Vater hat ein paar Fehler gemacht.“ Sie fing zu weinen an. „Ich machte auch welche. Verdammt, ich will nach Korsika!“
„Hör zu, du setzt dich hin und hörst dir an, was ich dir sage. Setz dich hin!“
Endlich gehorchte sie. Caecus hockte sich vor sie.
„Du bist zu alt, um die Meisterschft zu erlangen. Ich lernte meinen Meister im Alter von fünf Jahren kennen. Wie alt bist du? Neunzehn? Zwanzig?“
„Siebzehn, Meister.“
„Du würdest nie mehr als eine nützliche Gehilfin werden. Eine Meisterin wirst du nie.“
Marisca tat nun sehr enttäuscht. Und wie ein kleines Vögelchen fragte sie:
„Eine Gehilfin … Das würdest du mir erlauben?“
„Wenn Pictor es erlaubt hat, werde ich dich ausbilden.“
Mariscas Welt fing plötzlich zu leuchten an ...

 
 
 
Nächster Teil Freitag, 30.08. 2013

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