Donnerstag, 1. August 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL V


Marisca betrat mit einigem Missmut die Studioräume. In den meisten lagerten Holzbilder mit verschiedensten Motiven, Portraits von Männern und Frauen der hohen Gesellschaft, Szenen aus der Mythologie, und natürlich Götterbilder. Viele der Gemälde besaßen eine hohe Qualität, einige sahen jedoch eher wie Übungen aus. Die Sklaven machten gerade eine Pause, als Marisca das kleine Triklinium betrat.
„Salve“ sagte sie salopp. Die Maler nickten ihr zu. Manche lächelten sie an. Sie aßen Brot und Käse und tranken verdünnten Wein dazu.
Ein etwas untersetzter Mann winkte sie zu sich und bot ihr ein wenig Käse an.
„Wer bist du, Hübsche?“
Wenn sie nun ihren üblichen Cognomen nannte, würden die Männer sofort wissen, dass sie eine Lupa war.
„Pictor hat mich in seiner Gnade bei sich aufgenommen. Ich sollte mich hier bei euch melden und meine Hilfe anbieten.“
„Wir können immer Hilfe gebrauchen, nicht?“
Die Männer nickten und machten einen netten Eindruck.
„Wie ist dein Name?“ fragte der Untersetzte erneut.
Volusa. Sergia Appia Volusa.“ sagte sie ohne zu überlegen
Kurz nachdem sie diesen vollen bürgerlichen, ihren echten Namen ausgesprochen hatte, kamen ihr kleine Tränen. Der Tischnachbar wunderte sich und vermutete, dass Volusa vielleicht verstoßen worden war.
„Mädchen, weine doch nicht. Hier bist du in Sicherheit. Trink etwas Wein ...“
„Das ist es nicht. Ich musste bei meinem Namen an meine Eltern denken. Sie sind nicht mehr unter uns.“
„Das tut mir Leid, Volusa.“
„Oh … Schon lange hat mich niemand mehr so genannt.“
„Du bist wohl versklavt worden, hm? Was für einen Namen hat man dir gegeben?“
„... Marisca“ sagte sie leise und schamvoll. Sie wunderte sich, dass sie sich ausgerechnet in Gegenwart von diesen Unfreien schämte.
„Diesen Namen hat dir aber nicht der Patronus gegeben, oder? Normalerweise denkt er sich etwas Originelleres aus.“
„Ein Aventiner gab ihn mir, um jedem Missverständnis vorzubeugen.“
„So eine Schande.“
Ein neuer Mann betrat den Raum, kein Sklave, das sah man sofort. Er war von kleinem Wuchs, kaum größer als Marisca, schlank und mit anmutigen Zügen.
„Wollt ihr nicht langsam weiterarbeiten? Das Bild für Novellus muss vorbereitet werden.“
sagte er mit ruhiger Stimme.
Manche riefen „Ja!“, einige sogar „Ja, Meister!“
Dies war also der Meister der Malerei, der direkte Untergebene von Pictor. Als er Marisca entdeckte, runzelte er die Stirn und fragte leicht irritiert:
„Huren? Hier?“
Ihr Tischnachbar warf ein:
„Sie ist keine Hure. Sie soll uns ein wenig zur Hand gehen.“
„Seltsam. Was denkt sich der Patronus dabei? Also gut, Glabrio kann dir zeigen wie man Pinsel reinigt. Und später vielleicht wie man Farben anmischt.“
Marisca ertappte sich bei einem Lächeln, doch sie wusste nicht warum. Eine niedere Sklavenarbeit schien nicht das, was sie sich erhofft hatte. Doch irgendetwas erfreute sie. Was nur?
Als Glabrio ihr beibrachte die Pinsel zu säubern, breitete sich das Gefühl der Freude wie eine Krankheit in ihr aus. Und wäre sie nur ein paar Jahre älter und erfahrener, hätte sie es richtig deuten können. Der Grund für die Heiterkeit war der Meistermaler.
Ihre Gedanken verirrten sich, sie hörte Glabrio kaum zu und zupfte nervös an ihrer Tunika herum. Man hatte ihr davon erzählt, von diesem Phänomen. Man nannte es „Liebe auf den ersten Blick“

Marisca hörte die Stimme ihrer verstorbenen Mutter, die ihr sagte, dass man in so einem Zustand der Verliebtheit nicht mehr schlafen konnte, geschweige denn essen oder sich konzentrieren. Und sie hatte auch erwähnt, dass Verliebte mitunter auch sehr unglücklich sein konnten. Doch davon spürte Marisca nichts. Ihre alten Freundinnen aus besseren Zeiten hatten unter dem Verliebtsein gelitten. Marisca noch nie.
Aber warum traf sie Amors Pfeil ausgerechnet bei diesem Mann, der sich nicht mal freundlich ihr gegenüber gezeigt hatte, ja nicht mal ein großer und stattlicher Mann war?
Es konnte damit zu tun haben, dass man ihn Meister nannte. Marisca mochte Menschen, die in einer bestimmten Sache besonders besonderes Können aifwiesen. Sie bewunderte gelenkige Tänzer, geschickte Reiter oder virtuose Musiker. Doch diesen Mann hatte sie noch gar nicht malen gesehen, und sie kannte nicht mal seinen Namen. Der Grund für ihre Verzückung schien woanders zu liegen. Der Mann selbst war es.
Vielleicht der Glanz seiner Augen, der Klang seiner Stimme. Alles zusammen war aber nicht genug. Wenn man von einem Pfeil getroffen wird, braucht man nicht zu wissen wer ihn geschnitzt und die Spitze geschmiedet hat. Der Pfeil steckt im Leib, und die Wunde blutet bittersüß.
Marisca stellte sich relativ geschickt beim Waschen der Pinsel an und sah den Sklaven beim Anmischen der Farben zu. Sie stierte auf den Meistermaler, der seine besten Schüler beim Skizzieren eines großen Holzbildes beaufsichtigte. Novellus, der Anführer der Esquiliner, hatte ein Portrait in Auftrag gegeben. Sie spürte immer stärker den Hunger, sich in der Nähe des Meisters aufzuhalten. Sie schätzte sein Alter auf Anfang 30, und von Glabrio erfuhr sie seinen Namen. Er hieß Caecus.
Marisca wollte sich jedoch nicht verdächtig machen und stellte keine übereifrigen Fragen. Mit vom vielen Waschen aufgedunsenen Händen lugte Marisca in einen großen Studioraum, in dem sich Caecus mit seinen besten Männern aufhielt und arbeitete.
„Nicht zu dick auftragen. Benutzt die groben Pinsel. Fühlt euch frei. Ihr braucht nicht darüber nachzudenken was ihr tut.“ sagte er zu ihnen und klang dabei so sicher, so ruhig und gar nicht wie die zeternden Lehrer, die sie als Kind kennen gelernt hatte.
Marisca konnte sich nicht erinnern, je einen Menschen so reden gehört zu haben. Caecus' Stimme klang so hell und klug. In seinen geschmeidigen Bewegungen wirkte er äußerst jugendlich. Aus ihm strömte große Energie, und sein markantes Profil ließ vermuten, dass in ihm griechisches Blut floss.
So unauffällig wie möglich wollte sie Genaueres über diesen Mann wissen und verpackte ihre Fragen geschickt in Belanglosigkeiten. Glabrio erzählte ihr, dass alle Sklaven in einem hinteren Anbau des Hauses schliefen, Caecus jedoch bewohnte einen Häuserblock weiter in einer Insula eine eigene Wohnung, nur für ihn.
Es schien als sei Caecus als Chef überaus beliebt, und einige seiner Schüler schwärmten auch privat von ihm. Doch, so versicherte Glabrio, interessierte sich Caecus nicht für Männer. Vor einem halben Jahr war die Frau von Caecus gestorben, und man hatte ihn nur mit viel Mühe vom Selbstmord abbringen können. Marisca zeigte sich bestürzt.
„Wie hat er sich getröstet? Ist er viel in den Lupanars gewesen?“
„Oh nein, Caecus ist ein Mann, der sich am besten mit Arbeit tröstet. Nachdem wir ihn davon überzeugt hatten, dass wir ihn als Lehrer und Meister brauchen und er auch Pictor gegenüber verpflichtet ist, nahm er alle Kraft zusammen und bekämpfte seine Trauer mit Farbe und Pinsel.“
Mariscas Achtung vor Caecus wuchs ...



Nächster Teil Freitag 09.08.2013

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