Donnerstag, 6. März 2014

LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers TEIL VII


LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers 
 TEIL VII

Benson zog sich für eine Minute zurück und hantierte an seiner Nase herum.
Die Kollegen hörten nur, wie er sagte:
„Das ist echt ein Trauerspiel“ und dachten, es bezog sich auf diesen Tatort. Doch mit dem Wort Trauerspiel war die Lage nicht genügend beschrieben. Die Männer vom FBI wurden vor einer Stunde von der örtlichen Polizei hinzugezogen, weil es sich offensichtlich um den selben Täter handelte wie bei dem Mullinger-Massaker.
Der Anwalt Jonathan Kirby hatte eine zehn Jahre alte Tochter, und als die von der Schule kam und ihr rosafarbenes, plüschiges und mit Postern von Pferden behangenes Zimmer betrat, erlebte sie das Trauma ihres Lebens. Das Zimmer, so süß und bunt und so in einer heilen Welt existierend, dass man dort zu keinem bösen Gedanken in der Lage wäre, war voller Leichen.
Ein Mann in einem blauen Jogginganzug, dessen Farbe sehr gut zu dem pinkfarbenen Teppich passte, lag mit ausgebreiteten Gliedern auf dem Fußboden, mit dem Gesicht nach oben. Ein anderer Mann saß tot in einem überdimensionalen Plüschsessel, der ein wenig an einen Winterhandschuh erinnerte. Dieser Mann trug nur eine Badehose und hatte ein schwarzrotes Loch vom Durchmesser einer Grapefruit in der Brust. Aus der Tür ihres kleinen Badezimmers ragten die Beine eines weiteren Mannes. Und obendrein lag einer, der als einziger einen schwarzen Anzug trug, auf dem Kinderbett. Auf seiner Stirn erkannte man ein präzises Einschussloch.
Da das Fenster den ganzen Vormitteg verschlossen war, hatte es schon zu stinken angefangen, und Kirbys Tochter, die verständlicherweise ziemlich verstört war, wurde schon von einer Psychologin betreut. Die Leute von der Spurensicherung waren beinah fertig, als Benson wieder dazu kam und sich die Leiche auf dem Plüschsessel genauer betrachtete.
Er verlangte nach einer Lupe und hielt sie dem toten Mann unter die Nase.
„Haben Sie etwas entdeckt?“ wollte Linklater wissen. Benson antwortete nicht und sagte zu einer Dame von der Spurensicherung:
„Pinzette bitte!“
Mit dem feinen Werkzeug holte er etwas aus der Nase der Leiche heraus und beförderte es in eine Art Reagenzglas. Es war ein gutes Exemplar, anmutend wie ein Meander aus sanftem Grün, weich, aber intakt. Die Konsistenz erlaubte es, ihn zu nehmen und zu transportieren. Er war wie Gummi und verriet somit, dass er schon eine Weile in dieser Nase gewohnt hatte.
„Ich will, dass sie den Popel analysieren. Finden sie heraus, aus was für Inhaltsstoffen er besteht. Und beschädigen sie ihn nicht, ich werde ihn nach ihrer Untersuchung für mein eigenes Büro in Anspruch nehmen.“
Er wandte sich an Linklater. Der sagte:
„Anwalt Kirby hatte diese Männer in sein Haus eingeladen, um über die Taktik im Polako-Fall zu diskutieren. Kirby selbst ist nichts passiert. Er befand sich zur Zeit der Morde unterwegs, um seine Frau abzuholen und hat die Herren für eine halbe Stunde allein gelassen. Erst dachten wir, der Killer hätte sie unten im Büro umgebracht und dann hier hinauf geschleppt, aber alles deutet darauf hin, dass sie sich hier aufgehalten haben. Im Kinderzimmer.“
Benson blickte zur Decke. Dort hing ein Mobile mit Pferde- und Katzenfigürchen. Eines der Katzenfigürchen hatte einen Spritzer Blut abbekommen.
„Nein, er hat sie hinauf gelockt. Vielleicht hat er verdächtige Geräusche gemacht. Ich gehe mal runter, muss privat telefonieren.“ sagte Benson und eilte hinaus.
Er wählte mit seinem Handy über eine Umleitung die Nummer des Lords. Doch der ging nicht ran.

„Für einen besonders schönen Popel muss man viel unterwegs sein, mein Liebling“ sagte der Lord, als er im Zimmer des Ambassador-Hotels zwischen Chariklias Beinen lag.
„Ja, das kann ich mir vorstellen. Darf ich mal bei Dir suchen?“
„Ich habe eine freie Nase, mein Schatz. Ich räume immer sehr gewissenhaft. Mir bedeuten diese Dinge nicht so viel. Was bedeutet der Raupe die Seide? Sie entsteht ganz natürlich und von selbst. Leute wie Benson erhöhen sie nur aus Dummheit und Mangel an Phantasie. Für einen Sänger gehört der Gesang zu seinem Leben wie die Luft zum Atmen. Andere himmeln ihn dafür an. Wir nutzen unsere Fähigkeiten, um die geistig Schwachen zu erfreuen und uns Untertan zu machen. Aber wer in diesem Schema denkt, ist in meinen Augen ein kleines bedauernswertes Würstchen. Ich halte alles für der übermächtigen Willkür unterworfen, und Bedeutung ist eine Illusion. Nichts hat Bedeutung.“
„Aber was ist mit deinem Akt des Tötens? Du verschaffst den Leuten durch ihre Ermordung eine höhere Bedeutung.“ sagte sie, obwohl sie nicht mehr so recht dran glaubte.
„Ja, das habe ich Dir letztes Mal erzählt. Aber im Ernst: Das ist doch total lächerlich. Das ist nur eine gedankliche Spielerei von mir, die noch nicht mal von einem verzweifeltem Willen zur Rechtfertigung angetrieben wird. Es ist nur ein Konstrukt. Hast du das alles ernst genommen?“
Der Lord stieg von Chariklia herunter und goss sich ein Mineralwasser ein.
„Ich habe darüber nachgedacht“ sagte Chariklia, „Und zuerst hat es für mich Sinn ergeben,“
„Das sollte es auch, meine hellenische Blume. Du kannst es benutzen und vielleicht etwas daraus entstehen lassen. Vielleicht legst du dir ein schönes Hobby zu, Häkeln oder Stillleben Malen. Für Dich ergibt es Sinn, für mich ist es nur eine Art Inszenierung für meinen verspielten Geist. Glaub mir, alles ist vollkommen egal, bedeutungslos. Und die meisten Menschen brauchen einen konstruierten Sinn, weil sie arme kleine Schweine sind, alle miteinander, nimmt man mal die Außergewöhnlichen wie Einstein oder Archimedes oder Da Vinci heraus, die ihre Umwelt wirklich bereichern konnten, aber ob ihr Schaffen tatsächlich etwas bedeutet, kann einem nur ein hypothetischer Gott sagen, und der schweigt. Leute wie ich sorgen dafür, dass er das Maul hält. Er ist so sprachlos ob seiner Schöpfung, so gelähmt zu wissen, dass er von allen kleinen Würstchen das kleinste und gleichzeitig größte ist, weil er sich einbildete, etwas Bedeutsames geschaffen zu haben. Vielleicht hat ihn aber schon längst ein schwarzes Loch aufgesogen.“
„Dennoch, mein Lord, trotz allem, im Widerspruch zu dem, was du gerade gesagt hast und mir eigentlich weh tun müsste, wünsche ich mir noch einen Popel von dir, bevor du mich für immer verlässt. Und das wirst du, nicht wahr?“
„So leid es mir tut, ja. Und das musst du mir wirklich glauben. Es tut mir wirklich Leid. Ganz aufrichtig.“
„Siehst du, dann ist nicht alles bedeutungslos. Wir Menschen haben echte Empfindungen, und die haben Bedeutung. Du hast eine Bedeutung für mich. Basta.“
Der Lord lächelte, gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging ins Badezimmer. Ohne dass Chariklia es merkte, nahm er sein Handy mit.
„Benson, wenn Du mich noch einmal direkt anrufst, töte ich dich. Hast du verstanden?“
Das war alles, was er auf die Mailbox sprach.
„Gehst du jetzt weg?“ fragte Chariklia mit schwacher Stimme. Sie wusste, dass sie ihn nicht wiedersehen würde, zumindest nicht so schnell. Der Lord machte sich an seinen Sachen zu schaffen, während sich Chariklia eine Zigarette ansteckte.
„Ich finde ja immer“, sagte der Lord, „man soll den Leuten ihren Glauben lassen.“
„Ach ja?“
Der Lord checkte seine Pistole mit Schalldämpfer, drehte sich zu Chariklia um und schoss ihr ins Gesicht.
Tot lag sie flach und nackt im Bett, und das Kopfkissen wurde schwarz vom Blut, das aus ihrem Hinterkopf trat, eingefärbt.
„So, hast mich belogen, hast du also doch deine Tage … Du blöde Sau.“
Dann zog er sich an und verließ das Hotel über die Feuerleiter. Er hatte zuvor sorgsam die Stellen, die seine Fingerabdrücke am besten abbilden konnten, gereinigt und die fünf benutzten Kondome mitgenommen.

Nächster Teil Freitag, 14.03.2014


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