LORD DELUXE –
Aus der Nase eines Killers
TEIL VII
Benson zog sich für
eine Minute zurück und hantierte an seiner Nase herum.
Die Kollegen hörten
nur, wie er sagte:
„Das ist echt ein
Trauerspiel“ und dachten, es bezog sich auf diesen Tatort.
Doch mit dem Wort Trauerspiel war die Lage nicht genügend
beschrieben. Die Männer vom FBI wurden vor einer Stunde von der
örtlichen Polizei hinzugezogen, weil es sich offensichtlich um den
selben Täter handelte wie bei dem Mullinger-Massaker.
Der Anwalt Jonathan Kirby hatte eine zehn Jahre alte Tochter, und als
die von der Schule kam und ihr rosafarbenes, plüschiges und mit
Postern von Pferden behangenes Zimmer betrat, erlebte sie das Trauma
ihres Lebens. Das Zimmer, so süß und bunt und so in einer heilen
Welt existierend, dass man dort zu keinem bösen Gedanken in der Lage
wäre, war voller Leichen.
Ein Mann in einem blauen Jogginganzug, dessen Farbe sehr gut zu dem
pinkfarbenen Teppich passte, lag mit ausgebreiteten Gliedern auf dem
Fußboden, mit dem Gesicht nach oben. Ein anderer Mann saß tot in
einem überdimensionalen Plüschsessel, der ein wenig an einen
Winterhandschuh erinnerte. Dieser Mann trug nur eine Badehose und
hatte ein schwarzrotes Loch vom Durchmesser einer Grapefruit in der
Brust. Aus der Tür ihres kleinen Badezimmers ragten die Beine eines
weiteren Mannes. Und obendrein lag einer, der als einziger einen
schwarzen Anzug trug, auf dem Kinderbett. Auf seiner Stirn erkannte
man ein präzises Einschussloch.
Da das Fenster den ganzen Vormitteg verschlossen war, hatte es schon
zu stinken angefangen, und Kirbys Tochter, die verständlicherweise
ziemlich verstört war, wurde schon von einer Psychologin betreut.
Die Leute von der Spurensicherung waren beinah fertig, als Benson
wieder dazu kam und sich die Leiche auf dem Plüschsessel genauer
betrachtete.
Er verlangte nach einer Lupe und hielt sie dem toten Mann unter die
Nase.
„Haben
Sie etwas entdeckt?“ wollte Linklater wissen. Benson antwortete
nicht und sagte zu einer Dame von der Spurensicherung:
„Pinzette
bitte!“
Mit dem feinen Werkzeug holte er etwas aus der Nase der Leiche heraus
und beförderte es in eine Art Reagenzglas. Es war ein gutes
Exemplar, anmutend wie ein Meander aus sanftem Grün, weich, aber
intakt. Die Konsistenz erlaubte es, ihn zu nehmen und zu
transportieren. Er war wie Gummi und verriet somit, dass er schon
eine Weile in dieser Nase gewohnt hatte.
„Ich
will, dass sie den Popel analysieren. Finden sie heraus, aus was für
Inhaltsstoffen er besteht. Und beschädigen sie ihn nicht, ich werde
ihn nach ihrer Untersuchung für mein eigenes Büro in Anspruch
nehmen.“
Er wandte sich an Linklater. Der sagte:
„Anwalt
Kirby hatte diese Männer in sein Haus eingeladen, um über die
Taktik im Polako-Fall zu diskutieren. Kirby selbst ist nichts
passiert. Er befand sich zur Zeit der Morde unterwegs, um seine Frau
abzuholen und hat die Herren für eine halbe Stunde allein gelassen.
Erst dachten wir, der Killer hätte sie unten im Büro umgebracht und
dann hier hinauf geschleppt, aber alles deutet darauf hin, dass sie
sich hier aufgehalten haben. Im Kinderzimmer.“
Benson blickte zur Decke. Dort hing ein Mobile mit Pferde- und
Katzenfigürchen. Eines der Katzenfigürchen hatte einen Spritzer
Blut abbekommen.
„Nein,
er hat sie hinauf gelockt. Vielleicht hat er verdächtige Geräusche
gemacht. Ich gehe mal runter, muss privat telefonieren.“ sagte
Benson und eilte hinaus.
Er wählte mit seinem Handy über eine Umleitung die Nummer des
Lords. Doch der ging nicht ran.
„Für einen
besonders schönen Popel muss man viel unterwegs sein, mein Liebling“
sagte der Lord, als er im Zimmer des Ambassador-Hotels zwischen
Chariklias Beinen lag.
„Ja, das kann ich
mir vorstellen. Darf ich mal bei Dir suchen?“
„Ich habe eine
freie Nase, mein Schatz. Ich räume immer sehr gewissenhaft. Mir
bedeuten diese Dinge nicht so viel. Was bedeutet der Raupe die Seide?
Sie entsteht ganz natürlich und von selbst. Leute wie Benson erhöhen
sie nur aus Dummheit und Mangel an Phantasie. Für einen Sänger
gehört der Gesang zu seinem Leben wie die Luft zum Atmen. Andere
himmeln ihn dafür an. Wir nutzen unsere Fähigkeiten, um die geistig
Schwachen zu erfreuen und uns Untertan zu machen. Aber wer in diesem
Schema denkt, ist in meinen Augen ein kleines bedauernswertes
Würstchen. Ich halte alles für der übermächtigen Willkür
unterworfen, und Bedeutung ist eine Illusion. Nichts hat Bedeutung.“
„Aber was ist mit
deinem Akt des Tötens? Du verschaffst den Leuten durch ihre
Ermordung eine höhere Bedeutung.“ sagte sie, obwohl sie nicht mehr
so recht dran glaubte.
„Ja, das habe ich
Dir letztes Mal erzählt. Aber im Ernst: Das ist doch total
lächerlich. Das ist nur eine gedankliche Spielerei von mir, die noch
nicht mal von einem verzweifeltem Willen zur Rechtfertigung
angetrieben wird. Es ist nur ein Konstrukt. Hast du das alles ernst
genommen?“
Der Lord stieg von
Chariklia herunter und goss sich ein Mineralwasser ein.
„Ich habe darüber
nachgedacht“ sagte Chariklia, „Und zuerst hat es für mich Sinn
ergeben,“
„Das sollte es
auch, meine hellenische Blume. Du kannst es benutzen und vielleicht
etwas daraus entstehen lassen. Vielleicht legst du dir ein schönes
Hobby zu, Häkeln oder Stillleben Malen. Für Dich ergibt es Sinn,
für mich ist es nur eine Art Inszenierung für meinen verspielten
Geist. Glaub mir, alles ist vollkommen egal, bedeutungslos. Und die
meisten Menschen brauchen einen konstruierten Sinn, weil sie arme
kleine Schweine sind, alle miteinander, nimmt man mal die
Außergewöhnlichen wie Einstein oder Archimedes oder Da Vinci
heraus, die ihre Umwelt wirklich bereichern konnten, aber ob ihr
Schaffen tatsächlich etwas bedeutet, kann einem nur ein
hypothetischer Gott sagen, und der schweigt. Leute wie ich sorgen
dafür, dass er das Maul hält. Er ist so sprachlos ob seiner
Schöpfung, so gelähmt zu wissen, dass er von allen kleinen
Würstchen das kleinste und gleichzeitig größte ist, weil er sich
einbildete, etwas Bedeutsames geschaffen zu haben. Vielleicht hat ihn
aber schon längst ein schwarzes Loch aufgesogen.“
„Dennoch, mein
Lord, trotz allem, im Widerspruch zu dem, was du gerade gesagt hast
und mir eigentlich weh tun müsste, wünsche ich mir noch einen Popel
von dir, bevor du mich für immer verlässt. Und das wirst du, nicht
wahr?“
„So leid es mir
tut, ja. Und das musst du mir wirklich glauben. Es tut mir wirklich
Leid. Ganz aufrichtig.“
„Siehst du, dann
ist nicht alles bedeutungslos. Wir Menschen haben echte Empfindungen,
und die haben Bedeutung. Du hast eine Bedeutung für mich. Basta.“
Der Lord lächelte,
gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging ins Badezimmer. Ohne dass
Chariklia es merkte, nahm er sein Handy mit.
„Benson, wenn Du
mich noch einmal direkt anrufst, töte ich dich. Hast du verstanden?“
Das war alles, was
er auf die Mailbox sprach.
„Gehst du jetzt
weg?“ fragte Chariklia mit schwacher Stimme. Sie wusste, dass sie
ihn nicht wiedersehen würde, zumindest nicht so schnell. Der Lord
machte sich an seinen Sachen zu schaffen, während sich Chariklia
eine Zigarette ansteckte.
„Ich finde ja
immer“, sagte der Lord, „man soll den Leuten ihren Glauben
lassen.“
„Ach ja?“
Der Lord checkte
seine Pistole mit Schalldämpfer, drehte sich zu Chariklia um und
schoss ihr ins Gesicht.
Tot lag sie flach
und nackt im Bett, und das Kopfkissen wurde schwarz vom Blut, das aus
ihrem Hinterkopf trat, eingefärbt.
„So, hast mich
belogen, hast du also doch deine Tage … Du blöde Sau.“
Dann zog er sich an
und verließ das Hotel über die Feuerleiter. Er hatte zuvor sorgsam
die Stellen, die seine Fingerabdrücke am besten abbilden konnten,
gereinigt und die fünf benutzten Kondome mitgenommen.
Nächster Teil Freitag, 14.03.2014
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