Roman
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Inhalt:
Im Roman TELUM
befand sich Laenatus noch im Bauch der Mutter, zu Beginn des Romans
OSCULUM ist er ein 50 jähriger Mann, der nach einem mysteriösen
Attentat von seinem unberechenbaren Sohn Gemellus als Oberhaupt der
Familie abgelöst wird.
Das Haus der
Verginier trauert um den verstorbenen Hausherrn, ganz besonders
Gemellus' jüngere Schwester Crispina, die ausgerechnet am Tag des
Unglücks ihren 16. Geburtstag feiert. Kurz vor seinem Tod traf
Laenatus seinen verschollenen Halbbruder Regulus, der nun, zur
Überraschung der Hinterbliebenen, in der Villa auftaucht. Während
Gemellus befürchtet, dieser Onkel würde ihm die Stellung des
Hausherrn streitig machen, macht sich Crispina mit der Tatsache
vertraut, nun einen eigenen Lzsrtknaben, ein Geburtstagsgeschenk des
Kaisers, in ihrer Obhut zu haben. Die Gespräche mit ihrem Onkel, das
tyrannische Verhalten ihres Bruders und der Reiz des Jünglings
verwirren die junge Frau, bis eines Nachts eine unfassbare Schandtat
an ihrer Seele alle trivialen Sorgen und Nöte hinwegspült und sie,
ohne nachzudenken, aus der Villa flieht, hinein nach Rom, ohne Geld
und ohne Ziel.
In ihrem Kopf reift
der Plan für eine grimmige Rache, doch sie braucht Hilfe. Crispina
schließt sich der Giftmischerin Licina an, einer hohen
Persönlichkeit in Roms Unterwelt. Doch um ihre Hilfe zu bekommen,
muss sie ihren Stand aufgeben sich der verbrecherischen Frau
unterwerfen ...
AUSZUG:
Kapitel
„Rom“, S. 186
Das
Forum wurde östlich vom Bau des Marcellus-Theaters abgegrenzt, und
in der südlichen Ecke des Platzes stand die Columna Lactaria, die
Milchsäule, zu deren Sockel seit Urzeiten Neugeborene ausgesetzt
wurden.
Und
dort spielte sich gerade ein kleines Drama ab. Eine Frau zerrte an
einem Mann, flehend und bettelnd, er möge es sich doch anders
überlegen. Aber der Mann, mit einem eingewickelten Neugeborenen im
Arm. zeigte keine Gnade und ließ die Frau von zwei Sklaven in Schach
halten, während er das Kind an der Säule ablegte.
Das
Geschehen fand kaum Beachtung bei den Passanten, und erst als die
Sklaven die Frau fortschafften und der Mann sich ebenfalls entfernte,
blieben vereinzelt Menschen an der Säule stehen und begutachteten
das Kind. Crispina konnte erkennen, wie die winzigen Ärmchen aus dem
weißen Stoff herauslugten und umher fuchtelten. Eine Frau mittleren
Alters mit einem kräftigen schwarzen Sklaven hob das Kind in die
Höhe, und der Sklave schob den Stoff beiseite, damit sie sehen
konnte, welches Geschlecht es hatte. Doch sie schüttelte enttäuscht
den Kopf und legte das Kind wieder auf den Boden. Nun wusste
Crispina, dass es sich um ein Mädchen handelte. Nachdem auch die
Frau mit ihrem Sklaven wieder verschwunden war, schlich ein
herrenloser Hund um die Säule herum und schnüffelte an dem Kind.
Crispina wollte hinrennen und den Hund verscheuchen, doch zum Glück
schien er sich ebenfalls nicht für das Kleine zu interessieren und
machte sich davon.
Crispina
überlegte. Sie konnte das Kind mitnehmen und bei einem Sklavenmarkt
oder einem Pädagogium für die Sklavenschulung anbieten. Mit viel
Glück würde sie ein wenig Geld dafür bekommen, ungefähr soviel
wie für die Ziegen.
So
ein Bild von einem alleingelassenen Kind war völlig alltäglich und
die Sublatio nicht illegal, doch für Crispina stellte dieser
trostlose Anblick ein Symbol für Hoffnungslosigkeit dar. Für einige
Momente wurde sie von dem Bild gefangen und war unfähig, sich zu
lösen. Und schließlich, als wenn es nicht schon genug Kummer gäbe,
kam ein Ehepaar herbei und setzte ein weiteres Kind an der Säule ab.
Die vermeintliche Mutter wickelte ihr Kind aus dem Tuch und legte es
völlig nackt auf den kalten Steinboden. Nach einem kurzem
Wortwechsel nahm sie das erste Kind, wickelte auch dies aus dem
schützenden Leintuch und machte sich mit ihrem Mann samt den Tüchern
davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Crispina
lief zu der Säule. Die beiden Neugeborenen lagen zu ihren Füßen
und schrien. Das Zweite, dessen Eltern schon das Weite suchten, war
ein Junge.
Es
kostete Crispina einige Überwindung, doch schließlich kniete sie
sich nieder, streifte sich den Umhang ab und wickelte den kleinen
Buben vorsichtig darin ein. Beinah hätte sie zu ihm gesprochen, doch
sie wollte das Kind nicht als Menschen wahrnehmen, nur als
Möglichkeit, ein paar Kupfermünzen zu verdienen. Als sie den
Säugling hochhob, wunderte sie sich, wie leicht er war. Noch nie
zuvor hatte Crispina ein Neugeborenes auf den Armen getragen. Der
Junge schrie mit einem dünnen, heiseren Stimmchen, und Crispina
drückte seinen Kopf an ihr Herz, damit er den Schlag hören konnte.
Der
Säugling war so klein, und sein Organ so sägend und heiser, dass
Crispina kaum glauben konnte, dass so ein winziger Körper solch eine
Stimmkraft erzeugen konnte. Das Gesicht war vom vielen Weinen so
gerötet und knautschig, das winzige Wesen so bemitleidenswert, dass
Crispina dem Buben spontan den eigenen Daumen in das zahnlose
Mündchen steckte. Das Neugeborene begann sofort zu saugen, und so
konnte es nicht mehr schreien.
Sie
sah sich um. Niemand beachtete sie. Es war ein seltsames Gefühl, nun
ohne den tarnenden Umhang in ihrer teuren Tunika auf diesem Platz zu
stehen, und es würde nicht lange dauern, bis jemand auf sie
aufmerksam wurde. Wenn der kleine Bub Geld einbrächte, dann nur,
weil Crispinas Tunika das Indiz für eine bessere Herkunft
darstellte. Das zerbrechliche Geschöpf, so nah an ihrem Leib, wirkte
verstörend, doch sie kämpfte jedes Gefühl der Fürsorge und
Zuneigung nieder, mühte sich jedoch, das Köpfchen des Säuglings
nicht hängen zu lassen und es vor allen Rempeleien zu schützen.
Sie
ging am Fuße des Capitolhügels an verschiedenen Tempeln und beinah
direkt am berüchtigten Tarpejischen Felsen vorbei, der sich grimmig
bis zu den Tempeln des Capitols emporreckte. Von diesem Felsen hatte
man schon unzählige Verräter hinab gestürzt, nachdem man dies in
der Gründungszeit der Stadt mit der unseligen Tarpeja getan hatte.
Crispina
wusste in etwa, wo man Neugeborene gegen ein bisschen Geld
eintauschen konnte, und suchte den Vicus Tuscus, der, vorbei am Markt
des Velabrums, direkt zum Forum Romanum führte. Sie zog
versuchsweise den Daumen aus dem Mund des Säuglings, und zu ihrer
freudigen Überraschung blieb er ruhig.
Der
Verlauf der Menschenmenge und die Art der Händler wiesen ihr den
Weg. Crispina erblickte mehr und mehr Strichjungen mit bemalten
Leibern und eindeutigem Gehabe, sah Leute mit angeketteten Sklaven
und immer mehr Vigiles der Stadtkohorten, die mit teils müdem, teils
grimmigem Blick die Bürger beobachteten. Crispina hatte auch längst
die vielen Blicke registriert, die sie auf sich zog, und so oft sie
konnte, versteckte sie sich hinter einem oder mehreren großen
Menschen, um nicht aufzufallen.
Beim
Tempel von Castor und Pollux, direkt an der Südseite des Forums,
wähnte sie sich am Ziel. Sklaven aus allen Ländern standen auf
Drehbühnen. Einige von ihnen hatten mit Gips eingeschmierte Füße,
fast alle waren nackt.
Die
Drehbühnen waren grob nach Art der Sklaven geordnet. Es gab eine
Gruppe für Haussklaven, eine für Liebesdiener, Kämpfer, und nur
zwei für Gebildete.
Jede
Frau und jeder Mann trug ein Schild um den Hals. Crispina las:
"Ansehen
und schwängern!"
"Spielt
Wasserorgel"
"Ornatrix"
"Pferde
gehorchen ihm!"
"Koch"
"Versehrter
Gladiator - Priapus!"
"Enthaart
ohne Schmerz!"
"Isst
Steine bei Convinien. Ha ha ha!“
"Tut
alles"
"Kann
alles außer sprechen“
Die
Anbieter besaßen geschulte Schreistimmen und wetteiferten mit ihren
Angeboten, variierten allerlei Tricks, um die Blicke der Menge auf
sich zu ziehen und versuchten immer wieder, die Zähigkeit ihrer Ware
zu demonstrieren, in dem sie sie schlugen oder an den Haaren zogen.
Einer der Sklaven begann zu singen und wurde von einem Stein am Kopf
getroffen, was ein kleines Handgemenge auslöste, das von drei
Vigiles unterbunden werden musste. Unter den vielen Menschen
wanderten Bauchladenträger und verkauften Weinbecher und
Kleinigkeiten zum Verzehr. Ein Sklavenmarkt war immer auch ein Ort
der Unterhaltung, und nur etwa die Hälfte der dort versammelten
Leute wollten tatsächlich etwas kaufen.
Crispina,
die ein wenig aufgemuntert dadurch war, dass ihr Findelkind bei
einigen Besuchern des Marktes Aufmerksamkeit erzeugte, rief:
"Ein
Junge! Ein Junge aus gutem Hause! Zehn Sesterzen! Ein Junge aus gutem
Hause!"
Als
die Leute hörten, wie viel Geld Crispina für den Buben verlangte,
winkten viele ab, einige bellten sie höhnisch an. Lediglich einige
Frauen gesellten sich zu ihr und ließen sich den Jungen zeigen,
schienen jedoch beim zweiten Blick mehr interessiert an Crispinas
Tunika, als an dem Kind.
Ein
aufmerksamer Stadtwächter, der Crispina schon einen Augenblick
beobachtet hatte, rief ihr zu:
"He,
kommt mal zu mir, junge Frau!"
Crispina
gehorchte. Der Mann machte einen ganz netten Eindruck, obwohl seine
Rüstung beängstigend wirkte. Kritisch fragte er:
"Ist
das Kind registriert?"
"Registriert?"
Crispina wusste natürlich, dass man Sklaven eintragen lassen musste,
aber ein Neugeborenes? Außerdem hatte Crispina keine Ahnung, wo
solch eine Registrierung von statten gehen sollte.
Der
Wächter erkannte, dass Crispina im Sklavenhandel völlig ahnungslos
war:
"Ihr
müsst ein neugeborenes Sklavenkind anmelden, junge Dame. Das wusstet
ihr nicht?"
Sie
fand den Mann sympathisch, und sein sanfter Ton verführte sie dazu,
ein wenig ehrlicher zu sein:
"Hört,
ich bin die Tochter eines bedeutenden Mannes, und dieses Kind dürfte
eigentlich gar nicht existieren, wenn ihr versteht was ich meine."
Ungeschickt
zwinkerte sie dem Mann zu, wie eine Komplizin.
"Doch
meine Barmherzigkeit hat mich gezwungen, es zumindest jemandem zu
geben, der es erzieht. Ich wollte es nicht einfach irgendwo liegen
lassen."
"Warum
verschenkt ihr es nicht? Wieso preist ihr es für zehn Sesterzen an?"
"Äh
... Ich brauche etwas Geld für ..."
"Verkauft
doch eure Tunika. Für die bekommt ihr sicher ein paar neue Denare."
"Das-
das geht auf keinen Fall!"
Die
Tunika war der letzte ihr verbliebene Beweis für ihre Herkunft, und
den wollte sie um keinen Preis verlieren. Der Wächter überlegte.
Sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich, als er sagte:
"Was
seid ihr nur für ein Mensch?"
"Wieso?"
"Das
Kind ist von der Milchsäule, richtig?"
"Wie
kommt ihr denn darauf?"
"Wisst
ihr, meine Frau und ich haben einst ein Neugeborenes von der Säule
aufgelesen, weil uns unser Kinderwunsch von den Göttern nicht
erfüllt wurde. Und dieses Kind ist heute unsere fünf Jahre alte
Tochter, auf die wir beide sehr stolz sind. Wenn Menschen Kinder an
der Milchsäule auflesen, dann aus Mitleid oder weil sie sich
sehnlichst Nachwuchs wünschen. Was ihr tut, junge Frau, in eurem
feinen Stoff hier herumzulaufen und ein Findelkind gegen Sesterzen
eintauschen zu wollen, bringt mich fast zum Kotzen. Schämt ihr euch
denn gar nicht?"
Doch,
sie schämte sich. Eingeschüchtert fragte sie den Stadtwächter:
"Wollt
ihr vielleicht das Kind nehmen?"
Diese
Anfrage stieß bei dem Mann auf völlig taube Ohren. Mit einer
abweisenden Handbewegung sagte er kühl:
"Mein
bester Rat für euch ist, den kleinen Buben so schnell wie möglich
wieder vor der Milchsäule abzuliefern, oder ich melde euch wegen des
Vertriebs von unregistrierten Sklaven an die Praefektur. Ich kenne
nun euer Gesicht. Wenn ich euch noch einmal hier mit einem Säugling
erwische, seid ihr dran."
Crispina
lief ein übler Angstschauer über den Rücken. Auf dem Absatz machte
sie kehrt und floh. Sie huschte so schnell sie konnte durch die
Passantenmenge und lief den Weg zurück, an den kleinen Tempeln und
am Tarpejischen Felsen vorbei, zum Forum Holitorium. Als der Junge
wieder zu schreien anfing, steckte sie ihm erneut ihre Daumenspitze
in den Mund.
Im
Angesicht der Tempel der Juno, des Janus und der Spes legte sie mit
finsterer Bitternis das Kind unter der Columna Lactaria ab. Ihren
Daumen entließ sie aus dem warmen, kleinen Mündchen, und die
Feuchtigkeit seines Speichels an der Luft verursachte bei ihr eine
Gänsehaut.
Das
andere Kind, das Mädchen, lag ebenfalls noch dort. Sie wickelte den
kleinen Jungen aus dem groben Leinenstoff und benutzte ihn wieder als
schützenden Umhang. Sie spürte, dass ihr ein paar Tränen
entglitten, doch konnte sie nicht genau sagen, ob es Tränen des
Mitleids, des Verdrusses über ihr Versagen oder der Einsamkeit
waren. Sie ließ das kleine Etwas schreiend und nackt auf dem
Steinboden liegen und rannte instinktiv in den kleinen Tempel der
Juno hinein, ein Pendant des Tempels, in dem ihr Vater vor kurzem zu
Tode gekommen war.
Bebend
vor Scham starrte Crispina in das Gesicht der Juno-Statue.
Am Freitag Teil IX von LORD DELUXE
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