Montag, 17. März 2014

OSCULUM - Inhaltsbeschreibung und Leseprobe


Roman
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382 S.
13,49 €


Inhalt:

Im Roman TELUM befand sich Laenatus noch im Bauch der Mutter, zu Beginn des Romans OSCULUM ist er ein 50 jähriger Mann, der nach einem mysteriösen Attentat von seinem unberechenbaren Sohn Gemellus als Oberhaupt der Familie abgelöst wird.
Das Haus der Verginier trauert um den verstorbenen Hausherrn, ganz besonders Gemellus' jüngere Schwester Crispina, die ausgerechnet am Tag des Unglücks ihren 16. Geburtstag feiert. Kurz vor seinem Tod traf Laenatus seinen verschollenen Halbbruder Regulus, der nun, zur Überraschung der Hinterbliebenen, in der Villa auftaucht. Während Gemellus befürchtet, dieser Onkel würde ihm die Stellung des Hausherrn streitig machen, macht sich Crispina mit der Tatsache vertraut, nun einen eigenen Lzsrtknaben, ein Geburtstagsgeschenk des Kaisers, in ihrer Obhut zu haben. Die Gespräche mit ihrem Onkel, das tyrannische Verhalten ihres Bruders und der Reiz des Jünglings verwirren die junge Frau, bis eines Nachts eine unfassbare Schandtat an ihrer Seele alle trivialen Sorgen und Nöte hinwegspült und sie, ohne nachzudenken, aus der Villa flieht, hinein nach Rom, ohne Geld und ohne Ziel.
In ihrem Kopf reift der Plan für eine grimmige Rache, doch sie braucht Hilfe. Crispina schließt sich der Giftmischerin Licina an, einer hohen Persönlichkeit in Roms Unterwelt. Doch um ihre Hilfe zu bekommen, muss sie ihren Stand aufgeben sich der verbrecherischen Frau unterwerfen ...



AUSZUG:

Kapitel „Rom“, S. 186

Das Forum wurde östlich vom Bau des Marcellus-Theaters abgegrenzt, und in der südlichen Ecke des Platzes stand die Columna Lactaria, die Milchsäule, zu deren Sockel seit Urzeiten Neugeborene ausgesetzt wurden.
Und dort spielte sich gerade ein kleines Drama ab. Eine Frau zerrte an einem Mann, flehend und bettelnd, er möge es sich doch anders überlegen. Aber der Mann, mit einem eingewickelten Neugeborenen im Arm. zeigte keine Gnade und ließ die Frau von zwei Sklaven in Schach halten, während er das Kind an der Säule ablegte.
Das Geschehen fand kaum Beachtung bei den Passanten, und erst als die Sklaven die Frau fortschafften und der Mann sich ebenfalls entfernte, blieben vereinzelt Menschen an der Säule stehen und begutachteten das Kind. Crispina konnte erkennen, wie die winzigen Ärmchen aus dem weißen Stoff herauslugten und umher fuchtelten. Eine Frau mittleren Alters mit einem kräftigen schwarzen Sklaven hob das Kind in die Höhe, und der Sklave schob den Stoff beiseite, damit sie sehen konnte, welches Geschlecht es hatte. Doch sie schüttelte enttäuscht den Kopf und legte das Kind wieder auf den Boden. Nun wusste Crispina, dass es sich um ein Mädchen handelte. Nachdem auch die Frau mit ihrem Sklaven wieder verschwunden war, schlich ein herrenloser Hund um die Säule herum und schnüffelte an dem Kind. Crispina wollte hinrennen und den Hund verscheuchen, doch zum Glück schien er sich ebenfalls nicht für das Kleine zu interessieren und machte sich davon.
Crispina überlegte. Sie konnte das Kind mitnehmen und bei einem Sklavenmarkt oder einem Pädagogium für die Sklavenschulung anbieten. Mit viel Glück würde sie ein wenig Geld dafür bekommen, ungefähr soviel wie für die Ziegen.
So ein Bild von einem alleingelassenen Kind war völlig alltäglich und die Sublatio nicht illegal, doch für Crispina stellte dieser trostlose Anblick ein Symbol für Hoffnungslosigkeit dar. Für einige Momente wurde sie von dem Bild gefangen und war unfähig, sich zu lösen. Und schließlich, als wenn es nicht schon genug Kummer gäbe, kam ein Ehepaar herbei und setzte ein weiteres Kind an der Säule ab. Die vermeintliche Mutter wickelte ihr Kind aus dem Tuch und legte es völlig nackt auf den kalten Steinboden. Nach einem kurzem Wortwechsel nahm sie das erste Kind, wickelte auch dies aus dem schützenden Leintuch und machte sich mit ihrem Mann samt den Tüchern davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Crispina lief zu der Säule. Die beiden Neugeborenen lagen zu ihren Füßen und schrien. Das Zweite, dessen Eltern schon das Weite suchten, war ein Junge.
Es kostete Crispina einige Überwindung, doch schließlich kniete sie sich nieder, streifte sich den Umhang ab und wickelte den kleinen Buben vorsichtig darin ein. Beinah hätte sie zu ihm gesprochen, doch sie wollte das Kind nicht als Menschen wahrnehmen, nur als Möglichkeit, ein paar Kupfermünzen zu verdienen. Als sie den Säugling hochhob, wunderte sie sich, wie leicht er war. Noch nie zuvor hatte Crispina ein Neugeborenes auf den Armen getragen. Der Junge schrie mit einem dünnen, heiseren Stimmchen, und Crispina drückte seinen Kopf an ihr Herz, damit er den Schlag hören konnte.
Der Säugling war so klein, und sein Organ so sägend und heiser, dass Crispina kaum glauben konnte, dass so ein winziger Körper solch eine Stimmkraft erzeugen konnte. Das Gesicht war vom vielen Weinen so gerötet und knautschig, das winzige Wesen so bemitleidenswert, dass Crispina dem Buben spontan den eigenen Daumen in das zahnlose Mündchen steckte. Das Neugeborene begann sofort zu saugen, und so konnte es nicht mehr schreien.
Sie sah sich um. Niemand beachtete sie. Es war ein seltsames Gefühl, nun ohne den tarnenden Umhang in ihrer teuren Tunika auf diesem Platz zu stehen, und es würde nicht lange dauern, bis jemand auf sie aufmerksam wurde. Wenn der kleine Bub Geld einbrächte, dann nur, weil Crispinas Tunika das Indiz für eine bessere Herkunft darstellte. Das zerbrechliche Geschöpf, so nah an ihrem Leib, wirkte verstörend, doch sie kämpfte jedes Gefühl der Fürsorge und Zuneigung nieder, mühte sich jedoch, das Köpfchen des Säuglings nicht hängen zu lassen und es vor allen Rempeleien zu schützen.
Sie ging am Fuße des Capitolhügels an verschiedenen Tempeln und beinah direkt am berüchtigten Tarpejischen Felsen vorbei, der sich grimmig bis zu den Tempeln des Capitols emporreckte. Von diesem Felsen hatte man schon unzählige Verräter hinab gestürzt, nachdem man dies in der Gründungszeit der Stadt mit der unseligen Tarpeja getan hatte.
Crispina wusste in etwa, wo man Neugeborene gegen ein bisschen Geld eintauschen konnte, und suchte den Vicus Tuscus, der, vorbei am Markt des Velabrums, direkt zum Forum Romanum führte. Sie zog versuchsweise den Daumen aus dem Mund des Säuglings, und zu ihrer freudigen Überraschung blieb er ruhig.
Der Verlauf der Menschenmenge und die Art der Händler wiesen ihr den Weg. Crispina erblickte mehr und mehr Strichjungen mit bemalten Leibern und eindeutigem Gehabe, sah Leute mit angeketteten Sklaven und immer mehr Vigiles der Stadtkohorten, die mit teils müdem, teils grimmigem Blick die Bürger beobachteten. Crispina hatte auch längst die vielen Blicke registriert, die sie auf sich zog, und so oft sie konnte, versteckte sie sich hinter einem oder mehreren großen Menschen, um nicht aufzufallen.
Beim Tempel von Castor und Pollux, direkt an der Südseite des Forums, wähnte sie sich am Ziel. Sklaven aus allen Ländern standen auf Drehbühnen. Einige von ihnen hatten mit Gips eingeschmierte Füße, fast alle waren nackt.
Die Drehbühnen waren grob nach Art der Sklaven geordnet. Es gab eine Gruppe für Haussklaven, eine für Liebesdiener, Kämpfer, und nur zwei für Gebildete.
Jede Frau und jeder Mann trug ein Schild um den Hals. Crispina las:
"Ansehen und schwängern!"
"Spielt Wasserorgel"
"Ornatrix"
"Pferde gehorchen ihm!"
"Koch"
"Versehrter Gladiator - Priapus!"
"Enthaart ohne Schmerz!"
"Isst Steine bei Convinien. Ha ha ha!“
"Tut alles"
"Kann alles außer sprechen“
Die Anbieter besaßen geschulte Schreistimmen und wetteiferten mit ihren Angeboten, variierten allerlei Tricks, um die Blicke der Menge auf sich zu ziehen und versuchten immer wieder, die Zähigkeit ihrer Ware zu demonstrieren, in dem sie sie schlugen oder an den Haaren zogen. Einer der Sklaven begann zu singen und wurde von einem Stein am Kopf getroffen, was ein kleines Handgemenge auslöste, das von drei Vigiles unterbunden werden musste. Unter den vielen Menschen wanderten Bauchladenträger und verkauften Weinbecher und Kleinigkeiten zum Verzehr. Ein Sklavenmarkt war immer auch ein Ort der Unterhaltung, und nur etwa die Hälfte der dort versammelten Leute wollten tatsächlich etwas kaufen.
Crispina, die ein wenig aufgemuntert dadurch war, dass ihr Findelkind bei einigen Besuchern des Marktes Aufmerksamkeit erzeugte, rief:
"Ein Junge! Ein Junge aus gutem Hause! Zehn Sesterzen! Ein Junge aus gutem Hause!"
Als die Leute hörten, wie viel Geld Crispina für den Buben verlangte, winkten viele ab, einige bellten sie höhnisch an. Lediglich einige Frauen gesellten sich zu ihr und ließen sich den Jungen zeigen, schienen jedoch beim zweiten Blick mehr interessiert an Crispinas Tunika, als an dem Kind.
Ein aufmerksamer Stadtwächter, der Crispina schon einen Augenblick beobachtet hatte, rief ihr zu:
"He, kommt mal zu mir, junge Frau!"
Crispina gehorchte. Der Mann machte einen ganz netten Eindruck, obwohl seine Rüstung beängstigend wirkte. Kritisch fragte er:
"Ist das Kind registriert?"
"Registriert?" Crispina wusste natürlich, dass man Sklaven eintragen lassen musste, aber ein Neugeborenes? Außerdem hatte Crispina keine Ahnung, wo solch eine Registrierung von statten gehen sollte.
Der Wächter erkannte, dass Crispina im Sklavenhandel völlig ahnungslos war:
"Ihr müsst ein neugeborenes Sklavenkind anmelden, junge Dame. Das wusstet ihr nicht?"
Sie fand den Mann sympathisch, und sein sanfter Ton verführte sie dazu, ein wenig ehrlicher zu sein:
"Hört, ich bin die Tochter eines bedeutenden Mannes, und dieses Kind dürfte eigentlich gar nicht existieren, wenn ihr versteht was ich meine."
Ungeschickt zwinkerte sie dem Mann zu, wie eine Komplizin.
"Doch meine Barmherzigkeit hat mich gezwungen, es zumindest jemandem zu geben, der es erzieht. Ich wollte es nicht einfach irgendwo liegen lassen."
"Warum verschenkt ihr es nicht? Wieso preist ihr es für zehn Sesterzen an?"
"Äh ... Ich brauche etwas Geld für ..."
"Verkauft doch eure Tunika. Für die bekommt ihr sicher ein paar neue Denare."
"Das- das geht auf keinen Fall!"
Die Tunika war der letzte ihr verbliebene Beweis für ihre Herkunft, und den wollte sie um keinen Preis verlieren. Der Wächter überlegte. Sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich, als er sagte:
"Was seid ihr nur für ein Mensch?"
"Wieso?"
"Das Kind ist von der Milchsäule, richtig?"
"Wie kommt ihr denn darauf?"
"Wisst ihr, meine Frau und ich haben einst ein Neugeborenes von der Säule aufgelesen, weil uns unser Kinderwunsch von den Göttern nicht erfüllt wurde. Und dieses Kind ist heute unsere fünf Jahre alte Tochter, auf die wir beide sehr stolz sind. Wenn Menschen Kinder an der Milchsäule auflesen, dann aus Mitleid oder weil sie sich sehnlichst Nachwuchs wünschen. Was ihr tut, junge Frau, in eurem feinen Stoff hier herumzulaufen und ein Findelkind gegen Sesterzen eintauschen zu wollen, bringt mich fast zum Kotzen. Schämt ihr euch denn gar nicht?"
Doch, sie schämte sich. Eingeschüchtert fragte sie den Stadtwächter:
"Wollt ihr vielleicht das Kind nehmen?"
Diese Anfrage stieß bei dem Mann auf völlig taube Ohren. Mit einer abweisenden Handbewegung sagte er kühl:
"Mein bester Rat für euch ist, den kleinen Buben so schnell wie möglich wieder vor der Milchsäule abzuliefern, oder ich melde euch wegen des Vertriebs von unregistrierten Sklaven an die Praefektur. Ich kenne nun euer Gesicht. Wenn ich euch noch einmal hier mit einem Säugling erwische, seid ihr dran."
Crispina lief ein übler Angstschauer über den Rücken. Auf dem Absatz machte sie kehrt und floh. Sie huschte so schnell sie konnte durch die Passantenmenge und lief den Weg zurück, an den kleinen Tempeln und am Tarpejischen Felsen vorbei, zum Forum Holitorium. Als der Junge wieder zu schreien anfing, steckte sie ihm erneut ihre Daumenspitze in den Mund.
Im Angesicht der Tempel der Juno, des Janus und der Spes legte sie mit finsterer Bitternis das Kind unter der Columna Lactaria ab. Ihren Daumen entließ sie aus dem warmen, kleinen Mündchen, und die Feuchtigkeit seines Speichels an der Luft verursachte bei ihr eine Gänsehaut.
Das andere Kind, das Mädchen, lag ebenfalls noch dort. Sie wickelte den kleinen Jungen aus dem groben Leinenstoff und benutzte ihn wieder als schützenden Umhang. Sie spürte, dass ihr ein paar Tränen entglitten, doch konnte sie nicht genau sagen, ob es Tränen des Mitleids, des Verdrusses über ihr Versagen oder der Einsamkeit waren. Sie ließ das kleine Etwas schreiend und nackt auf dem Steinboden liegen und rannte instinktiv in den kleinen Tempel der Juno hinein, ein Pendant des Tempels, in dem ihr Vater vor kurzem zu Tode gekommen war.

Bebend vor Scham starrte Crispina in das Gesicht der Juno-Statue.




Am Freitag Teil IX von LORD DELUXE


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