Freitag, 28. März 2014

LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers TEIL X – letzter Teil



LORD DELUXE – Aus der Nase eines Killers 
 TEIL X – letzter Teil

Als seine Frau mit den Gästen erschien, man sich begrüßte und das Esszimmer betrat, war es nur Bensons Frau, der das Bild auffiel, denn die Anderen konnten nicht wissen, dass es erst gerade aufgehängt worden war. Da sie nichts vom Thema des Buchprojekts ihres Mannes wusste, assoziierte sie bei diesem Bild keinen Nasendreck, sondern zunächst ein modernes Kunstwerk. Verblüfft stellte sie ihrem Mann diverse Fragen, wollte wissen, wieso er ausgerechnet jetzt dieses Bild aufgehängt hatte, doch Benson speiste sie mit fadenscheinigen Erklärungen ab. Die Schwester von Bensons Frau und ihr Mann wollten sich um ein Urteil drücken, da sie nichts von Kunst verstanden, aber der kleine Christopher, ein eher schüchterner Junge, der die meiste Zeit am Computer saß, kannte das Bild aus dem Internet. Als er sich unbeobachtet fühlte, raunte er seinem Vater zu, das Objekt auf dem Bild sei ein Popel, was den Vater zunächst zum Lachen brachte.
Er betrachtete das Bild eingehender, wurde von seiner Frau danach gefragt, und als er daraufhin sagte, Christopher hätte auf dem Bild einen Popel erkannt, sackte die Stimmung mit der Geschwindigkeit einer langsamen Flatulenz herab, weil plötzlich allen klar wurde, dass es stimmte.
Der Braten stand dampfend auf dem Tisch, der Wein war dekantiert, und inmitten dieser sozialen, familiären Atmosphäre schlich sich das entsetzliche Gefühl ein, dass etwas Wahnwitziges geschehen war. Bensons Frau sah ihren Mann an, als sei er ein vollkommen Fremder. Die Stimmung war in ihrer Erkaltung gewürzt mit dem Schrecken darüber, dass Benson allem Anschein nach den Verstand verloren hatte.
Niemand wusste, wie man die Situation retten konnte, und Benson saß einfach da und aß ein Stück vom Braten. Christopher, mit gesundem kindlichen Instinkt gesegnet, sprang auf und lief aus dem Esszimmer. Er hatte in Gegenwart dieser konsternierten Erwachsenen einfach keine Luft mehr bekommen. Und die brauchte er nun dringend. Er lief hinaus in den Garten, öffnete das Tor und stand auf der einsamen Straße dieser ruhigen Vorort-Gegend. Natürlich verstand er das alles nicht, genauso wie die anderen, die sich noch im Haus befanden, und seine bisherigen Erfahrungen mit Erwachsenen hatten ihn auf so eine seltsame Sache nicht vorbereitet.
Niemand hing ein übergroßes Poster von einem Popel auf. Das war kein jugendlicher Scherz, kein Bonmot, schon gar nicht sachlich zu hinterfragen. Es fiel in eine Kategorie, die jede Frage ob ihres Irrsinns erstickte.
Doch wie der Popel aussah, in seiner Monstrosität und grausamen Schönheit, machte die Sache noch unheimlicher.
Ein Auto hielt etwa zwanzig Meter vom Haus entfernt. Christopher beobachtete, wie ein kurzhaariger Mann in einem dunklen Anzug ausstieg und auf ihn zu kam. Christopher hatte urplötzlich ein verzweifeltes Vertrauen zu diesem Mann und bekam das Bedürfnis, ihn anzusprechen. Vielleicht hatte dieser Mann, der von irgendwo her kam und derart seriös aussah, eine Erklärung, oder noch besser eine Lösung:
„Mister, bitte ...“
Der Lord sah ihn an und sagte:
„Was liegt an, Kleiner?“
„Dort in dem Haus sind meine Eltern und meine Tante. Mein Onkel, er ist verrückt geworden.“
Der Mann lächelte dünn und sagte:
„Mach dir keine Sorgen, mein Junge. Ich erledige das.“
Der Mann tätschelte Christophers Kopf und ging zum Haus. Christopher wartete. Was konnte dieser Mann schon tun?
Der Junge wartete und wartete. Es vergingen nur knapp zehn Minuten, doch ihm kam es wie eine sehr große Ewigkeit vor.
Plötzlich kam der Mann aus dem Haus. Mit dem Bild des Popels in den Händen.
Er hatte es mit einem Tuch abgedeckt. Ohne Christopher noch einmal anzusprechen, ging er zurück zu seinem Wagen.
Sehr zögerlich, und oft wieder anhaltend, bewegte sich Christopher auf das Haus zu …

„Sir, Benson liegt dort drüben, sein Gehirn hinter ihm. Die Alte hat ein Loch im Auge, und mehrere in ihrer Vagina. Die Schwester und ihr Mann wurden vom Täter in eine verfängliche Position post mortem gebracht, direkt auf dem Esstisch. Wie sie sehen, haben sie Teile eines Bratens in ihren Mündern, die vorsätzlich dort platziert wurden.“
Kostic fragte:
„Wo ist der Junge jetzt?
„Bei Doctor Rosenthal.“
„Okay, ich will später eine Abschrift seiner Aussage sehen.“
„Klar Sir, Sie sind ja jetzt der Skipper, nachdem Linklater aus dem Rennen ist. Und Benson auch.“
„Bilden Sie sich nur nicht ein, das würde irgendwas ändern. Das ist die Handschrift vom Mullinger-Massaker.“
„Und von dem in Denver. Sir, Peebles hat dort hinten im Schrank eine gehörige Menge Geld gefunden. Das sieht nicht gut aus. Allem Anschein nach steckte unser stellvertretender Direktor mit drin.“
„Die Schlussfolgerungen überlassen sie mir, Gunnerson.“
Kostic legte den Kopf quer, so wie er es immer tat, wenn er Angst bekam. Falls Linklater und Benson mit der Mafia zusammen arbeiteten, wie viele unentdeckte Maulwürfe gab es noch? War er, Kostic, nur von Verrätern umgeben? War alles nur Schein, die ganze verdammte Behörde und das ganze verfluchte Land? Kostic, der schon immer ein wenig dazu neigte, unmittelbare Probleme in ein globales Maß zu übertreiben, ließ sich im Büro die Aussage des Jungen geben und fuhr anschließend nach hause. Dort saß seine Freundin Alice Huberman und las ein Buch über das Matriarchat.
„Sag mal, hat das ein Mann oder eine Frau geschrieben?“ fragte Linklater lächelnd.
Alice schaute ihn hinter dem Buch scharf an und fragte:
„Tut das etwas zur Sache?“
„Entschuldige, ich wollte nur Interesse zeigen.“
„Das bezweifle ich. Los, ich habe Hunger. Mach mir was zu essen!“
„Jawohl, mein Schatz. Tagliatelle, wie besprochen?“
„Ja. Musst du jedes Mal nachfragen, du Vollidiot?“
„Ich frage gerne nach, Liebling. Ich rede gerne mit dir, weil ich dich liebe.“
„Ich liebe dich auch. Und jetzt ab in die Küche!“
Linklater lächelte und gehorchte. Auf dem Weg zur Küche klingelte sein Handy. Die Nummer war nicht gespeichert.
„Wer ist da?“
„Agent Kostic, mein Name tut nichts zur Sache. Genauso wenig wie das Geschlecht des Autors von dem Buch, dass ihre Freundin liest.“
„Woher wissen sie-“
„Seien sie still und hören sie zu. Ist ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Pension für ehemalige FBI-Beamte ziemlich lächerlich ist?“
„Was soll diese Frage?“
„Es gibt Möglichkeiten, das zu ändern. Mit einem kleinen Zubrot.“
Linklater wollte dem Anrufer sofort seine Meinung sagen und versprechen, dass man ihn und seine Hintermänner schnappen würde, aber er wurde davon abgelenkt, dass sein rechtes Nasenloch völlig verstopft war. Das konnte er nicht ignorieren.
„Bleiben sie bitte für eine Sekunde dran!“ sagte er in sein Handy, steckte sich den Zeigefinger in die Nase und begann, darin herum zu wühlen. Nach anfänglichen Ausrutschern konnte er das Objekt mit dem Fingernagel einhaken und herausziehen. Es war ein typischer Globetrotter.
Kostic schnalzte ihn so schwungvoll von sich, dass der Popel durch die Flexibilität seines glibbrigen Anteils weit weg flog, geradewegs auf Alice zu.
„Mr Kostic, sind sie noch dran?“
Kostic sah, wie das Objekt im Haar von Alice landete, ohne dass sie es merkte.
„Agent Kostic, schon mal über 20.000 im Monat nachgedacht? Treffen sie sich doch mal mit unserem Kontaktmann.“
Kostic erinnerte sich, was er in der Aussage des Jungen gelesen hatte. Etwas über ein Bild mit einem großen Popel. Und dann erinnerte er sich auch an das Ding in Misses Paradopoulos' Gefrierschrank. Er konnte sich auf das alles keinen Reim machen. Doch mit irdendeiner Art von seltsamer Phantasie kam ihm die Idee, dass Bedeutung immer wieder ihre Perspektive wechselte. Dass sie geradezu kapriziös war. Linklater hörte sich an, was der Mann am anderen Ende vorzutragen hatte.


© Guido Ahner 2013

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