Donnerstag, 17. April 2014

Drei Katzengeschichten - Nummer 2: "Joe und Luis"



Joe und Luis (auf Domitians altem Sportplatz)


Unter den Flügeln von Luis gähnte die Piazza Navona, das einstige Stadion des Kaisers Domitian, an einem wunderschönen Herbsttag, und es fiel ihm nicht schwer, den Leib der einzigen gefleckten Großkatze auf dem Steinboden auszumachen. Hier in der ewigen Stadt hatte man sich schon an Joe gewöhnt, aber dennoch machten die meisten Menschen einen Bogen um ihn.
Die Römer betrachteten Luis nicht gerade als Segen für ihre Stadt, wurde sie doch jedes Jahr von Millionen von Staren heimgesucht, die die Straßen mit ihren Exkrementen verunreinigten.
Doch Luis war ein Rabe, Wotansvogel, Abkömmling der Bruderschaft des Towers und so stadtrein wie gewisse Haustiere stubenrein waren.
Luis landete nahe des Brunnens, nippte ein wenig Nass in seinen Schnabel und gab Joe die Gelegenheit, von ihm Notiz zu nehmen.
Der Leopard streckte seinen Leib und näherte sich. Er sprach:
Luis Rostrumus Corvinus ... Kannst du auch Nichtlateiner damit langweilen?“
Ich habe mir, erdverbundener Wandersmann, diesen Namen nicht ausgesucht. Er entstammt unserem alten Geschlecht, das einst von den Vätern und Söhnen der Antike verehrt wurde, bevor die Dunkelheit des Mittelalters aus uns Geschöpfe des Bösen gemacht hat.“
Rostrumus – Schnabel. Corvinus – Rabe. Und wer gab dir den Namen Luis?“
Meine Mutter, die sich gerne im Freilichtkino aufhielt und Filme von Luis Bunuel bewunderte.“
Ich habe deine neue Kritik der Zeitgenössischen Gesellschaft gelesen. Ihr Vögel lasst doch keine Gelegenheit aus, uns flügellosen Wesen mitzuteilen, dass ihr über den Dingen steht.“
Da unsere Vorfahren, die Dinosaurier, einst von einem Meteoriten vernichtet wurden, haben wir mit unserer evolutionären Intelligenz und Voraussicht beschlossen, uns Flügel wachsen zu lassen, damit uns so etwas nie wieder passiert. Seitdem erlauben wir uns eine gewisse Arroganz.“
Die in jeder Faser deines Gefieders geschrieben steht.“
Soll ich dafür um Verzeihung bitten?“
Verzeihungen interessieren mich nicht.“
Einige Touristen näherten sich auf ein paar Meter und schossen Fotos von dem Raben und dem Leopard. Ein kleiner Deutscher filmte die Beiden und versuchte eine Ballhaussche Kreisfahrt mit seiner Digicam. Luis und Joe ignorierten es, wie immer.
Luis beobachtete Joe, wie er in die Sonne blinzelte. Er ist ihm zuvor nur einmal begegnet, vor ein paar Jahren in Paris.
Du bist alt geworden“ sagte Luis vorsichtig.
Ich bin eine Katze. Wir werden nicht alt. Wir sind die James Deans unter den Carnivoren. Ich weiß, ich habe nicht mehr lange. Es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich frage, ob es noch Fragen gibt. Ich meine diese Art von Fragen, die sich Opfer und Beutetiere manchmal stellen, bevor wir sie töten. Fragen, die sich ein junger Student stellt, weil er ‚Der Fänger im Roggen’ nicht verstanden hat.“
Fragen, die in der Logik deines vierpfötigen Horizonts ein Rabe beantworten könnte?“
Anders als die Menschen benutzt du deine Beine, um herabzusteigen. Die Menschen benutzen sie, um sich zu erheben. Etwas muss an eurer Weisheit ja dran sein. Ich meine, verdammte Scheiße und tausend Gazellenärsche auf meiner Tafel, du Arschloch, irgendwas müsst ihr doch besser wissen als wir säugende und nagende Placentisten.“
Ist dir schon einmal in den Sinn gekommen, dass wir es leid sind, andauernd für Metaphern der Jungmädchenpoesie herhalten zu müssen? - Der Vogel, das Himmelswesen, das Ei- oh Götter, wie leid bin ich diese ermüdenden Ei-Metaphern.“
Davon spreche ich nicht. Ich meine das Wissen, das jenseits der Lebensspanne wohnt. Davor und danach. Mich interessiert, ob es ein Bewusstsein gibt, das sich zu Lebzeiten verborgen hält und uns nach dem Tod wieder zugänglich wird.“
Wenn du nach so etwas fragst, müsstest du eigentlich mit dem Schreiben aufhören und anfangen, nach Perlen zu tauchen. Oder was anderes, bei dem man sich vorkommt, als überschreite man eine Grenze.“
Ich hab ja gedacht, ich hätte das mit meiner Übersiedlung zu den Menschen schon abgedeckt.“
Das denkt man immer, bis man das erste Mal Musik von Meat Loaf gehört hat.“
Schlange müsste man sein. Die sind taub.“
Ja, das wollen sie uns zumindest weismachen.“
Hast du schon gegessen?“
Ein bisschen.“
Hier gibt’s gute Pasta um die Ecke.“
Warum wundert mich das nicht, wo wir doch in Rom sind. Was hat dich eigentlich hierher geführt?“
Ich wollte nur mal sehen, wo meine Ahnen damals abgeschlachtet wurden.“
Kennst du die Geschichte, nach der sich ein Löwe mit einem verurteilten Sklaven angefreundet hat?“
Komisch, wieso das ausgerechnet mit einem Löwen passiert ist und nicht mit einem Nashorn.“
Das sollte dir beweisen, dass von Menschen keine Antworten zu erwarten sind.“
Also Perlentauchen.“
Das war ein Scherz, Joe.“
Das weiß ich doch, mein Spatz.“
Also was ist der wahre Grund für unser Treffen?“
Das kannst du dir nicht denken?“
Nein, Joe. Vielleicht eine Diskussion über Poesie? Über Neros Wahn?“
Knapp, mein Lieber.“
Joe drehte seinen Leib nur leicht, verschleierte einen Sekundenbruchteil lang die schwungvolle Ausholbewegung seines Vorderbeins, bevor seine Pranke mit einem blitzartigen Schaufelschlag den Raben attackierte. Beinah wäre es um ihn geschehen, doch Luis reagierte schnell genug, spürte den Wind von Joes ausgefahrenen Krallen an seinem Gefieder und schnellte in die Luft empor.
Knapp! Ja, das war knapp, Joe di Joe. Joe di Pasta, Joe il Gattopardo.“
Scheiße, ich musste es einfach versuchen.“ Joe schüttelte den Kopf und beobachtete, wie Luis mit seinen schwarzen Flügeln über ihn flatterte. Die Menschen knipsten wild drauf los. Ein Polizist näherte sich.
Joe, du bist ein Narr. Mich wolltest du fressen? Mich? Das ist eine unfassbare Beleidigung.“
Wie kann ich denn anders als durch eine Verköstigung deiner Spezies an Antworten gelangen?
Das ist der älteste Irrglaube der Fressensgeschichte. Verdammter Dichter. Hast du dich nie mit den Wissenschaften beschäftigt?“
Nur in Zwischentönen. Zwischen zwei Strohhalmen, die in einer blutigen Maria steckten. Ich habe die Wissenschaft immer als große Ablenkung wahrgenommen.“
In Ablenkung bist du doch ein Experte.“
Ja, geschenkt. Nun komm wieder runter, ich verrenke mir den Hals.“
Nein, du wirst es wieder versuchen.“
Ja, du denkst an die Geschichte mit dem Fuchs und dem Skorpion. Aber sorge dich nicht, Corvinus, ich werde dir nichts tun.“
Der Rabe Luis senkte sich auf den Brunnenrand hinab. Joe sah in seinen Augen keinerlei Zorn, nur glänzende Schwärze und die gnadenlose, starre Fratze des Pragmatismus. Joe wusste, dass Typen wie Luis niemals Dichter sein konnten. Vielleicht wurden sie deshalb so alt.
Was planst du als nächstes?“ fragte Joe, womit er wieder ablenkte, aber nun von seiner eigenen furchtbaren Einsamkeit.
Ich würde gerne mal auf diese Raumstation.“
Noch höher hinaus? Noch weiter weg von uns Staubschluckern?“
Mich interessiert, wie sich meine Flügel anfühlen, wenn ich sie nicht mehr brauche in der Schwerelosigkeit.“
Wäre vielleicht von größerem pädagogischen Wert, mal ein paar Wochen auf das Fliegen zu verzichten.“
Luis legte den Kopf schräg. Joe hatte einen wunden Punkt getroffen. Der Vogel sagte:
Ich begab mich einst in den Dienst eine Frau, die mich ein Jahr lang in einem Käfig gehalten hat. Ich weiß also wie es ist, sich nicht bewegen zu können. Und dabei habe ich nur gelernt, dass es besser ist, mobil zu sein.“
Bist du ausgebrochen?“
Der Typ, mit dem sie ab und zu gevögelt hat, war ein wenig labil. Ich habe so lange auf ihn eingeredet, bis er mich freigelassen hat. Er war derart motiviert, dass die Frau dran glauben musste. Das war unnötig, aber, na ja ... Menschen halt.“
Ich bin da besser dran. Die Menschen ängstigen sich vor mir. Und der Respekt, den ich mir erarbeitet habe, schützt mich davor, irgendwie bevormundet zu werden. Man nimmt mich ernst.“
Siehst du, das hast du mir voraus. Nur wenige Menschen können mich leiden. Vielleicht bewundern sie mich, aber sie sind zerfressen von widerlichem Neid. Ich muss sehr vorsichtig sein.“
Jetzt weiß ich, dass du keine Antworten hast.“
Luis blickte zu Borden. Der Leopard hatte Recht. Vielleicht, so dachte er, sollte man nicht nach Antworten suchen. Man sollte erst gar nicht fragen. Wie es Picasso gesagt hat: Nicht suchen, sondern einfach finden. Luis fragte:
Gehst du bald zurück nach Afrika?“
Nein, ich möchte unter den Blitzlichtern des Ruhmes der Menschen sterben, mit einer eleganten, schmuckbehangenen, Lyrik-verliebten Dame, die mir Filetstücke ins Maul schiebt und für mich die Fernbedienung bedient.
Ich werde etwas über dich schreiben, Joe. Du bist das tragische Element eines Lebensmodells, das eigentlich jede Tragik ausklammert. Das Sauerstoffmolekül in einem Vakuum, das gerne geatmet werden möchte.“
Darüber muss ich sehr lange schlafen. Hast du nicht doch noch Lust, ein wenig zu schlemmen?“
Nicht in deiner Gesellschaft und sicher keine Pasta, Pussykätzchen.“
Okay, dann geh halt vögeln, du Vogel.“
Joe drehte sich um und trabte in westlicher Richtung davon. Luis sah ihm nach. Die Menschen folgten ihm. Auch Kinder. Luis wurde kaum beachtet. Joe drehte sich noch einmal um und rief:
Hey Mann, wusstest du, dass Joe Louis gestorben ist?“
Joe Louis? Der ist doch schon ewig tot. Du meinst wohl Joe Frazier.“
Ja, du hast Recht.“
Der taucht doch kurz in einem Rocky-Film auf. Zuerst dachte ich, der wäre gar nicht real. Aber den gab es wirklich.“
Ja, Piepmatz. Genau wie dich und mich.“

Nächsten Freitag: "Lusias Praxis"





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