Donnerstag, 24. April 2014

Drei Katzengeschichten - Nummer 3: "Lusias Praxis"



Lusias Praxis

Ihr Partner Doktor Mintal steckte verschämt seine Zigaretten wieder ein. Lusia nickte besänftigend und ließ den drohenden Blick verfliegen. Sie hatte den Kollegen nicht erschrecken wollen, musste aber vor sich selbst zugeben, dass es von Vorteil sein konnte, eine schwarze Pantherdame unter den Menschen zu sein, gerade wenn man einen Doktor in Psychologie vorweisen konnte.
Doktor Mintal, ihr neuer Kompagnon in der frisch eingerichteten Praxis, lehnte sich zurück und versuchte, nicht wie ein neugieriger „Mensch“ zu klingen – diese hatte Lusia schon zu genüge erdulden müssen.
Ja, äh … Frau Kollegin, was machen Sie eigentlich, wenn einer Ihrer Patienten, na ja, aus irgendeinem Grund-, ich meine, das muss ja nicht zwangsläufig an Ihrem Äußeren liegen, Sie verstehen? Also wenn ein Patient – warum auch immer – auf Ihre Therapie nicht anspricht?“
Lusia leckte sich die Pfote. Sie lehnte es ab, Doktor Mintal mit unnötig politisch korrekten Phrasen seine innere Ruhe wieder zu geben:
Ich beiße.“
Sie BEISSEN?“
Im Gegensatz zu den Hunden, deren Halter immer beteuern: 'Der tut nichts!', sage ich: 'Ich tue was.'.“
Doktor Mintal nickte zögerlich und überlegte. Das kann ja heiter werden mit dieser Katze.
Also, Frau Kollegin, ich will mal ein wenig Verdrängungsarbeit leisten und annehmen, Sie meinen das rein metaphorisch. Ich weiß zwar, dass Sie eine Sympathisantin der Konfrontationsmethoden sind, aber wir möchten doch hier um Gotteswillen kein Blut sehen.“
Lusia blinzelte zweideutig:
Ich lecke es zur Not auch auf, Herr Kollege.“
Mintal versuchte ein schütteres Grinsen, nickte und verließ den Behandlungsraum.
So, hier war sie nun. Lusia, südamerikanisches Pantherweibchen mit einem Doktor in Psychologie und einer Gemeinschaftspraxis in der Stadtmitte. Ihr waren bereits einige Patienten zugeteilt worden, und sie würde, wenn Doktor Mintal sich ein wenig an sie gewöhnt hat, auch welche von ihm übernehmen, damit er sich mehr um seine kranke Frau kümmern konnte.
Frau Doktor, Sie haben bereits eine Nachricht auf ihrer Mailbox.“ sagte Erwin, der flinke Erwin Sielke, ihr persönlicher Assistent, der sich als williges Faktotum jeder Situation anpassen konnte, manuelle Aufgaben erledigte und den Raum mit ihr teilte, solange keine Patienten anwesend waren.
Lassen Sie hören.“
Der Lautsprecher brummte. Eine Stimme erklang:
Guten Morgen, hier Knut Fötzchen von der Acta Germania. Ich hatte bereits mehrere Male wegen des Interviews angefragt und wollte nun-“
Erwin stoppte die Aufzeichnung. Lusia schüttelte den Kopf:
Wieso missachtet dieses Arschloch schon wieder die Unterlassungsklage?“
Frau Doktor, soll ich das Gericht anrufen?“
Lassen Sie mal gut sein. Gibt es Patienten heute?“
Eine Frau Pinelto um elf.“
Dann lege ich noch für ein halbes Stündchen meinen Kopf auf die Arme.“
Sehr wohl, Frau Doktor. Ich werde ganz leise sein.“
Der gute Erwin Sielke. Lusia war froh, dass er nicht Rilke hieß.
Lusia schloss die Augen und träumte von einem sanft tanzenden Blätterdach. Erwin sah sie an und fand, dass sie wunderschön aussah in der Mittagssonne. Ihr Fell glänzte wie poliertes Silber.
Frau Pinelto war etwas beleibt und hatte schlechte dünne Haare – ein typisches Anzeichen für seelisches Ungleichgewicht. Natürlich wusste die Patientin, dass sie von einer Raubkatze behandelt werden würde, aber der Anblick von Lusia machte sie nun doch ein wenig nervös. Doch die Pantherdame gab sich ganz sanft und vertrauensvoll, und schon nach wenigen Minuten des Smalltalks bemerkte Lusia wieder dieses interessante Phänomen bei Patienten, dass sie anscheinend nach einer kurzen Eingewöhnung beinah froh schienen, nicht mit einem Menschen sprechen zu müssen. Die Konversation mit einer anderen Spezies wirkte belebend und ermutigend auf sie.
Frau Pinelto, Sie hatten über Wahnvorstellungen geklagt. Wie äußern die sich?“
Das geht nun schon einige Monate so. Ich habe die fixe Idee, Nastassja Kinski zu sein.“
Lusia legte den Kopf schräg. Frau Pinelto räusperte sich:
Sie wissen doch: Diese Schauspielerin, die Tochter von Klaus Kin-“
Ich kenne Nastassja Kinski.“
Nun, äh, uh, ich weiß, dass sie mir nicht gerade ähnlich sieht … Sie ist so schlank, so grazil, so schön, wenigstens zu ihrer besten Zeit ...“
Ich finde es unter diesem Gesichtspunkt ganz logisch, dass Sie sich wünschen, diese Frau zu sein. Doch muss ich Ihnen ein wenig den Kopf waschen, wenn ich Ihnen sage, dass, wenn jemand hier im Raum Nastassja Kinski sein sollte, ich diejenige wäre, zumindest mit einem größeren Anrecht auf diese Illusion.“
Ja, ich weiß, wegen diesem Film, in dem sie sich in einen Panther verwandelt.“
Korrekt. Also, es gibt immer jemanden, der eine Sache mehr verdient als man selbst.“
Ja, das stimmt wohl.“
Aber wir haben durch unseren freien Geist die Wahl zu sein, wer wir möchten. Ungeachtet der anderen Leute. Die Evolution hat bestimmt nicht vorgesehen, dass ich ein Psychologiestudium absolviere. Man braucht sich nicht immer an Vorgaben zu halten, denn die werden häufig von Leuten aufgestellt, die selbst nicht genau wissen, wo sie im Leben stehen. Die Vorgaben helfen ihnen, sich zu orientieren, und unsereins muss dann unter ihnen leiden.“
Das habe ich so noch gar nicht gesehen.“
Tja, dafür bin ich da. So, und nun raus hier.“
Nachdem Frau Pinelto milde verblüfft die Praxis verlassen hatte, ließ sich Lusia von Erwin einen Rippensnack servieren.
Wieder eine Nachricht auf der Mailbox. Frau Doktor.“
Bin ganz Ohr.“
Die Aufzeichnung wurde abgespielt:
Ja, hier nochmal Knut Fötzchen von der Acta Germania. Es betrifft meine Anfrage für ein Interview. Wir können es auch telefonisch führen. Bitte melden Sie si-“
Erwin unterbrach die Nachricht. Lusia überlegte.
Wenn ich jetzt noch einmal beim Gericht Dampf mache, halten die mich doch für eine überempfindliche Paranoikerin. Eine Diva im Katzenfell.“
Vielleicht wäre ein letztes Interview nicht so schlecht.“
Lusia nieste und gab sich noch ein paar Minuten bis zum nächsten Patienten. Es handelte sich um Jost Äbelmann, den Lusia schon aus ihrem Praktischen Jahr kannte.
Frau Doktor Lusia, ich bin ja so froh, dass Sie nun endlich praktizieren!“ sagte er bei der Begrüßung.
Kommen Sie zur Sache, Jost.“
Tja also, es ist eigentlich immer noch der alte Hut, Frau Doktor Lusia.“
Ach.“
Ich mache mir immer noch Sorgen wegen meiner Frau, Doktor Lusia.“
Präzisieren Sie das.“
Sie nennt mich Hamlet. Sie hat Theater studiert.“
Aha, und jetzt macht sie welches.“
Sie hält mich für unfähig, Entscheidungen zu fällen. Kennen Sie Hamlet?“
In groben Umrissen. Ich habe auch schon mal einen Totenschädel in den Pranken gehabt.“
Oh, ha ha, ich verstehe. Hamlet war immerhin Prinz! Meine Frau wertet mich gleichzeitig herauf und herab, nur mit der Nennung dieser Figur. Hamlet ist ja schon ein Synonym, eine Ikone der Unentschlossenheit. Um meiner Frau das Gegenteil zu beweisen, habe ich uns vor kurzem ein Boot gekauft. Und was macht sie? Sie lobt mich und sagt, dies sei eines Prinzen würdig.“
Ach Herr Äbelmann, wir wissen doch beide, was Sie wirklich sind.“
Ja, ich weiß.“
Sie sind ein Mopsgesicht. Es gibt Ehefrauen, die nennen ihre Männer Versager, Schlappschwanz oder Maulheld. Ihre nennt Sie Hamlet. Was erwarten Sie eigentlich?“
Ich wil nur als ich selbst wahrgenommen werden.“
Bravo. Dann stellen Sie sich bitte jeden Morgen eine Minute nach dem Duschen vor den Badezimmerspiegel und sagen sich: 'Ich bin ein Mopsgesicht'.“
Kann ich von mir selbst nicht ein wenig mehr verlangen?“
Mehr als Hamlet?“
Ich weiß was Sie meinen.“
Was sind Sie?“
Ein Mopsgesicht.“
Was?“
Ein Mopsgesicht.“
Hervorragend. Und jetzt raus hier.“
Abelman stand auf:
Haben Sie genug zu fressen? Ich könnte nächstes mal ein paar Rinderkeulen mitbri-“
Ich bin auf Diät. Raus hier.“
Erwin ging die neuesten E-Mails durch:
Sie haben wieder eine Anfrage von der Christlichen Schizophrenie-Union … Eine kurze Mitteilung von Unfuckable Petra ...“
Das ist Hermann Gaugners Sohn. Können Sie löschen.“
Hier etwas von einem Karl Marx – wahrscheinlich ein Pseudonym oder Nickname.“
Wäre ich nie drauf gekommen.“
Er schreibt: 'Ich habe lange Zeit meine Exkremente missverstanden.'“
Schicken Sie ihm einen Termin.“
Und hier etwas von einem Edward Pelz … Ob das auch ein Pseudonym ist?“
Nein, Edward Pelz ist ein Internist aus Dortmund. Was schreibt er denn?“
... 'Liebe Frau Doktor Lusia, es wäre mir eine Ehre, vor Ihnen zu onanieren.'“
Lusia gähnte. Erwin lächelte süffisant und fragte:
Soll ich dem auch einen Termin geben?“
Hmm … Okay, machen wir ihm ein bisschen Hoffnung. Wer ist der Nächste?“
Dietmar Jobért, der Meisterkoch.“
Den wollte ich eigentlich vergessen haben.“
Dietmar Jobért war dick und machte einen äußerst glücklichen Eindruck.
Was bieten Sie denn heute auf Ihrer Speisekarte an, Dietmar?“
Der Koch trug zwar Alltagskleidung, doch konnte er sich nicht dazu durchringen, seine Kochmütze abzunehmen. Er sah sich im Behandlungszimmer um.
Warum keine Bilder vom Dschungel?“ fragte er rotbäckig.
Haben Sie zu hause Bilder von ihrer Küche an der Wand, Dietmar?“
Ja, das habe ich.“
„ … Okay, eins zu null für Sie.“
Und? Schon viele Verrückte gehabt heute?“
Nein, Sie sind der erste.“
Jobért lachte laut und sagte:
Kriminalbrot mit Erdmännchenaugen.“
Lusia wartete ab. Jobért entdeckte an ihr keinerlei Irritation.
Kritikmilch unter Bierbällchen. Blinde-Wut-Suppe.“
Lusia erinnerte sich:
Was ist mit dem aufgeblasenen Ferkelbusen mit Hippieherzen?“
Sehen Sie – ich wusste, dass Ihnen das gefallen hat.“
Sie verkennen da etwas.“
Probieren Sie doch mal Penisbrezeln im Zuckerkörbchen.“
Wäre eher was für die Chinesen. Die essen gerne Genitalien.“
Oder Brustwarzenkringel junger Nymphen. Nillenkäse, also Smegma, gebacken und anschließend mit Fingernagelmarmelade im Mixer verrührt und auf Nutten gespritzt. Glasnudelsoufflé mit Doggenkot, Hornhautklößchen, Bremer Igelfilz im Dialog mit Krawattenlampen.“
Plötzlich wurde Lusia ernst:
Verstümmeln Sie sich noch immer selbst, Herr Jobért?“
Der Koch ließ den Kopf sinken. Seine haushohe Kochmütze zeigte schräg in Lusias Richtung. In ihrer Krone konnte sie Spuren von ergrautem Hackfleisch erkennen ... Menschen … Wesen im Strudel ihrer selbstgebauten Abflüsse. Opfer der elektrischen Ströme in ihren unordentlichen Großhirnrinden.
Ach Frau Doktor. Was soll ich nur tun? Nur noch sechs Zehen. Manchmal stolpere ich über meine Lehrlinge und muss es als Übermüdung hinstellen.“
Sie brauchen eine stationäre Therapie. Ich kann Ihnen nur sehr eingeschränkt helfen. Sie müssen überwacht werden.“
ich weiß, oh je, ich weiß.“
Wenn eine Spezies mehr aus dem Fressen macht als notwendig, konnte so etwas wie Jobért dabei herauskommen. Jobért aß seine abgeschnittenen Zehen nicht, er bewahrte sie in alkoholischer Lösung auf, für, wie er sagte, spätere Generationen, zum Neuanordnen seiner DNS. Jobért war neben seiner Kochleidenschaft besessen von der Gentechnik und der Idee, seine Gedanken während seines Morilogiums aufzuzeichnen, damit man sie irgendwann, wenn es möglich war, in etwas Essbares umwandeln würde.
Obwohl von Jobért prinzipiell angewidert, hatten ihr seine kulinarischen Ausführungen Appetit gemacht. Sie ließ ihm durch Erwin ein Beruhigungsmittel geben, worauf Jobért leise in sich hinein weinte, aber insgesamt entspannter wurde. Er durfte sich nach nebenan auf eine Pritsche legen und ausruhen. Auf einem Fernseher wurde ihm ein Film über die Geschichte von Kinderspielzeug gezeigt. Das konnte Wunder wirken.
War's das?“ fragte Lusia ihren Assistenten.
Es sei denn, Sie möchten noch eine Nachricht von diesem Journalisten hören.“
Lusia machte einen lässigen Wink mit der Pranke und gab Erwin grünes Licht. Er sah ihr Fell, es irisierte im Sonnenlicht und wirkte dadurch heller. Man konnte die versteckten Jaguarflecken erkennen. Das berührte Erwin beinah peinlich, so als ob er einer Menschenfrau zu tief in den Ausschnitt geschaut hatte.
Hier noch mal Knut Fötzchen. Hören Sie, ich habe bereits ein Interview mit Ihrem afrikanischen Pendant geführt, dem dichtenden Leoparden. Der ist sehr nett gewesen. Ein echter Profi. Wollen Sie denn für ewig das Klischee der unnahbaren Raubtierdame bedienen? Diskretion ist ein zweischneidiges Schwert, Frau Doktor! Verletzen kann man sich auch bei zu viel Geheimniskrämerei.“
Lusia sprang von dem Sofa, streckte sich und schaute aus dem Fenster. Dort stand ein Himmel am Himmel. In Südamerika war es nur Himmel, ohne Positionierung. Nichts war posiito0niert, nur einfach da.
Okay Erwin, schicken Sie diesem Journalisten eine Mail. Fragen Sie Jobért, ob man Brustwarzenkringel auch aus Männerbrüsten machen kann.“



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