Rot
werdend das Wanderherz
Glutsonne
nimmt Zucker zum Idiom
Ich
ob der Flut
Verstandesartig
blendend zwischen Spalten
Tundra
oder Erz
Kontrollieren
über Blütenstaub
Nager
verkurvt gegen Zustandglaube
Ich
verändere Gröberes nun
Rot
werdend das Wanderherz
Hochzeit
spendiert und flach
Schläfern
und vertristen spielen
Die
Zeilen in die Gesäßtasche verschwinden lassend, klopfte der
Journalist an die Tür der Hotelsuite und wurde hereingebeten. Sein
Interviewpartner lag entspannt auf der Couch und setzte sich aufrecht
hin, als der Journalist ihm gegenüber Platz nahm und das
Aufnahmegerät anstellte.
"Sie
sind in der Öffentlichkeit ja nicht nur als Leopard bekannt, sondern
ebenfalls als blendender Dichter und Theoretiker."
"An
den Medien stört mich, daß ich bei Zeiten immer noch als Jaguar
bezeichnet werde. Lassen Sie mich kurz erläutern, daß ein Jaguar in
Südamerika lebt, eine andere Fellzeichnung und einen wesentlich
gedrungeneren Körperbau hat. Richtig ist hingegen, daß ich - wie er
- ein Einzelgänger bin und nicht auf die Vorteile einer
strategischen Jagd im Rudel zurückgreifen kann."
"Wie
lebten Sie in Kenia?"
"Ich
hatte einen besonders bequemen Baum in der Steppe, von dem aus ich
eine große Fläche Land überblicken konnte."
"Die
Beute schleppten Sie jedesmal dort hinauf?"
"Ja,
selbst Antilopen. Das war kein Problem."
"Hatten
Sie irgendwelche besonderen Feinde zu fürchten?"
"Löwen.
Die sind unglaublich störend, wenn Beute knapp ist. Einmal mußte
ich flüchten, als ich ein ganzes Rudel Weibchen im Mondschein
ankommen sah. Besonders ärgerlich war, daß ich am Tag zuvor gerade
eine Gazelle erlegen konnte, von der ich noch nicht viel gegessen
hatte. Von weitem habe ich beobachtet, wie die Löwinnen versuchten,
auf den Baum zu klettern. Eigentlich ein lustiger Anblick, wie sie
ungelenk versuchen, das Tier mit ihren Pranken vom Ast zu zerren.
Eine der Löwinnen war clever, denn sie hat unten gewartet, bis die
Gazelle runterfällt. Das ist dann auch passiert, und sie hat sich
schnell mit ihr davongemacht. Ich konnte erst nach Stunden zurück
zum Baum. Löwen erschweren einem noch zusätzlich die Arbeit. Aber
ansonsten kam ich ganz gut zurecht."
"Und
trotzdem haben Sie sich dazu entschlossen, auszuwandern."
"Ja,
ich wollte einiges verändern, weil mehr in mir steckt als Beute zu
machen und für Nachwuchs zu sorgen."
"Was
haben denn Leute wie Ihre Mutter zu ihrem Fortgang gesagt?"
"Meine
Mutter hat mich - wie es bei uns üblich ist - nach etwas über einem
Jahr verjagt. Ich denke nicht, daß sie über meinen Schritt bescheid
weiß. Vielleicht ist sie auch schon tot."
"Wie
leben Sie heute?"
"Ich
wohne in einem Zweizimmer-Apartement in Citynähe. Ich schreibe und
gehe hin und wieder auf Vernissagen und ins Kino, um mich von mir
selbst abzulenken."
"Ein
großes Verlagshaus hat sich Ihrer Gedichte angenommen."
"Ja,
ein fantastischer Deal. Nächste Woche erscheint mein erster
Gedichtband, den ich bereits in Kenia geschrieben habe. Und Anfang
nächsten Jahres wird dann das zweite Buch herauskommen."
"Mit
Eindrücken aus der Zivilisation?"
"Mit
Ausdrücken aus der Zivilisation."
"Wie
sehen Ihre privaten Pläne aus? Bleiben Sie noch lange hier?"
"Darauf
kann ich im Moment noch keine befriedigende Antwort geben. Das
gesellschaftliche Leben hier beeindruckt und fasziniert mich nicht
besonders."
"Würden
Sie es mit den Gesetzen der Steppe und des Dschungels vergleichen
können, ich meine rein allegorisch."
"Darauf
möchte ich mich nicht einlassen. Es gibt hier zuviele fragwürdige
Werte, die ich erst noch genauer untersuchen muß."
"Sie
meinen die Gesetze der Ellenbogengesellschaft? Den Materialismus und
die Konsumsucht?"
"Nein,
mit diesen Dingen habe ich keine Probleme. Ich bin ein Genuß-Wesen.
Nein, ich meine die Moral. Nach meiner Ansicht kann Moral nur eine
Illusion sein, etwas zutiefst menschliches, das in der Natur keinen
Platz hat."
"Ja,
es wird einem ständig gepredigt, man solle sich moralisch verhalten,
und doch tut es keiner."
"Das
meine ich nicht, denn das ist selbstverständlich. Auch bei uns in
Kenia wird mit Tarnung gearbeitet. Ich meine die Moral an sich.
Nehmen Sie zum Beispiel die soziale Strategie in einem Löwenrudel.
Wenn dort ein Mitglied verletzt wird und nur noch humpeln kann, wird
es von den anderen Mitgliedern noch zusätzlich gebissen und
gestoßen, selbst wenn es sich um ein schutzbedürftiges Junges
handelt. Das ist für Menschen eine Rohheit, und sie sind versucht,
es für unmoralisch oder zumindest primitiv zu erklären. Doch diese
Verfahrensweise ist unbedingt nötig für das Rudel. Es kann sich
nicht wegen einem einzigen Verletzten Risiken aussetzen, es muß
weiter, nach Beute und nach Wasser suchen, um zu überleben. Der
Verletzte wird deshalb schikaniert, um ihn zu animieren, den Anschluß
nicht zu verlieren, oder zu testen, ob er es schaffen kann. Das ist
ein völlig ökonomischer Modus Operandi."
"Und
die Leoparden-Mütter vertreiben ihre Jungen, wenn sie alt genug
sind, um ein eigenes Leben zu führen."
"Ja,
das hat fast schon Ähnlichkeit mit menschlichem Verfahren."
"Haben
Sie hier schon Freunde gefunden?"
"Ich
habe Menschen kennengelernt, die mir nützen können. Natürlich
schließe ich auch wirkliche Freundschaften nicht aus."
"Und
wie steht es mit Frauen?"
"Kein
Interesse."
"Aber
Sie haben doch bestimmt schon viele Angebote bekommen."
"Ich
glaube, das geht nur mich und die Antragstellerinnen etwas an."
"Wie
werden Sie eigentlich in Erscheinung treten? Mit anderen Worten: was
für ein Name wird auf Ihrem Gedichtband stehen?"
"Der
Jaguar. Nein, im Ernst: Ich habe zuerst mit der Idee gespielt, mir
den Namen Leo Pardy zu geben, aber das fand ich letztlich anbiedernd.
Einfach nur Leopard wäre da noch gradliniger gewesen. Ich entschied
mich dann für Joe Datzo."
"Eine
seltsame Wahl."
"Genau
diese Reaktion erwarte ich. Ein Name, der bei einem Wesen wie mir
sofort die Frage nach dem Warum auslöst. Warum gerade dieser Name?
Darum. Mehr steckt nicht dahinter, und das soll es auch nicht. Ich
mag keine Namen, hinter denen eine Bedeutung steckt, denn das würde
die Person zu dieser Bedeutung reduzieren. Wenn sich jemand King
nennt, ist das nur der Ausdruck eines Größenwahns oder einer
Eitelkeit. Über den Träger des Namens sagt es nichts aus, was
darüber hinausgeht."
"Also
darf man Sie zukünftig mit Herr oder Mister Datzo anreden?"
"Wenn
es im Paß vermerkt ist, auf jeden Fall. Aber Sie können ja schon
mal üben."
"Mister
Datzo, wo liegt das Konzept in Ihrer Dichtung?"
"In
der konkreten Anwendung von ungefiltertem Intellekt. Wenn Intellekt
ungefiltert ist, sieht er aus wie etwas sehr Fremdes, Unnahbares. Ich
nenne es Instinktiver Intellekt. Und am Beginn dieses Impulses stand
der Rhythmus: Substantiv, Ich, Adjektiv, Substantiv, Verb. Es gibt
einige andere Rhythmen, aber dieser ist der des Ursprungs."
"Bei
Ihnen gibt es die Zeile: 'rot werdend das Wanderherz'. Ein Verweis
auf Blut, Suche und Jagd nach Beute?"
"Kein
Verweis. Es gibt keine Verweise. Alle Zeilen sind konkret und
kristallen zugleich. Der Verweis entsteht im Kopf des Lesers, nicht
in meinem. Ich bringe glasklare Dinge zum Ausdruck. Ich verfolge die
Idee des ursprünglich Perfekten, des Objekts, das keiner Entwicklung
bedarf."
"Wie
soll man mit dieser Dichtkunst umgehen?"
"So,
als wenn Sie einen Stein in der Hand haben. Sie heben ihn auf, sehen
ihn an, betasten seine Oberfläche, und dann nehmen Sie ihn
vielleicht mit, wenn er Ihnen gut gefällt."
"Mit
Steinen kann man auch werfen."
"Dann
tun Sie's."
"Vermissen
Sie die Steppe?"
"Es
gibt dieses Gefühl, ja. Und ich habe es erwartet. Sogar geplant."
"Wovon
träumen Sie nachts?"
"Von
Sättigung. Und ich träume vom Schlaf. Ich träume von Dingen, die
so befriedigend sind, weil sie nie von Dauer sein können. Deshalb
sind es kostbare Dinge."
"Sind
Sie religiös?"
"Nicht
in einem Sinne der bekannten Religionen. Eigentlich ist es eine
Religion der Selbstverständlichkeit. Aber ich glaube in keinster
Weise an einen personifizierten Gott. Es sind mehr die Gesetze der
Welt, die ich verehre. Übrigens wäre es mir lieb, wenn Sie nicht
rauchen."
"Oh,
Entschuldigung."
"Danke
für Ihr Verständnis, aber ich kann manchmal sehr wütend werden,
wenn man in meiner Gegenwart raucht."
"Ich
verstehe."
"Sehr
wütend."
"Apropos:
ich muß nochmal auf das Leben hier zurückkommen. Wie empfinden Sie
die relative Einfachheit des Lebens im Verhältnis zu den Bedingungen
in ihrer Heimat? Genießen Sie es beispielsweise, sich Ihr Fleisch
bequem beim Metzger kaufen zu können?"
"Natürlich.
Man muß sich schon ziemlich beherrschen, um nicht der Dekadenz zu
verfallen. Deshalb gehe ich einmal pro Woche auf den Sportplatz und
trainiere."
"Haben
Sie da jemanden, der Sie betreut?"
"Nein,
es ist eher umgekehrt. Manche Sportler - darunter beachtliche
Olimpia-Anwärter - kommen zu mir und fragen mich um Rat. Das Leben
mag in Hinsicht der Nahrungsbeschaffung einfacher sein, aber dafür
gibt es andere komplizierte Vorgänge, die erst verstanden werden
müssen. Verhaltensregeln, Etikette und dergleichen."
"Und
die Klassentrennung."
"Nein,
mit Klassentrennung bin ich vertraut. Und ich bin sehr froh darüber,
daß man mir nicht abverlangt, mich an Kleiderordnungen zu halten.
Ich möchte nicht leugnen, daß ich aufgrund meiner Spezies von
gewissen Pflichten entbunden bin. Ich spare sehr viel Zeit, denn ich
brauche mich vor einem Opernbesuch nicht in Schale werfen."
"In
die Oper gehen Sie auch?"
"Ich
liebe sie. Besonders Wagner und die italienische Oper."
"Wie
steht es ansonsten mit Musik? Können Sie mit der modernen Popmusik
etwas anfangen?"
"Ich
verschließe mich dem nicht. Man könnte meinen, daß ich als Räuber
auf harte Musik geeicht bin. Das ist ein Irrtum. Ich assoziiere mit
harter Musik nichts, was mit meinem Leben in Kenia zu tun hat. Zur
Entspannung und bei Konzentrationsübungen höre ich sehr gerne die
modernen Minimalisten wie Reich, Glass oder Mertens. Und Bach."
"Lesen
Sie Bücher?"
"Auch,
aber dazu bleibt mir nur wenig Zeit. In Kenia habe ich Beaudelaire
gelesen. Der hat mir nicht so gut gefallen. Aber Dostojewski halte
ich für sehr interessant, wenn man begreifen will, wie der Mensch
funktioniert. Das gleiche gilt für Shakespeare. Doch das Lesen wird
erst dann ein Genuß für mich, wenn ich nicht über die Inhalte
nachdenken brauche. Viele Künstler behaupten, sie würden den
Rezipienten zum Nachdenken anregen wollen. Abgesehen davon, daß ich
darin eine Schutzbehauptung vermute, ist es für mich völlig
zweitrangig, jemanden zu einer intellektuellen Leistung zu nötigen.
Das Gefühl kann erzwungen werden, aber nicht ein Gedankengang, der
sich wiederum auf Moral gründet. Und man sieht doch angesichts der
vielen miß- oder nichtverstandenen Kunstwerke, wie wenig die Leute
trotz der gut gemeinten Anregung darüber nachdenken. Wenn dies
anders wäre, hätte ja schon ein einziger Antikriegsfilm gereicht,
um der Welt Frieden zu schenken."
"Verzeihen
Sie, wenn ich sie unterbreche, aber ich glaube, das Problem bei der
Sache stellt sich doch etwas komplexer dar."
"Nein,
tut es nicht. Es ist so wie es ist. Wenn Sie es komplizieren wollen,
bauen Sie nur wieder ein neues Labyrinth, in dem Sie sich verirren
und kopfschüttelnd resignieren."
"Ich
möchte hier keine Diskussion vom Zaun brechen, aber es hat durchaus
Werke in der Geschichte gegeben, die etwas bewirkt haben."
"Nein,
nicht wirklich. Vielleicht kann ein Werk einzelne Menschen prägen
und beeinflussen. Aber den Schauplatz der Kunst verläßt diese
Wirkung nicht."
"Hm,
ich bin genötigt, etwas inoffiziell zu sagen, außerhalb des
Interviews."
"Nur
zu."
"Sie
sind ein Leopard. Vielleicht leben Sie noch nicht lange genug unter
uns, um das ganze menschliche Spektrum zu erfassen."
"Das
mag sein, aber die Menschen tun es auch nicht. Ich äußere lediglich
als Beobachter meine Feststellungen."
"Gut,
fahren wir mit dem Interview fort."
"Sie
müssen gleich gehen, ich erwarte um drei noch einen anderen
Journalisten."
"Alles
klar, wir sind auch gleich fertig. Mister Datzo, sind Sie glücklich?"
"Ein
Begriff ähnlich überflüssig wie Moral. Wenn Sie mir so eine
seltsame Frage stellen, fühle ich mich wie ein Schachspieler, der
auf ein Fullhouse reagieren soll. Es ist nicht mein Spiel, und es
sind nicht die richtigen Begriffe, um das Leben abzustecken. Ich kann
Ihnen auf diese Frage keine Antwort geben."
"Aber
Sie können doch zumindest andeuten, ob Sie sich zur Zeit wohl fühlen
oder nicht."
"Es
geht mir gut. Danke der Nachfrage."
"Mister
Datzo, ich danke Ihnen für das Gespräch, und viel Glück für Ihre
erste große Buchveröffentlichung."
"Kann
ich brauchen. Einen schönen Tag noch."
Der
Journalist verließ das Hotelzimmer, und nach zehn Minuten klopfte es
erneut. Ein weiterer Journalist wurde hereingebeten, und er betrat
mit einer frisch angezündeten Marlboro das Zimmer des Autors.
Nächsten Freitag: "Joe und Luis"
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