Teil IV
Tavie schnitt ein
wenig Gemüse und schwieg.
„Und Sie leben
hier wirklich ganz alleine? Ausgestiegen? Oder Dreck am Stecken?“
„Irgendwas
dazwischen.“ sagte Tavie lakonisch.
„Das kann mir auch
egal sein. Sie werden tun was ich sage, und Ihre Lebensgeschichte ist
mir scheißegal. Ich bin nicht auf Sie angewiesen. Wenn ich Lust
bekomme, dann knalle ich Sie einfach ab. Ich komme hier auch alleine
klar. Es ist nur meinem Wohlwollen unterworfen, ob Sie am Leben
bleiben. Haben wir uns verstanden?“
„Möchtest Du
Knoblauch zum Kaninchen?“
Lennox hätte beinah
gelacht, aber sein Unmut über Tavies augenscheinliche Gelassenheit
war stärker:
„Sie sind wohl
nicht ganz richtig in der Birne, wie? Ne arme Irre, von der
Gesellschaft ausgestoßen, in der Einsamkeit wunderlich geworden.
Ihnen ist wohl alles egal, was?“
„Oh nein. Aber was
kann ich denn schon tun? Sie haben eine Waffe und die Verhältnisse
ganz klargestellt. Also, was soll ich noch sagen?“
„Normalerweise
fangen die Menschen an zu weinen und zu betteln, wenn ich auftauche.“
„Das mag sein,
aber soll ich mich jetzt dafür entschuldigen, dass ich mich auf Ihr
Kaninchen konzentriere? Ich weiß immer noch nicht, ob Sie ein wenig
Knoblauch wollen oder nicht.“
Lennox grinste und
sagte:
„Den Knoblauch
lassen wir mal weg. Das ist nicht gut für den Atem, und man kann ja
nicht wissen, wie nah wir uns noch kommen werden, Fräulein.“
„Nein,“
bestätigte Tavie trocken, „das kann man nie wissen.“
Lennox hatte genug
von diesem Stoizismus. Er hob seine Pistole und schoss willkürlich
in die Decke. Tavie zuckte, jauchzte im Schreck, und schaute nach
oben. Sie konnte das Einschussloch sehen und sagte:
„Der Schuss ist
nicht durchgegangen, Gottseidank. Ich habe nämlich keine Lust, schon
wieder da raufzuklettern und zu flicken.“
Lennox erkannte nun,
dass sich Tavie zwar im Griff hatte, aber nicht ohne Angst war. Er
konnte es an kleinen Signalen ihres Körpers sehen, und an ihren
Augen.
„Ich hoffe, liebe
Dame, wir verstehen uns jetzt.“ sagte er schulmeisterlich.
Tavie baute sich vor
dem Mann und auf und stützte ihre Hände in die Hüften:
„Ich habe Dich zu
keinem Zeitpunkt missverstanden, Lennox! Alles läuft nach Wunsch.
Das Kaninchen ist in zehn Minuten warm. Du hast Whisky, Du sitzt
bequem und kannst Dich bedienen lassen. Was hast Du auszusetzen?“
Lennox blickte sie
an. Er neigte den Kopf schräg:
„Woher kennen Sie
meinen Namen?“
Tavie wollte darauf
nicht antworten. Lennox sprang auf und begann, den Raum nach einem
Radio oder einem Fernseher zu durchsuchen. Einen Fernseher fand er
auch, aber unter einigem Kram versteckt, so als würde er nie oder
selten benutzt.
„Was hast Du von
mir erfahren? Wie viel wissen die Bullen? Sie konnten nicht gesehen
haben, wie ich das Boot genommen habe, vollkommen unmöglich.“
Tavie sah Lennox
beim Durchwühlen ihrer Sachen zu und sagte nichts. Sie wusste
wirklich nicht, wie sie ihm begreiflich machen sollte, dass ein
Zwilling von ihm ein halbes Jahr vorher ebenfalls hier aufgetaucht
war.
Als Lennox hinter
der Sitzecke in einer Kiste stöberte, stieß er auf ein gerahmtes
Foto. Es zeigte einen Mann und einen kleinen Jungen. Er hielt es
hoch, so dass Tavie es sehen konnte:
„Wer ist das?
Deine Familie? Hübscher Bengel. Das Foto ist schon älter, hm?“
Tavie wollte nicht,
dass er dieses Foto in den Händen hielt. Aber sie konnte es ihm
nicht verbieten. Doch in diesem Moment war es ihr lieber, er würde
weiter darauf pochen, woher sie seinen Namen wusste, als nach dem
Foto zu fragen. Lennox ließ das Bild einfach auf den Boden fallen,
worauf der Rahmen zersprang, und sagte:
„Scheiß drauf,
das interessiert mich nicht. Also nochmal: Woher wissen Sie, wie ich
heiße? Ich habe keine Lust, diese Frage tausend Mal zu stellen.“
„Ich glaube Du
hast Dich mir vorgestellt, als Du am Steg gelandet bist.“
Lennox schüttelte
den Kopf. Tavie versuchte:
„Du musst es
irgendwann erwähnt haben. Woher sollte ich es sonst wissen?“
Lennox ließ sich
darauf nicht ein:
„Irgendwas ist
hier faul. Haben Sie auf mich gewartet? Werden wir beobachtet? Wissen
die Anderen, wo ich bin?“
„Ich weißt nichts
über irgendwelche Anderen. Ich bin hier ganz allein. Du kannst gerne
alles auf den Kopf stellen,“
Lennox sah Tavie
streng in die Augen.
„Sie machen jetzt
diesen Hasen fertig. Ohne Knoblauch. Und wenn ich fertig gegessen
habe, werden wir uns noch etwas eindringlicher über Ihr ominöses
Wissen unterhalten. Ich lasse Ihnen noch ein wenig Zeit zum
Nachdenken. Noch haben Sie die Chance, mir die Wahrheit zu sagen.
Wenn ich aber gesättigt bin und einen kleinen Scotch getrunken habe,
werde ich meine zurückhaltende Art beiseite schieben. Dann wird es
ernst, Schlampe.“
„Ich denke, ich
kann Dir das Kaninchen jetzt servieren.“
Lennox nickte. Er
hielt sie für wahnsinnig, oder sie spielte nur die Irre und hatte es
faustdick hinter den Ohren. Sie wusste etwas, und Lennox wollte
wissen wieso.
Tavie servierte ihm
einen Teller mit sauber filetiertem Hasenfleisch, Karotten und
Erbsen.
„Ich hoffe dass es
Dir schmeckt.“
„Wenn nicht, lege
ich Sie um.“
Tavie ging wieder in
die Küchenecke. Lennox fühlte sich provoziert, verschaukelt. Und
sogar lächerlich gemacht. Ja, die Frau tat alles was er verlangte,
aber sie hätte seinen Namen nicht kennen dürfen. Er legte sein
Besteck beiseite und nahm die Pistole in die Hand. Er wollte ihr
einen neuen Schrecken einjagen, mehr als beim ersten Schuss. Während
Tavie mit dem Rücken zu ihm stand und ein paar Gläser abwusch,
zielte er auf sie. Dann hielt er den Lauf ein wenig seitlich, sodass
der Schuss knapp neben ihrem Kopf einschlagen würde. Er drückte ab.
Doch er hörte nur das Klicken des Abzugs.
„Scheiße, schon
wieder ...“ sagte er und klopfte die Pistole auf die Armlehne.
„Du Mistding wirst
gefälligst Deine Pflicht tun ...“ Er drückte erneut ab, doch es
fiel kein Schuss.
„Da sperrt was. Da
muss irgendein Scheiß drinstecken ...“ sagte er grübelnd und
schaute in den Lauf hinein.
Tavie hörte einen
Schuss, laut und brutal. Sie drehte sich um.
Lennox saß da,
regungslos, und in der Hand die Pistole, auf den Knien der Teller mit
dem Kaninchenfleisch. Sein linkes Auge war nur noch ein dunkles Loch,
und hinter ihm an der Wand klebte Blut mit ein paar kleinen
Schädelstücken darin.
Tavie schlug die
Hände vor den Kopf zusammen.
Das Problem hatte
sich von selbst erledigt. In diesem Falle war Tavie überaus dankbar,
doch musste sie auch wieder an den ersten Lennox denken, der einfach
so eingeschlafen war, ohne wieder zu erwachen.
Zunächst säuberte
sie die Wand von Lennox' Kopfinhalt. Und anschließend sah sie sich
gezwungen, erneut diese schwere Last aus dem Haus zu schaffen.
Genau neben der
Grube des ersten Lennox rollte sie den zweiten aus und ließ ihn in
eine neue Grube gleiten.
Langsam wurde die
Frage, wie so etwas möglich sein konnte, überaus lästig, aber eine
Antwort darauf war nicht in Sicht. Sie klopfte das neue Grab glatt
und ging zurück ins Haus.
Tavie futterte die
Reste des Kaninchens, die Lennox übrig gelassen hatte, und gönnte
sich einen Schnaps.
Vielleicht hatte sie
sich hier in diesem Refugium zu sicher gefühlt, so als gäbe es
nirgendwo anders etwas, das ihr gefährlich werden konnte. Als sei
ihr eigener Geist das einzige, das sie im Auge behalten musste. Doch
ironischerweise verursachte die Tötung des zweiten Lennox bei ihr
ein Umdenken, in dem sie sich selbst aus dem Mittelpunkt nahm, so
auch einige Dogmen in ihrem Leben zu lockern und wieder etwas mehr
von dem zuzulassen, was dort draußen vor sich ging.
Sie schloss den
Fernseher an und schaute zum ersten Mal seit etwa anderthalb Jahren
die Nachrichten und einen Film. Es wühlte sie derart auf, dass sie
das Gerät nach dem Abspann wieder ausschaltete und sich für eine
Stunde auf den Steg setzte, um sich wieder zu ordnen.
Es war manchmal gut,
wenn die Dunkelheit so tat, als gäbe es keinen Tag mehr.
Sie musste an die
beiden Lennoxe denken. Einer wie der andere waren Tavies Charakter so
fremd gewesen. Doch sie kannte auch andere Menschen gut genug, um zu
wissen, dass diese beiden diametralen Zwillinge nichts vertraten, für
nichts standen, nichts symbolisierten, nur sich selbst, oder eine
Verzerrung von irgendetwas.
Natürlich fühlte
sie sich nicht gerade wohl dabei, dass zwei Menschen in ihrem
Häuschen umgekommen waren, aber sie hegte die Hoffnung, dass sie
niemand vermisste.
Und sie gedachte
auch der glücklichen Fügung, was den Tod des Zweiten anging, denn
dieser hätte ihr einige schlimme Dinge antun können.
Es galt, sich von
dieser Sache zu erholen. Der Sommer stand vor der Tür.
Nächster Teil Freitag, 30.05.2014
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