Donnerstag, 10. Oktober 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XV


Caecus musste an seine verstorbene Frau denken. Einst hatte sie ihn schützen wollen, seine Arbeit und seine Integrität, und daran war sie schließlich aus Sorge und Gram gestorben, verendet an der Tatsache, dass Caecus in die Fänge der Esquiliner geraten war.
Und nun dies.
Er brauchte nur eins und eins zusammenzählen, um dahinter zu kommen, auf was für einer Mission sich Marisca befand und weshalb sie ihn angelogen hatte. Pictor erwartete also ernsthaft, dass sie ein Attentat verübte.
Es gab keine Zeit zu verlieren. Mittlerweile wieder gut zu Fuß, eilte Caecus aus dem Anwesen zu seiner Wohnung und holte seine Goldschatulle. Diese deponierte er bei einem Händler, der sein volles Vertrauen genoss, und machte sich auf den Weg nach Westen, Richtung Tiber, zum Aventin.
Der Weg war lang, was ihm genügend Zeit zum Nachdenken gab.
Er würde sich als Überläufer inszenieren, als verbitterter Diener eines despotischen Pictor, unter dessen Fuchtel er nicht länger sein Talent verschwenden wollte. Er musste Marisca finden, und beide mussten beflissentlich ihre Bekanntschaft verbergen, um Marisca zu schützen.
Caecus musste sie irgendwie aus diesem Haus herausholen, koste es was es wolle.
Er betete zu Fortuna, zu Juno und sogar zu Jupiter, dass er noch rechtzeitig eintraf und die Tat oder der Versuch ihrer Ausführung noch nicht geschehen war. Am liebsten hätte er in einigen der vielen Tempel geopfert, doch die Zeit war zu knapp. Die ganze Längsseite des Circus Maximus rannte er entlang und bekam sogar Applaus von einigen Leuten, die darüber staunten, dass ein Mann mit einer Armschiene so schnell laufen konnte. Hinter dem Capitolshügel bekam er solch einen Durst, dass er einem kleinen Mann den Becher Posca aus der Hand riss und trank. Eine Kupfermünze machte es wieder gut.
Caecus kannte sich auf dem Aventin nicht besonders gut aus und war gezwungen, einige Leute nach dem Weg zu fragen, Den Tiber zu finden war nicht schwer, aber das bewusste Haus konnte überall sein, und er kannte auch das Gebäude der Armee, das Armilustrium nicht, das sich direkt gegenüber befinden sollte.
Nie und nimmer hätte er geahnt, dass man ihn hier in dem Revier der Feindesbande erkennen würde. Doch zwei Aventiner Bandenmitglieder versperrten ihm den Weg und verlangten den üblichen Wegzoll, den man hier als Esquilinier zu leisten hatte.
Ich zahle. Ich habe keinen Konflikt mit euch, aber bringt mich, wenn ich einen Bonus auf den Zoll addiere, zu Stolo. Ich muss dringend zu him. Ich bin Caecus, Pictors bester Maler. Schlagt mich, spuckt mich an, aber lasst mir meine linke Hand. Hier, seht meinen geschienten rechten Arm, der von einem Anschlag herrührt, weil man glaubte, ich sei Rechtshänder.”
Die beiden Straßenschläger schubsten ihn während seiner Ausführungen hin und her, aber sie freuten sich über das Geld und erklärten sich bereit, Caecus bei Stolo abzuliefern, weil sie sich davon eine zusätzliche Prämie erhofften.
Das Herz von Caecus schlug schnell wie das Klopfen eines Spechts, als er in das Atrium des Hauses trat. Wahrlich, hier herrschte eine gänzlich andere Atmosphäre als in Pictors Anwesen. Man bekam prompt das Gefühl, als lägen hinter den verschlossenen Türen grimmige Geheimnisse, was wohl auch stimmte. Hier hatte die Giftmischerin Licina ihre Taten geplant, hier wurden geheime Geschäfte mit den Syrern oder anderen fremden Gesandten abgewickelt. Und hier irgendwo musste sich Marisca befinden, die einst für dieses Haus als Lupa gedient hatte.
Im Innenhof, dem Peristyl, wartete er, ohne dass die Sklaven größere Notiz von ihm nahmen. Nur zwei bullige Wächter behielten ihn im Auge, und man konnte ihnen ansehen, dass sie nicht abgeneigt waren, Caecus zu peinigen, nur so als Zeitvertreib.
Nach ein paar Minuten kam eine alte kleine Frau auf ihn zu. Sie trug einen Trauerumhang.
„Was wünscht ihr, Herr?“ fragte sie, und ihre Stimme klang wie die einer Toten. Caecus sprach klar und deutlich:
„Bring mich zu Stolo. Mein Name ist Caecus, ich bin ein Abtrünniger der Esquiliner. Dein Herr müsste meinen Namen bereits kennen. Sag ihm, dass ich ein Angebot zu machen habe.“
Die Sklavin zeigte keinerlei Regung und sagte:
„Dies ist der Aventin. Ihr müsst Zoll bezahlen!“
„Das habe ich bereits, aber um Deine Herren milde zu stimmen, bin ich gerne bereit, ihn zu verdoppeln.“
Die Sklavin ging darauf nicht ein, drehte sich einfach um und ging. Eine andere Sklavin mit einer schiefen Nase und nur einem Auge fragte ihn, ob sie ihm einen Becher Wein bringen sollte. Caecus lächelte und lehnte freundlich ab. Er musste bei Verstand bleiben, und sein Mut, sich in die Höhle des Löwen gewagt zu haben, beflügelte ihn mehr, als jedes geistige Getränk es vermochte.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen. Caecus hoffte bei jeder Person, die durch den Innenhof lief, es mochte Marisca sein, doch sie war nirgends zu sehen.
Dann, endlich, öffnete sich eine der dunklen Türen, die vom Peristyl abzweigten, und heraus trat der reich geschmückte, hoch gewachsene und von zwei Lustknaben flankierte Stolo. Caecus fand, dass er recht freundlich aussah, aber er wusste, dass man darauf nichts geben durfte.
„Der Meistermaler vom unseligen Hügel! Erstaunlich.“ sagte Stolo mit seiner hohen, klaren Stimme. Caecus verbeugte sich. Die beiden Knaben neben ihm fungierten als Missachtungs-Ableiter. Während Stolo ein sehr einnehmendes Gesicht machte, stierten ihn die beiden Jungen an, als wäre Caecus der letzte Dreck.
„Werter Hausherr, ich hörte von eurem kürzlichen Verlust und möchte mein Beileid aussprechen. Ferner könnt ihr unschwer erkennen, dass ich vor kurzem versehrt worden bin, und dass mich dieser Umstand zu einigen grundlegenden Überlegungen angeregt hat, woraus ich den Schluss zog, nicht länger für den Hügel meines Herrn meine Treue zu verschwenden. Ihr wisst dass ich ein Meister meines Fachs bin, und mein Herr Pictor glaubte in seiner Torheit, er könne mich bestrafen, in dem er mir die rechte Hand verletzte, doch was er in seiner Ignoranz nicht wusste, war, dass meine Meisterschaft durch die andere, die linke Hand, zur Entfaltung kommt.“
Caecus konnte erkennen, dass Stolo seine Überraschung mühsam unterdrückte. Er war es gewesen, der den Anschlag auf Caecus verübt hatte, in dem Glauben, er wäre Rechtshänder.
„Nun“, sagte Stolo und überlegte. „Eine Linkspfote bist du also. Und dein Herr hat es die ganze Zeit nicht gewusst?“
Caecus lächelte hämisch: „Nehmt es als kleinen Beweis dafür, dass er über seine eigenen Leute weniger weiß als über caledonische Weiber.“
Stolo ließ sich davon nicht zu schnell bestechen:
„Du beleidigst ihn, weil er nicht anwesend ist. Du erlaubst dir Worte, die ich, wärst du mein Diener, mit aller Härte bestrafen würde. Du scheinst eine sehr wankelmütige und scheinheilige Seele zu sein, mein lieber Pinselschwinger.“
„Ich habe lange Jahre treu dem Hause des Pictor gedient und bin immer bescheiden und folgsam gewesen. Doch dieses eine Mal, als ich mich in ein Mädchen verliebte, das er für sich selbst beanspruchte, konnte ich meiner Ehre nur genüge tun, in dem ich mich zu dieser Liebe bekannte. Das hat meinem Herrn nicht gefallen ...“
Caecus hoffte, diese halbe Lüge würde genügen, um Stolo zu überzeugen. Und in der Tat schien er nun ein wenig aufgeschlossener zu sein, weil er in Caecus Augen den warmen Glanz einer verliebten Seele erkennen konnte. Er ging langsam auf Caecus zu, betrachtete seinen verbundenen Arm, sah ihm in die Augen, und schließlich betrachtete er eingehend Caecus' linkes Ohr.
„Wunderschön ...“
Caecus ahnte Schlimmes. Er hatte schon davon munkeln hören, dass Stolo besessen von Ohren junger Männer war.
„Mein lieber untreuer Maler, ich will dir deine Geschichte nicht durch meine Ungläubigkeit kaputtmachen, dazu ist sie zu schön, zu romantisch. Ja, ich ehre dich für deinen Wagemut und deinen Vortrag. Doch wisse, ich pflege gerne sicher zu gehen, ob ich einem Mann das Vertrauen schenken kann, der noch so sehr nach diesem Hügel des Esquilin riecht, der ihn noch in seinm Herzen trägt und seinen schmierigen Staub an den Schuhen klebt.“
„Wie kann ich euch überzeugen, Herr?“
„Ich will, dass du mir dein Ohr gibst. Dies hier, das Linke.“
Stolo strich mit seinen langen Fingern über Caecus' Ohr.
„Du malst mit der linken Hand, wie du sagtest. Also gebe mir das Ohr von dieser linken Seite, der wertvollen, und wir werden einen Platz für dich finden.“
„Und wie soll ich euch das Ohr geben?“
Caecus musste beinah lachen, da er diesen Vorschlag mehr als abwegig fand. Stolo sagte:
„Du brauchst nur deinen klugen Kopf stillhalten, Caecus. Sei ganz in Demut und Muße. Und ich tue meinen Teil. Ich schneide dir das Ohr ab.“





Nächster Teil Freitag, 18.10.2013


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