Donnerstag, 24. Oktober 2013

Fatum – Eine Fortsetzungsgeschichte. TEIL XVII


Es war nicht so einfach, aber als er nach einer Stunde dauerhaften Reibens den Lederriemen an seiner linken Hand, der gesunden, lösen konnte, war der Rest ein Kinderspiel. Er sah so gut wie nichts, nur mit dem Restlicht einer Öllampse im Flur konnte er etwas erkennen, zumindest so viel, um nicht über irgendwelche Dinge zu stürzen.
Er wusste nicht, wie weit die Nacht schon vorangeschritten war, doch seine Ohren sagten ihm, dass in den Gesinderäumen niemand mehr wachte, selbst nicht die niedrigsten Sklaven, die das Gemüse für den nächsten Tag zu schneiden hatten. Dorthin wollte er – zur Küche.
Niemand erwartete ihn, denn alle dachten, er läge mit heftigen Schmerzen in diesem Abstellraum und haderte mit seinem Schicksal. Das mit den Schmerzen stimmte zwar, aber in diesem Moment zwang er sich, sie zu ignorieren, und auch um sein verlorenes Ohr zu trauern, verbot er sich. Seinen Arm hatten sie gebrochen, sein Ohr genommen, und nun schickte sich seine neue Liebe Marisca an, sich für ihn ins Unglück zu stürzen. Es gab genug Gründe, nun nicht den Mut und den Zorn zu verlieren.
Caecus war kein Meuchler, kein Dieb, kein nächtlicher Schleicher, und er besaß auch keinerlei Hinterlist. Er war Maler, ein Schöngeist, der gerne in griechischen Schriften las und allein in seinem Bett schlief. Ein Univirus war er, monogam und ehrlich, eine seltene Art von Mensch, nie ungerecht, selbst nicht gegenüber Sklaven, und fern jeder Tücke.
Heute Nacht nahm er eine Auszeit von seiner Philosophie.
In der Küche fand er ein schönes, sauberes Messer mit gut geschliffener Klinge. Es war kein Dolch, keine als solche gedachte Waffe, aber es reichte, um jemandem den Hals aufzuschlitzen. Ihm gelang es, unbemerkt in den Innenhof zu gelangen. Schwach flackernde Feuerhalter brannten. Wie Komplizen wiesen sie Caecus den Weg ins obere Stockwerk, über die schmale Außentreppe.
Stolos Gemach befand sich an der hinteren Stirnseite des Hofes, dort wo einst die verstorbene Giftmischerin gewohnt hatte. Caecus konnte sie schon riechen, die Aromen, die den weibischen Stolo auf Schritt und Tritt begleiteten, allen voran der süßliche Safran, der bei Caecus einen kleinen Würgereiz auslöste. Er verabscheute aufdringliche Parfums, bevorzugte den Geruch von Farbe und frischem Wasser, auch von gegrilltem Fisch.
Keine Wachen standen vor Stolos Räumen, aber als Caecus ein Vorzimmer betrat, erblickte er auf einer breiten Kline, dem Speisesofa, zwei kleine Buben mit kahlgeschorenen Schädeln, denen auch, wie Caecus, jeweils ein Ohr fehlte. Sie schnarchten wie kleine Ziegen.
Caecus musste an Marisca denken und fragte sich, wo in diesem Anwesen sie ihre Nachtruhe verbrachte. Vielleicht bei irgendeinem parfümierten Mörder oder einer perversen Matrona, die zum Zeitvertreib herausgeschälte Kinderaugen aß. Jede Scheußlichkeit stellte sich Caecus vor, jede grausame Spielart, um seinen Zorn am Leben zu erhalten. Dabei bemühte er nicht mal seine Phantasie, sondern rief sich Greueltaten ins Gedächtnis, von denen er zuvor schon gehört hatte – stierblutsaufende Konkubinen und feige Männer, die auf verwaiste Sklavenmädchen urinierten, Wahnsinnige, Massenmörder und allen voran die Lügner, denn die Lüge war in diesen Kreisen das billigste Gold.
Das Schlafgemach lag hinter zwei schweren Türhälften verborgen. Caecus begann zu zittern, als er das Küchenmesser zückte und so leise wie möglich einen Zeh zwischen die Hälften drückte, um die Tür fortan mit den Fingern weiter öffnen zu können.
Es gelang.
Das Bett war so groß wie in einer üblichen Cenacula ein ganzer Raum. Man hätte auf dem Bett Ball spielen können. Und inmitten der Seide und Polster, gelb und rot, schwarz und blau und mit schimmerndem Pupur – einer Farbe, die eigentlich Kaisern vorbehalten war -, lag der Aventiner Unhold Stolo, lang und schlank, nackt und schnarchend. Seine rechte Hand vibrierte leicht im Schlaf und ließ das daran baumelnde Silberkettchen leise klingen.
Caecus näherte sich und stand nun direkt am Bett. Zwei Stufen waren noch zu überwinden, die in die Polster führten, so wie bei allen Betten der gehobenen Herrschaften.
Eine der Stufen knarrte.
Stolo schlug die Augen auf. Caecus blieb starr. Der Aventiner blinzelte, blickte um sich, und als ob niemals etwas Gutes geschehen könnte, erblickte er den einfachen Mann, den Maler vom Esquilin, und sah in dessen linker Hand das Messer.
Als ob ich es gewusst hätte ...” sagte Stolo.
In diesem Moment fiel von Caecus jede Kraft ab. Er wagte es nicht, sich mit dem zwei Köpfe größeren Mann auf einen sinnlosen Kampf einzulassen.
Stolo erhob seine kastratenhafte Stimme und rief nach den Wachen …
 
 
 
 
Nächster Teil Freitag 1.11.2013

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